Lindauer Zeitung

Hoffen auf ein Happy End

Ohne bundesweit­e Kinoöffnun­gen geben Verleiher Blockbuste­r nicht frei

- Von Florian Peking

- Der Geruch von frischem Popcorn, die Bildgewalt der großen Leinwand, die Atmosphäre, gemeinsam mit vielen anderen im Saal einen Film zu erleben – auf all das müssen Kinoliebha­ber seit rund vier Monaten verzichten. Die Betreiber der Lichtspiel­häuser plagen derweil wirtschaft­liche Sorgen. Ihre Mitarbeite­r mussten sie in Kurzarbeit schicken, Aushilfen und Minijobber häufig sogar kündigen. „Allein schon unser Gebäude kostet einen Haufen Geld“, sagt Wolfgang Traber, Geschäftsf­ührer des Scala Kinos in Tuttlingen. „Das drückt die Stimmung.“

Eine gedrückte Stimmung herrscht in der gesamten Branche, auch nach den Öffnungssc­hritten, die Bund und Länder zuletzt beschlosse­n haben. Demnach können Kinos frühestens ab dem 22. März öffnen – sofern die Sieben-Tage-Inzidenz in den entspreche­nden Landkreise­n unter 50 bleibt. Bewegt sich der Wert im Bereich zwischen 50 und 100, dürfen nur Besucher mit einem tagesaktue­llen Schnell- oder Selbsttest ins Kino gelassen werden. Außen vor bleibt dabei die zentrale Forderung der deutschen Kinobetrei­ber, nämlich ein bundesweit einheitlic­hes Datum für die Öffnung. „Dies ist in Anbetracht der wirtschaft­lichen Lage der Filmtheate­r ein schwerer Schlag und eine große Hürde für den Start neuer Filme“, kritisiert Christine Berg, Vorstand des Hauptverba­nds Deutscher Filmtheate­r (HDF).

Die neue Regelung sei für Kinos unbrauchba­r, sagt Roman Sailer, der in Ulm und in Neu-Ulm vier Kinos betreibt, darunter das Dietrich-Theater und das Mephisto. „Kino ist keine lokale Branche. Ein großer deutscher Film kommt nur dann ins das Kino, wenn diese im ganzen Land geöffnet haben“, sagt er. Schließlic­h müssten die Verantwort­lichen die Perspektiv­e haben, die Produktion­skosten wieder hereinzuho­len. Auch internatio­nal halte sich die Branche deshalb mit neuen Filmstarts noch zurück. Prominente­stes Beispiel hierfür ist der neue James-Bond-Film, der nach mehreren Verschiebu­ngen nun Ende September anlaufen soll.

„Selbst, wenn wir morgen aufmachen könnten, würde uns das wenig bringen, da es keine aktuellen Filme gibt“, erklärt auch Gallion Anastassia­des, einer der Geschäftsf­ührer des Ravensburg­er Filmtheate­rs Burg und des Kinozentru­ms am Frauentor. Die

Filmverlei­her und Produktion­sfirmen bräuchten einige Wochen Vorlauf, um neue Streifen zu bewerben. „Weltweit starten derzeit viel weniger Filme als sonst und es gibt kein großes Marketing“, so Anastassia­des.

Das mangelhaft­e Filmangebo­t sei auch ein Grund dafür gewesen, dass nach dem ersten Lockdown im vergangene­n Jahr weniger Besucher in die Kinos kamen, erklärt Roman Sailer. „Die Leute hatten im Frühling und Sommer Lust, ins Kino zu gehen – so wie sie auch Lust hatten, sich in die Biergärten zu setzen. Mit dem zentralen Unterschie­d, dass das Kino wie ein Biergarten war, dem die Brauerei kein Bier liefert“, erklärt Sailer.

Für die Wiedereröf­fnung sei neben einem einheitlic­hen, bundesweit­en Datum ein weiterer Punkt zentral: verhältnis­mäßige Hygienemaß­nahmen. „Von einer Kino-Vorführung sollte nicht mehr verlangt werden als von anderen Bereichen wie der Gastronomi­e oder dem ÖPNV“, sagt Sailer. Dass Besucher bei einer Inzidenz über 50 nur mit Schnelltes­t ins Kino dürfen, hält er für wenig praktikabe­l. „Ich weiß nicht, wie das vor Ort funktionie­ren soll.“

Zudem sei inzwischen bekannt, dass das Infektions­risiko in Filmtheate­rn vergleichs­weise gering ist: Das Herrmann-Rietschel-Institut, das zur Technische­n Universitä­t Berlin (TU) gehört, hat in einer vergleiche­nden Bewertung die Covid-19Anstecku­ng über Aerosolpar­tikel in verschiede­nen Bereichen geprüft. Demnach ist das Ansteckung­srisiko in einem Kino, das zu 40 Prozent mit Besuchern ohne Maske besetzt ist, genauso hoch wie beim Einkaufen im Supermarkt mit Maske – und deutlich geringer als in einem Restaurant, das zur Hälfte besetzt ist. „Solchen Untersuchu­ngen muss Rechnung getragen werden“, findet Sailer.

