Wo zwischen den Zeilen geschlemmt wird
Gutes Essen ist nicht nur in Kochbüchern immer Thema. Es gibt auch sehr erfolgreiche Unterhaltungs- oder sogar Weltliteratur, die es schafft, die Leser mit allerlei kulinarischen Szenen zu fesseln. Und nicht wenige kehren immer wieder zu bestimmten Figuren zurück, um mit ihnen am Tisch zu sitzen, zu schlemmen und zu trinken.
Der berühmteste Kommissar, der alles andere als ein Kostverächter war, heißt Maigret. Eine dickleibige Krimifigur des ungeheuer produktiven belgischen Schriftstellers Georges Simenon. Er ließ seinen Maigret in 75 Büchern in und rund um Paris ermitteln. Dabei kommt es nicht einmal vor, dass der Kommissar auch nur einmal in einer Brasserie oder einem Bistro Wasser bestellt. Von Bier über Genever und Weißwein bis Wermut ist alles dabei, was die geübte Leber eines Stadtmenschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so vertrug. Und neben dem dichten Pfeifenqualm, der über allen Geschichten liegt, ist es das reichliche Essen, mit dem Simenon seine Romanfigur füttert. Womit der Leser viel von der Küche aus der damaligen Zeit erfährt – und auch, dass die Frau des Kommissars eine ausgezeichnete Köchin ist. Simenon macht seinen Kommissar auch deshalb so menschlich, weil der bei langen nächtlichen Verhören nicht nur für sich Bier und belegte Brote kommen lässt, sondern auch für den Verdächtigen, der vor ihm schwitzt. Die kulinarischen Traditionen von damals – mit üppigen Mittagessen und obligatorischer alkoholischer Begleitung – muten auch vor dem Hintergrund eines heute völlig veränderten Ernährungsstils so nostalgisch an.
Der 2019 verstorbene italienische Autor Andrea Camilleri ging mit seinem Commissario Montalbano in den betont langsamen und unaufgeregten Kriminalromanen aus kulinarischer Sicht sogar noch einen Schritt weiter. Denn er lässt Montalbano stets in den Spezialitäten schwelgen, die dort vorherrschen, wo der Commissario ermittelt. Damit erschließt der Autor die Eigenheiten seiner Heimat über das Essen. Und charakterisiert Menschen und Landstriche über das, was auf den Tisch kommt und wie es zubereitet wird. Die Montalbano-Reihe umfasst 28 Titel, wobei die letzten sechs Romane noch nicht in deutscher Übersetzung erschienen sind. Es gibt sogar ein eigenes Kochbuch über die kulinarischen Leidenschaften des Kommissars.
Legendäre Fressgelage hat auch Friedrich Dürrenmatt in seinen Büchern verewigt. Der Schweizer Schriftsteller, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, wenn er nicht 1990 bereits mit 69 gestorben wäre, pflegte selbst einen ungesunden Lebensstil. Dabei spielten Rotwein und sehr fleischlastige
Kost eine entscheidende Rolle. Dürrenmatt litt fast sein ganzes Erwachsenenleben lang an Diabetes, ohne sich dadurch aus der kulinarischen Ruhe bringen zu lassen. Seine Vorliebe fürs Deftige gipfelt im Kriminalroman „Der Richter und sein Henker“in der Schlüsselszene: Kommissar Bärlach, stark angeschlagen weil magenkrebskrank, überführt den Mörder während einer henkersmahlzeitmäßigen Fressattacke. Unter anderem bei Berner Platte, Russischen Eiern und flaschenweise Burgunder bester Jahrgänge.
Was die drei Schriftsteller verband und kulinarisch so interessant macht? Während sie von Mord- und Totschlag persönlich keine Ahnung hatten, wussten sie in Sachen Essen und Trinken sehr genau, wovon sie sprachen. Die Lektüre von Simenon, Camilleri und Dürrenmatt ist jedenfalls ein gutes Mittel gegen Appetitlosigkeit.
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