Lindauer Zeitung

Freund, Helfer, Tierretter

Was Polizei und Feuerwehr mit dicken Igeln und Fledermäus­en in Not zu tun haben

- Von Thomas Strünkelnb­erg und Carolin Gißibl

(dpa) - Ein adipöser Igel im Abwasserro­hr, eine Kuh auf einem Baugerüst, eine abgesperrt­e Autobahn für eine Entenfamil­ie – immer wieder rücken Einsatzkrä­fte von Polizei und Feuerwehr für Tierrettun­gsaktionen an. Die Tierretter in Uniform freuen sich vor allem über eines.

Wenn man eine Fledermaus einfangen will, ist vor allem eines wichtig: Sie sollte nicht fliegen, denn eine fliegende Fledermaus einzufange­n ist fast unmöglich. Was also sollte Polizeiobe­rkommissar Alexander Schmitz tun? Sein Problem: In ein Patientenz­immer eines Krankenhau­ses in Hannover hatte sich eine Fledermaus vor der Kälte des jüngsten Wintereinb­ruchs verkrochen – die sollte er fangen.

Schließlic­h habe sich das Tier hinter einem Heizungsro­hr verkrochen, sagte der 34-Jährige vom Kommissari­at Nordstadt in Hannover. Man könne sie nicht mit Lederhands­chuhen anfassen, die Tiere reagierten darauf aggressiv, sei er gewarnt worden. Er habe das Tier anlocken, packen und in eine Schachtel mit Luftlöcher­n stecken können. Bei der Tierschutz­organisati­on Bund bleibt es bis zum Frühjahr, dann wird es ausgewilde­rt. Es sei „schön, wenn man Tieren helfen kann“, sagte Schmitz. „Ein Tier gibt einem immer etwas zurück.“Im Fall der Fledermaus sicher nicht so leicht erkennbar. Hunde dagegen seien dankbar, wenn sie sich an jemanden „anlehnen“könnten.

Immer wieder müssen Einsatzkrä­fte ausrücken, weil sich Tiere auf Gleisen oder Autobahnen verirren – oder eben in einem Krankenhau­s. Eine Kuh auf einem meterhohen Brücken-Baugerüst sorgte im Mai 2018 im oberbayeri­schen Oberaudorf für Aufsehen. Zwei Dutzend Menschen halfen bei der Bergung. Im selben Jahr gab es einen Einsatz in Morsbach-Rom bei Gummersbac­h, nachdem eine Kuh von ihrer Weide ausgebüxt war. Sie trabte einen Hang hinunter, auf das Wellblechd­ach einer Veranstalt­ungshalle – und brach ein. Anderswo gab es: einen fettleibig­en Igel im Abwasserro­hr, einen Bussard, der in eiskaltem Wasser um sein Leben rang oder eine Ente, die mit vier Küken über die A 45 bei Dortmund watschelte. Die Polizei fing die Küken per Kescher.

Unklar ist, wie viele Tierrettun­gen Verkehrsbe­hinderunge­n verursache­n. Die Innenminis­terien der

Länder führen zwar Statistike­n, aber „Tierrettun­g“gibt es als Sparte häufig nicht. „Jeder Einsatz, bei dem ein Tier eine Rolle spielt, wird unter dem Stichwort ‚Tier‘ erfasst“, sagte etwa ein Sprecher des Innenminis­teriums in Nordrhein-Westfalen. „Das kann aber zum Beispiel auch nur ein Tierkadave­r sein.“Die Deutsche Bahn führt ebenfalls keine Statistik über Tierrettun­gsversuche entlang der Gleise. Angaben zu Kosten und Schäden sind einer Bahnsprech­erin zufolge daher nicht möglich. Auch die Polizei Hannover erfasst diese Einsätze statistisc­h nicht.

Mit einem echten tierischen Notfall hatte Torsten Schrader, Polizeibea­mter im hannoversc­hen Stadtteil Lahe, zu tun. Bei einer Verkehrsko­ntrolle fand er kurz vor Weihnachte­n 2018 in einem Lieferwage­n 50 Tauben und acht Hundewelpe­n, offensicht­lich für den illegalen Handel bestimmt. Ihm sei klar gewesen, dass etwas nicht stimme. Eine Tierärztin habe ihm bestätigt, dass die Hundebabys viel zu jung seien, um verkauft zu werden. Die Welpen wurden einem Tierheim übergeben. „So hat man den Tieren vielleicht Leid erspart“, sagte der 46-Jährige.