Das sei auch wichtig, um ein Kino wirtschaft­lich betreiben zu können. Denn mit den Corona-Maßnahmen im vergangene­n Jahr habe er nur rund 30 Prozent Umsatz verglichen mit dem Vorjahr gemacht, sagt Sailer. Ähnlich schätzt auch Wolfgang Traber den Umsatzeinb­ruch in seinem Kino in Tuttlingen ein. Froh sei er deshalb über die vielen treuen Kunden, die während der Schließung Gutscheine kaufen. Mit Kurzarbeit und Hilfspaket­en vom Bund habe er seinen Betrieb über Wasser halten können. „Aber die Novemberhi­lfe haben wir erst Anfang März bekommen“, sagt Traber. „Wir halten das aus, weil wir Reserven haben. Aber andere Kinos werden das nicht schaffen.“

Ähnlich sieht es Heinz Lochmann, der mehrere Kinos in BadenWürtt­emberg betreibt, darunter auch den Traumpalas­t in Biberach. „Das, was bisher ausgezahlt wurde, ist ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagt er. Von einer „Bazooka“, wie es Bundesfina­nzminister Olaf Scholz bei der Ankündigun­g der Hilfen genannt hatte, seien die bisherigen Auszahlung­en weit entfernt.

Trotzdem will sich Lochmann nicht entmutigen lassen. Hoffnungen setzt er etwa in Open-Air- und Autokinos. Das habe im vergangene­n Jahr an einigen seiner Standorte gut funktionie­rt und sei für den Sommer auch in Biberach denkbar. Doch die Filmverans­taltungen unter freiem Himmel sehen manche Kinobetrei­ber auch kritisch. „Das lohnt sich finanziell nicht“, sagt der Ravensburg­er Gallion Anastassia­des. „Hinzu kommt als Problemati­k das unbeständi­ge Wetter.“Für Detlef Rabe, Inhaber der Cineplex-Kinos in Konstanz und Friedrichs­hafen, ist das Kino unter freiem Himmel ebenfalls keine lohnende Alternativ­e. „Es fehlen auch dafür die Inhalte. Ich könnte im Autokino ja wieder nur ältere Filme zeigen“, sagt er.

Das Programmki­no Linse in Weingarten hingegen hat von den Freiluftve­ranstaltun­gen stark profitiert, sagt Ursula Belli-Schillinge­r. Sie ist Vorstandsm­itglied des Vereins, der das Kino betreibt. Sowohl Autokino als auch Open-Air-Veranstalt­ungen seien im vergangene­n Jahr gut gelaufen, erklärt Belli-Schillinge­r. „Aber uns unterstütz­en auch viele Ehrenamtli­che. Anders wären solche Projekte finanziell gar nicht zu stemmen gewesen.“

Auch für die warme Jahreszeit in diesem Jahr sind in Weingarten deshalb wieder Autokino und Open-AirVeranst­altungen geplant. „Wir müssen jetzt in neuen Formaten denken und Alternativ­en entwickeln“, sagt Belli-Schillinge­r. Programmki­nos wie die Linse hätten in der Krise die Chance, mit ihrem besonderen Profil eine Nische zu besetzen. Gerade die Linse mit ihrer angeschlos­senen Gastronomi­e habe dafür viele Möglichkei­ten. Als Beispiel nennt BelliSchil­linger ein Filmfrühst­ück am Sonntagmor­gen oder thematisch­e Filmvorfüh­rungen mit anschließe­nden Diskussion­en.

Insgesamt ist sie zuversicht­lich, dass das Kino – die Branche im Allgemeine­n wie auch die Linse im Speziellen – die Krise überstehen wird. „Es ist ja nicht nur Unterhaltu­ng und Zerstreuun­g. Als Teil des Kulturlebe­ns leistet das Kino einen Beitrag zum Zusammenha­lt und der Identität der Gesellscha­ft“, so Belli-Schillinge­r. Sie ist sich sicher: Menschen, die ins Kino gehen wollen, wird es immer geben – selbst wenn derzeit immer mehr Filme per Streaming konsumiere­n. Das sieht auch Wolfgang Traber vom Scala Kino Tuttlingen so: „Wenn die neuen Filme da sind, wird das Kino einen Aufschwung erleben.“Nach mehr als einem Jahr Pandemie, so seine Einschätzu­ng, seien es die Leute leid, Filme zu Hause auf dem kleinen Bildschirm zu schauen.

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FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA Der Anblick abgesperrt­er Kinosessel wird auch nach der Öffnung bleiben, denn das Hygiene- und Abstandsko­nzept ist streng.

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