„Man muss nicht jeden Trick entzaubern“
Uli Hanisch erzählt von seiner Arbeit als Szenenbildner bei Film und Fernsehen
Der 53-jährige Szenenbildner Uli Hanisch lässt Welten entstehen. Neben Kinofilmen hat er die Serien „Babylon Berlin“und „Das Damengambit“ausgestattet. Im Interview mit Ronny Thorau und Julia Kilian erklärt er, wohin all die Gegenstände nach dem Dreh verschwinden – und warum man als Zuschauer manchmal einen Koller bekommt, wenn ein Film in der eigenen Stadt spielt.
Herr Hanisch, wie sieht es bei einem Szenenbildner daheim aus: Stehen bei Ihnen lauter Schachfiguren aus dem „Damengambit“herum?
Nein, ich habe tatsächlich erstaunlich wenig Souvenirs aus den Filmen der vergangenen zwei Jahrzehnte. Es verirren sich manchmal Kleinigkeiten. Wir leihen ja sehr viel.
Wie funktioniert das genau?
Der Großteil – gerade an Möbeln und Gegenständen – wird geliehen. Und dann sind wir eigentlich immer ganz froh, wenn die Dinge wieder dahin zurückgekehrt sind, wo sie hergekommen sind. Im Grunde genommen fangen wir immer bei null an, mit einem Stück Papier, einem leeren Raum. Irgendwann ist alles voll mit Zeug. Und wenn das Projekt beendet ist, ist alles wieder weg.
Wo leiht man Dinge? Gibt es ein Kaufhaus der schönen Dinge?
Solange es eine Filmindustrie gibt, gibt es einen Requisitenfundus. In Deutschland gibt es diverse Grossisten, die sich zum Teil aus den Sendeanstalten gespeist haben. Oder Antiquitätenhändler. In London gibt es riesige Leihhäuser, nach Epochen geordnet. Es gibt welche, die haben nur Lampen, nur Bilder oder nur technische Geräte, medizinische Sachen.
Wenn man durch Filmparks geht, denkt man schnell: „Oh, das ist alles nur aus Pappmaché.“Das klingt bei Ihnen anders.
Dieses Stichwort „Pappmaché“trifft bei uns immer einen Punkt. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben mit Pappmaché gearbeitet. Sie können ja mal versuchen, sich auf ein Pappmaché-Sofa zu setzen. Die Sachen, die im Film benutzt werden, sind echte Gegenstände. Wir sind eigentlich wie ein Speditionsunternehmen – wir bewegen viel Material.
Und wie ist das mit Außenkulissen?
Für „Babylon Berlin“haben wir das gemacht – da ist die „Neue Berliner Straße“im Studio Babelsberg gebaut worden. Da stehen dann in der Tat in erster Linie Fassaden. Aber auch da wurden 5000 Tonnen Stahl verarbeitet als Unterkonstruktion. Trotzdem ist natürlich so eine Kulissenstraße lustig, weil man durch die Tür tritt – und hinten gleich wieder rausgeht. Aber das beschreibt nur einen sehr kleinen Teil des Tuns. Zu 80 oder 90 Prozent drehen wir auf der Straße oder in Original-Locations.
Wie findet man gute Drehorte?
Vielleicht ist das, was wir bei „The Queen’s Gambit“gemacht haben, ein schönes Beispiel, weil wir da ja im Grunde genommen so gut wie alles in Berlin gedreht haben. Und dann macht man sich Gedanken: Wie kann man eine kleine Ecke Paris darstellen? Oder was kann man eben für Moskau nehmen? Was ist mit Mexico City oder Las Vegas? Man hangelt sich immer an den Anforderungen der Geschichte entlang.
Nehmen wir mal den Film „Once Upon a Time in Hollywood“von Quentin Tarantino, der spielt im Wenn ein Film in der eigenen Stadt spielt, bekommt man als Zuschauer manchmal einen Koller: Die Bilder sehen toll aus – aber es macht keinen Sinn, wo die Figuren langlaufen und fahren.
Genau. Es geht nie um Anwohnerkenntnisse, das kann keine Rolle spielen. Wir wechseln ja manchmal selbst bei Innenmotiven fünfmal einen Ort. Weil das Treppenhaus, das Foyer, der Saal, der Hinterhof und das Außenmotiv an verschiedenen Orten sind. Da wird wild zusammengemischt.
Wenn jemand sagt, ihm sei das Szenenbild aufgefallen: Wollen Sie das eigentlich oder soll das Szenenbild im Film aufgehen?
Doch doch, natürlich ist das mitunter ein Kompliment. Aber wenn ich auf einem bequemen Stuhl sitze, muss ich auch nicht über den Prozess des Stuhlbauens nachdenken, sondern genieße einfach den tollen Stuhl. Und so ähnlich ist es beim Filmemachen auch. Alles, was man als Illusion herstellt, will man ja gerne in der Magie der Illusion belassen. Man muss nicht jeden Trick entzaubern.