Häusliche Gewalt: „Man merkt gar nicht, was man tut“
Ein Familienvater aus Kempten bekommt seine Aggressionen alleine nicht in den Griff
- „Wenn man sauer wird, das ist wie ein Brett vorm Kopf. Das Schlimmste ist, wenn einem danach bewusst wird, was man getan hat.“Das sagt ein 30-jähriger Kemptener, der sich zurzeit in der Fachstelle für Täterarbeit bei häuslicher Gewalt beraten lässt. Das Angebot der Caritas gibt es seit rund fünf Monaten. Der Mann spricht sehr offen über das, was passiert ist – er weiß um sein Problem mit Aggressionen. „Ich bin an die Decke gegangen und habe meiner Frau mit der Hand ins Gesicht geschlagen.“
Der 30-Jährige ist einer von drei Männern, die Andrea Springborn zurzeit betreut. Einer sei vonseiten der Justiz an die Fachstelle verwiesen worden. Ein weiterer Mann und der Kemptener hätten sich von sich aus gemeldet. Die Ehefrau habe beim Frauennotruf angerufen und eine Visitenkarte von der Täterarbeit bekommen, erklärt Springborn. Diese gab sie an ihren Mann weiter.
Fünf von sechs Einzelsitzungen habe er bisher hinter sich, sagt der 30Jährige. Dann stünde eigentlich Gruppenarbeit an, aber die ist wegen der aktuellen Pandemielage voraussichtlich erst im April möglich. „Ich bin in psychologischer Behandlung“, erzählt er. Dort habe man ihm bereits vorgeschlagen, zur Täterberatung zu gehen. Die nächste Fachstelle wäre in München gewesen. „Das ist aber eine ganz schöne Strecke und wäre für mich nicht infrage gekommen.“
In den Sitzungen mit Springborn müsse er haargenau aufschreiben, was passiert, wenn er wütend werde, erzählt der Kemptener. „Wir gehen das dann gemeinsam durch und besprechen, was ich tun kann, damit ich nicht ausraste.“Beispielsweise soll er sich in seine Kinder einfühlen – wie das sei, wenn so mit ihnen geschimpft werde, wie er das tue. „Die Aggression zu erkennen, ist das größte Problem.“
Das Paar hat einen sechs Jahre alten Sohn und eine dreijährige Tochter. Die beiden waren dabei, als der Mann zuschlug, fingen an, zu weinen. „Ich bin dann drei Tage abgehauen“, erzählt er. „Aus Angst vor den Konsequenzen und aus Angst vor mir selbst.“Das war kurz vor Weihnachten. Doch als seine Tochter ihm mitteilte, dass sie mit ihm den Christbaum aufstellen möchte, kehrte er zurück. Der 30-Jährige weiß, dass seine Aggressionen mit seiner Vergangenheit zu tun haben. In seinem Elternhaus habe er selbst häusliche Gewalt erlebt. Das sei typisch, sagt Springborn. „Die meisten Täter waren selbst Opfer.“Um seine eigenen Erfahrungen gehe es auch in seiner Therapie, sagt der Kemptener. Gefühlt habe ihn das Training mit Springborn aber schon viel weitergebracht als alle Therapiesitzungen zusammen. „Es ist extrem viel Arbeit, auch mit sich selbst“, sagt er. Aber man könne damit einiges bewirken. Beispielsweise fasse seine Tochter wieder Vertrauen zu ihm. „Das ist das Schönste.“
Ob die Täter und Täterinnen sich selbst melden oder von der Staatsanwaltschaft angewiesen werden, sei letztendlich egal, sagt die Leiterin der Fachstelle. „In der Gruppe ist die Motivation gleich.“Oft helfe der Zwang, sich mit den Taten auseinanderzusetzen. In den Sitzungen selbst könnten schon mal Tränen fließen. „Wichtig ist hier: Ich verurteile die Tat, aber nicht den Menschen“, so Springborn.
Allerdings habe die Pandemielage den Start den Angebots erschwert: „Corona ist nicht zuträglich. Das Meiste geht aktuell per Telefon“, erläutert sie. Die Heilpraktikerin für Psychotherapie, Trauma-Fachberaterin und Kunsttherapeutin erarbeitet mit der Polizei aktuell eine Kooperation. Die Beamten sollen bei Einsätzen wegen häuslicher Gewalt nicht nur proaktiv auf die Opfer, sondern auch auf die Täter oder Täterinnen zugehen. Ihnen werde dann direkt beim Einsatz nahegelegt, Kontakt mit der Fachstelle aufzunehmen. Die Polizisten seien ja die ersten, die bei einem Vorfall aufschlagen, erklärt Springborn den Ansatz. Wichtig sei schnelles Handeln.