Erst sonnen, dann zahlen
Forderung nach Abschaffung der Vorkasse für Pauschalreisen – Verbraucherschützer befürworten den Vorstoß
- Im Januar bezahlen, im August in die Ferien fliegen? Das soll nach den Wünschen von Politikern der Vergangenheit angehören. Urlauber sollen Flugtickets oder Pauschalreisen nicht mehr vorab bezahlen müssen, fordert Reinhold Jost, der im Saarland Minister für Verbraucherschutz ist. Der SPD-Politiker will diese Idee in die Beratungen der zuständigen Minister der Bundesländer einbringen und möglichst bald in ein Gesetz gießen lassen, wenn sich dafür eine Mehrheit findet. „Hundert Prozent Vorkasse geht gar nicht“, findet Jost.
Die Idee stößt bereits auf großes Interesse. Erst Cook, dann Corona – das Vertrauen in die Branche ist auf einem Tiefpunkt. Im Jahr 2019 ging der britische Reisekonzern Thomas Cook in die Insolvenz, was zu vielen unschönen Szenen führte. Viele Kunden erhielten für vorbezahlte Reisen keine Gegenleistung. Pflichtversicherungen, aus denen sie entschädigt werden sollten, wiesen bei Weitem nicht die nötige Deckung auf. Ein zentraler Topf zur Sicherung der Einzahlungen fehlte. Im Jahr darauf kam Corona – und erneut konnten Reisen nicht stattfinden, für die das Geld schon überwiesen war. Die Lufthansa brauchte viele Monate Zeit und viele Milliarden vom Staat, bevor sie die Preise für wertlos gewordene Flugtickets halbwegs erstattet hatte.
Doch was zunächst wie eine rundum attraktive Idee klingt, braucht in der Praxis zumindest wohl eine Übergangsphase. Daher ist zunächst Widerstand aus der Branche zu erwarten. Denn aus geschäftlicher Sicht macht es einen gewaltigen Unterschied, zu welchem Zeitpunkt das Geld für eine Leistung eingeht. Frühe Zahlungseingänge halten ein Unternehmen flüssig und ermöglichen Investitionen. In der Praxis der Reisebranche hat es sich sogar eingeschlichen, die Hotels in den Urlaubsgebieten zum Teil erst nach Ablauf der Saison endgültig zu honorieren, während schon die ersten Vorauszahlungen für die nächste Saison nahen. Das ist nicht ganz seriös – doch in einer Branche, deren Preise im Konkurrenzkampf so niedrig wie möglich gedrückt werden, eben absolut üblich.
Die Umstellung der Praxis kostet daher betriebswirtschaftlich gesehen bares Geld. Die Unternehmen brauchen größere Cash-Reserven, wenn sie die Monate bis zum tatsächlichen Beginn der Reisesaison überbrücken müssen. Auch Unsicherheit ist teurer: Mancher Kunde, der noch nicht bezahlt hat, wird eher noch im letzten Moment abspringen, als jemand, der dadurch Geld verliert. In Krisenzeiten wiederum wirkt der Berg Geld stützend, auf dem die Anbieter bisher dank Vorkasse
sitzen – auf Kosten ihrer Kunden. Solche Verschiebungen müssen die Anbieter künftig einkalkulieren. Immerhin: Wenn die neuen Regeln ausnahmslos für alle Veranstalter gelten, dann hat derjenige mit den solidesten Finanzen wieder einen Vorteil.
Jost hält eine Neuregelung für absolut vertretbar. In anderen Lebensbereichen sei es ja auch nicht üblich, eine Leistung Monate im Voraus zu bezahlen. Meist ist allenfalls eine Anzahlung üblich. Selbst für die stellt er sich eine automatische Rückerstattung vor, wenn die Reise nicht stattfindet. Der Bundesrat habe sich 2018 bereits für ein „automatisiertes Verfahren der Rückerstattung“starkgemacht. Von der Bundesregierung sei aber nichts umgesetzt worden, sagt Jost.
Während die Politik so zu einen neuen Angriff auf das Geschäftsmodell des Pauschaltourismus ansetzt, arbeiten sich Branchenverbände noch an einem bereits laufenden Regulierungsvorhaben ab. Das Justizministerium will zwar noch nicht die Vorkasse abschaffen, aber immerhin die eingezahlten Kundengelder absichern. Dazu liegt ein Gesetzentwurf vor. Dieser sieht vor, dass für jede Reise ein kleiner Prozentsatz in einen Fonds fließt. Bis 2026 soll sich dort eine Dreiviertelmilliarde Euro ansammeln, mit der sich sogar eine Pleite des Marktführers TUI zu einem guten Teil abfangen ließe.
Der Deutsche Reiseverband fordert nun, dem Gesetz die Schärfe zu nehmen. Vor allem die Höhe der Einzahlungen stört die Anbieter. „Pauschalreisen dürfen in dieser schwierigen Situation im Vergleich zu Einzelleistungen nicht über Gebühr verteuert werden“, heißt es beim Verband im Hinblick auf die Einnahmeausfälle infolge von Corona. Statt sieben Prozent des Pauschalreiseumsatzes will die Branche zunächst ein Prozent in den Fonds abführen.
Verbraucherschützer befürworten unterdessen ganz klar die Abschaffung der Vorkasse. „Findet die Reise oder der Flug nicht statt, laufen Reisende oft hinter ihrem Geld her“, beobachten die Verbraucherzentralen. „Pleiten von Fluggesellschaften oder zuletzt wegen der Corona-Pandemie ausgefallene Flüge haben zu einer stark erhöhten Beratungsnachfrage geführt.“Eine Rückerstattung kommt oft erst sehr spät – oder gar nicht. Am Ende staue sich der Frust bei den Urlaubern auf. Und gerade in der Krise bedeutet das verschwundene Geld für einkommensschwache Haushalte ein echtes finanzielles Risiko.