Denn Welpenhand­el ist ein Problem: In Tierheimen gebe es „so gut wie keine Hunde und Katzen mehr“, sagte Schrader. In der Corona-Pandemie sind Haustiere ganz besonders gefragt. Das lockt unseriöse Züchter und Händler an. Der illegale Tierhandel blüht denn auch laut Tierschutz­bund in Deutschlan­d. Nach Angaben der Tierärztin würden die Welpen für Summen zwischen 800 und 1000 Euro gehandelt, sagte der Beamte. Die illegalen Händler seien daher „nicht froh“gewesen, als sie die Hunde abgeben mussten.

Auf Social-Media-Kanälen kämen Meldungen von Tierrettun­gsaktionen dagegen gut an, bestätigen Polizei und Feuerwehr. Vereinzelt beschwerte­n sich Autofahrer, wenn etwa der Grund von Sperrungen nicht nachvollzi­ehbar sei. „Da gab es schon die Annahme von einzelnen Verkehrste­ilnehmern, die Polizei staut zum Vergnügen den Verkehr auf“, sagte die Sprecherin der Autobahnpo­lizei Thüringen.

Das glückliche Ende der Jagd auf die Fledermaus in Hannover brachte überwiegen­d positive Rückmeldun­gen. „Viele sind tierlieb, zu denen zähle ich mich auch“, sagte Schmitz. Polizei werde so tatsächlic­h als Helfer gesehen. Er habe nur Angst gehabt, die zarten Flügel zu verletzen – oder dass die Fledermaus zubeißt, sagte der 34-Jährige. „Hat sie aber nicht gemacht.“Schrader wiederum hat gemischte Gefühle angesichts der meist positiven Reaktionen: Ist es wichtiger, sich um Tiere zu kümmern als um Menschen? Er hat das Gefühl, Tierrettun­gen kämen besser an.

Zuständig für die Rettung von Tieren sei in der Regel die Feuerwehr, sagte eine Sprecherin des Deutschen Feuerwehrv­erbandes. Nach Angaben einer Sprecherin des bayerische­n Innenminis­teriums rücken die Feuerwehre­n in dem Land jährlich rund 4000-mal zu Einsätzen im Zusammenha­ng mit Tieren aus.

So hatte die Feuerwehr Gelsenkirc­hen kürzlich in einem fast zweistündi­gen Einsatz mit einer am Kirchturm baumelnden Taube zu tun. Feuerwehrl­eute kamen mit einer Drehleiter, Höhenrette­r stiegen bis in die Turmspitze, einer von ihnen kletterte auf das Geländer. Das Tier war schon länger tot. „Das hat auch was mit Ethik zu tun“, sagte ein Feuerwehrs­precher. „Schöner wäre es gewesen, wir hätten Leben retten können.“Wie in Nordhessen, wo ein Schwan auf einer ICE-Strecke saß und den Verkehr lahmlegte. Der offensicht­lich trauernde Gefährte eines verendeten Schwans ließ sich partout nicht von den Gleisen locken. Das gelang erst der Feuerwehr – doch 23 Züge verspätete­n sich einen Tag vor Weihnachte­n um jeweils rund 50 Minuten.

Im August sorgte die Münchner Feuerwehr wegen eines Karpfens für Schlagzeil­en: Der Fisch war nur zum Teil mit Wasser bedeckt, in einem Bottich wurde er zur Feuerwache gebracht. Der „betagte Graskarpfe­n“fand schließlic­h eine neue Heimat im hauseigene­n Zierteich der Wache. Ausgenomme­n von der Hilfsberei­tschaft seien nur: „Löwen und Tiger“.

 ?? FOTO: MORITZ AHRENS/POLIZEIDIR­EKTION HANNOVER/DPA ?? Bei einer Verkehrsko­ntrolle fand Polizeikom­missar Torsten Schrader (rechts im Bild Polizeikom­missarin Farina Nolde) kurz vor Weihnachte­n 2018 in einem Lieferwage­n 50 Tauben und acht Hundewelpe­n, offensicht­lich für den illegalen Handel bestimmt.
FOTO: MORITZ AHRENS/POLIZEIDIR­EKTION HANNOVER/DPA Bei einer Verkehrsko­ntrolle fand Polizeikom­missar Torsten Schrader (rechts im Bild Polizeikom­missarin Farina Nolde) kurz vor Weihnachte­n 2018 in einem Lieferwage­n 50 Tauben und acht Hundewelpe­n, offensicht­lich für den illegalen Handel bestimmt.

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