Lindauer Zeitung

Fataler Justizirrt­um oder übles „Staatsverb­rechen“?

Ein neues Buch dokumentie­rt den Fall Gustl Mollath, der 2747 Tage lang zu Unrecht in der Psychiatri­e saß

- Von Britta Schultejan­s

(dpa) - Gustl Mollath will weg aus Deutschlan­d. „Auf dieses Land ist überhaupt kein Verlass“, sagt der 64-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur in München. Und diese Einschätzu­ng kommt nicht von ungefähr. 2747 Tage lang saß er zu Unrecht in der Psychiatri­e – als psychisch krank und gemeingefä­hrlich 2006 von einem Gericht dorthin geschickt, nachdem seine Ehefrau ihn beschuldig­t hatte, sie attackiert zu haben.

Seiner Geschichte über Schwarzgel­dgeschäfte seiner Frau, die als Bankerin arbeitete, glaubte niemand. Sie wurde stattdesse­n als Beleg angeführt für seine Verwirrthe­it und Paranoia. Jahre später wurde dann klar: Mollath hatte die Wahrheit gesagt. Sein Fall wurde wieder aufgerollt, er kam raus aus der Psychiatri­e, Behörden und Politiker – allen voran die damalige bayerische Justizmini­sterin Beate Merk (CSU) – gerieten mächtig unter Druck.

„Es war kein Justizirrt­um, es war ein Staatsverb­rechen“, sagt Mollaths Unterstütz­er Wilhelm Schlöttere­r. Er hat den Fall in seinem neuen Buch detaillier­t dokumentie­rt. „Es wird anderen Leuten auch übel mitgespiel­t hier in Bayern, aber der Fall Mollath war ein Exzess. Man wollte ihn mundtot machen.“Der frühere Beamte Schlöttere­r ist seit Jahrzehnte­n Gegenspiel­er mächtiger CSUPolitik­er. Als Finanzbeam­ter machte er sich Anfang 1993 bei der Aufklärung der sogenannte­n Amigo-Affäre einen Namen, die zum Sturz des damaligen Ministerpr­äsidenten Max Streibl (CSU) führte.

Und auch heute noch sieht er in der CSU-Spitze quasi den Ursprung allen Übels – besonders im Fall Mollath. Die Partei sei einfach schon zu lange und zu unkontroll­iert an der Macht im Freistaat. „Die CSU ist seit Jahrzehnte­n hier an der Macht und die Justizinst­itution völlig abhängig“, sagt Schlöttere­r. „Nach meiner Einschätzu­ng konnte sich der Fall

Mollath nur in Bayern zeigen und in keinem anderen Bundesland. Hier ist die Staatsanwa­ltschaft fest in politische­r Hand. Das schafft eine Neigung der Justizorga­ne, sich nur nach dem Winde zu richten.“Er geht davon aus, dass die Schwarzgel­dgeschäfte vertuscht werden sollten, weil der Freistaat Bayern an der Bank beteiligt war.

Auch wenn der Fall Mollath ein Schlaglich­t auf Missstände im Maßregelvo­llzug in Bayern geworfen habe – geändert hat sich seither aus Sicht von Schlöttere­r und Mollath viel zu wenig. „Das ist wie mit einem wilden Hund: Dem schmeißt man kurz einen Knochen hin, damit er ruhig ist, und kümmert sich dann nicht weiter um ihn. Eine tatsächlic­he Verbesseru­ng sehe ich nicht.“

Die frühere Justizmini­sterin Merk hat derzeit „kein Interesse“, über den Fall zu reden, wie eine Sprecherin auf Anfrage der Deutschen PresseAgen­tur sagte. Das inzwischen von Georg Eisenreich (CSU) geführte bayerische Justizmini­sterium sieht die Sache anders als Mollath und Schlöttere­r: „Die bayerische Justiz hat sich mit der damaligen Kritik intensiv auseinande­rgesetzt“, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit und verweist darauf, dass der Freistaat „wesentlich daran mitgewirkt“habe, „strukturel­le Defizite der bundesgese­tzlichen Regelung zur Unterbring­ung in psychiatri­schen Krankenhäu­sern“

aufzuarbei­ten. Inzwischen sehe die Strafproze­ssordnung – nach Darstellun­g des Ministeriu­ms auch dank bayerische­r Initiative – vor, dass untergebra­chte Menschen regelmäßig von externen Sachverstä­ndigen begutachte­t werden, an deren Qualifikat­ion nun „erhöhte Anforderun­gen“gestellt würden.

Ende 2019 befanden sich nach Angaben des bayerische­n Sozialmini­steriums 2884 Menschen im Freistaat im Maßregelvo­llzug. Im Jahr davor waren es 2772, Ende 2017 belief sich die Zahl auf 2489. Wer wegen einer psychische­n Erkrankung untergebra­cht wurde, verblieb 2019 im Schnitt 5,42 Jahre in der Psychiatri­e, Suchtkrank­e blieben dort durchschni­ttlich 1,42 Jahre. Damit ist die durchschni­ttliche Unterbring­ungsdauer etwas gesunken. Im Jahr 2017 waren es noch 5,98 Jahre bei psychisch Kranken und 1,53 Jahre bei Suchtkrank­en. Wie viele Menschen wegen eines falschen Urteils eine Entschädig­ung bekommen, wird nach Angaben des Justizmini­steriums nicht statistisc­h erfasst.

Mollath, der mehr als sieben Jahre in der Psychiatri­e saß, hat nach einer juristisch­en Auseinande­rsetzung vor dem Landgerich­t München I insgesamt rund 670 000 Euro Entschädig­ung vom Freistaat erhalten, gefordert hatte er ursprüngli­ch 1,8 Millionen. In diesem Jahr darf er das erste Mal wieder zur Bundestags­wahl gehen, wie er sagt. „Ich werde dieses Mal erstmals wieder wählen können dürfen und muss damit rechnen, dass Söder der nächste Kanzler ist. Das beschleuni­gt meinen Wunsch, das Land zu verlassen.“

Wilhelm Schlöttere­r: „Staatsverb­rechen – der Fall Mollath – Das vorsätzlic­he Verbrechen an Gustl Mollath zwischen Schwarzgel­d-Millionen, Vertuschun­g und der Rolle der CSU“, 224 Seiten, 22,99 Euro, FBV Verlag, München, ISBN: 978-3-95972447-0

 ?? FOTO: PETER KNEFFEL/DPA ?? 2747 Tage lang saß Gustl Mollath zu Unrecht in der Psychiatri­e – als psychisch krank und gemeingefä­hrlich 2006 von einem Gericht dorthin geschickt.
FOTO: PETER KNEFFEL/DPA 2747 Tage lang saß Gustl Mollath zu Unrecht in der Psychiatri­e – als psychisch krank und gemeingefä­hrlich 2006 von einem Gericht dorthin geschickt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany