Landratsamt hat bereits 60-Jährige geimpft
Behörde erklärt den Fehler mit einem Fehler des Algorithmus im Programm der Impfzentren
- Fast Tausend Menschen über 80 Jahre warten im Kreis Lindau auf einen Impftermin. Das Landratsamt hat aber bereits solche impfen lassen, die zwanzig Jahre jünger sind. Ursache sei ein Computerfehler.
Eine Lindauerin, die Jahrgang 1957 ist und zur Risikogruppe 3 gehört und die deshalb normalerweise erst um Pfingsten einen Impftermin bekommen würde, hat sich bei der Lindauer Zeitung gemeldet, nachdem sie kurzfristig eine Einladung zum Impfen erhalten hatte. In der Warteschlange vorm Impfzentrum sah sie vor allem Senioren, aber auch Gleichaltrige. Einen Bekannten hat sie angesprochen, der sei ebenso überrascht und erfreut gewesen wie sie.
Weil Landrat Elmar Stegmann in der Auseinandersetzung mit den Lehrern zuletzt am Wochenende den Vorrang der Über-80-Jährigen betont hatte, hat sich die deutlich jüngere Frau an die LZ gewandt. Denn das Handeln der Behörde unterscheide sich deutlich von den Worten des Landrats.
Auf Anfrage der Lindauer Zeitung vom Sonntag hat sich das Landratsamt zunächst Zeit gelassen. Am Montag bat Pressesprecherin Sibylle Ehreiser um etwas mehr Zeit für eine Antwort auf die Fragen der LZ, die auch am Dienstag nicht kam. Stattdessen sandte ihre Kollegin Angela Wolf am frühen Dienstagnachmittag eine Presseerklärung an alle Medien, in der das Landratsamt die Schuld für den Fehler auf ein Computerprogramm schiebt. Erstmals erklärt die Behörde dabei auch, wie die Terminvergabe für die Impfungen läuft.
Denn entgegen der Darstellung bisher sind es nicht Landratsamt und Allgäu Medical, die gemeinsam auswählen, welcher Impfwillige als Nächstes einen Termin erhält. Vielmehr geschehe die Einladung über das Computerprogramm der Bayerischen Impfzentren „BayIMCO“. Das enthält alle Impf-Anmeldungen, egal ob sie per Telefon eingegangen sind oder im Internet auf der Seite der Impfzentren erfolgt sind. „Die Vergabe von Impfterminen samt Einladung erfolgt über das Programm automatisch nach einem hinterlegten Algorithmus“, schreibt Wolf.
Das Programm habe zunächst auf Personen der Priorität 1, dann auf Personen der Priorität 2 und schließlich auf Prio 3 zugegriffen, nachdem die zuvor Angeschriebenen auf die elektronische Einladung nicht reagiert hatten oder nicht erreichbar waren. Dabei sei es nicht nur zu Einladungen, sondern fälschlicherweise auch zu Impfungen von Menschen gekommen, die nach den Vorgaben des Bundes eigentlich erst viel später drankommen sollten.
Wolf erklärt, dass das Computerprogramm alle zur Impfung angemeldeten Menschen in einer Liste reiht. Für die Reihenfolge spielen neben dem Alter auch berufliche Angaben oder Vorerkrankungen eine Rolle, weil dies die Eingruppierung in die Risikogruppen beeinflusst. „Grundsätzlich erfolgt die Priorisierung primär zunächst anhand des Alters“, schreibt Wolf. Allerdings erhalte jemand, der wegen seines Berufs oder einer Vorerkrankung schneller eine Impfung erhalten soll, in dem Programm „ein virtuelles Alter sowie einen durch die EDV ermittelten statistischen Korrekturfaktor“. Über weitere Details dieses Algorithmus informiert das Landratsamt nicht und beruft sich auf die Herstellerfirma Accenture, die das mit Sicherheitsfragen begründet, „um Missbrauch vorzubeugen“. Klar ist, dass „BayIMCO“jedem Impfwilligen auch sofort einen Impfstoff zuordnet und damit auch die Zweitimpfung sicherstellen soll.
Einen direkten Eingriff des Landratsamts hat es laut Wolf nicht gegeben. Allerdings habe die Behörde jetzt nach dem Hinweis auf den Fehler durch die Lindauer Zeitung eingegriffen und noch ausstehende Termine an Menschen abgesagt, die nicht zur höchsten Risikogruppe gehören. Außerdem habe man den Hersteller Accenture über den Fehler informiert. Aus anderen Landkreisen sind solche Fehler des Programms, das in ganz Bayern im Einsatz ist, bisher nicht bekannt geworden.
Nach dem vorläufigen Aus des Impfstoffs von AstraZeneca sagt das Landratsamt zu, dass man ausschließlich Über-80-Jährige impfen werde. Am Dienstagmittag standen laut Wolf 957 Frauen und Männer auf der Warteliste, die im Kreis Lindau leben und den 80. Geburtstag hinter sich haben, berichtet Wolf, „und täglich melden sich noch Menschen an, die älter als 80 Jahre sind“. Wer bereits einen Impftermin hat, behält diesen. Sollte der zur Verfügung stehende Impfstoff von Biontech/Pfizer und Moderna nicht ausreichen, werde das Impfzentrum anrufen, um diese Termine zu verlegen.
Von den Herstellern Biontech/Pfizer und Moderna erhält das Landratsamt
Angela Wolf, Pressesprecherin
des Landratsamtes Lindau
Lindau derzeit pro Woche ungefähr 1000 Impfdosen, die für Erst- und Zweitimpfungen nötig sind. Wenn sich an diesen Liefermengen nichts ändert, „werden voraussichtlich Ende März alle derzeit zur Impfung angemeldeten Über-80-Jährigen geimpft sein“, schreibt Wolf.
Alle Termine mit Lehrern und anderen Menschen aus der zweiten Risikogruppe sind vorerst abgesagt. Das betrifft auch die 350 Lehrerinnen und Lehrer, die in dieser Woche eine Impfung mit Astra-Zeneca erhalten sollten. Sie sollen einen Termin erhalten, sobald alle Über-80-Jährigen den ersten Impfschutz haben.
Landrat Stegmann begrüßt, dass die Bundesregierung das Impfen mit Astra-Zeneca vorerst ausgesetzt hat: „Ich begrüße diese Entscheidung, denn die Gesundheit und die Sicherheit gehen vor. Wir können nicht guten Gewissens Menschen mit dem Impfstoff von Astra-Zeneca impfen, nachdem es nun Bedenken hinsichtlich möglicher Nebenwirkungen gibt.“
Unklar ist, was mit den Menschen passiert, die bereits einmal eine Spritze mit Astra-Zeneca erhalten haben und bei denen zwölf Wochen später die zweite Impfung anstehen würde. Aber da besteht keine Eile, denn im Kreis Lindau hat am 13. Februar der erste Bürger den umstrittenen Impfstoff erhalten, sodass die ersten Zweitimpfungen ab Anfang Mai erfolgen sollten. „Wir gehen davon aus, dass die Europäische Arzneimittelagentur, beziehungsweise die Bundesregierung zeitnah eine Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen werden“, erklärt der Landrat.
Klar ist nach den jüngsten Entscheidungen auch, dass es wohl länger dauern wird, bis Menschen eine Impfung auch bei ihrem Hausarzt erhalten. Denn dafür reichen die verfügbaren Impfstoffmengen nicht. Eigentlich wollten Stegmann und Dr. Klaus Adams, der Ärztliche Leiter der Impfzentren, sich an diesem Mittwoch mit niedergelassenen Ärzten treffen, um zu besprechen, wie Impfzentren und Hausärzte am besten zusammenarbeiten. „Angesichts der Fülle von Unwägbarkeiten nehme ich an, dass es auch im Sinne der Ärzte ist, wenn wir unseren geplanten Termin verschieben, bis belastbare Informationen vorliegen“, teilt der Landrat mit.
Der Stopp von Astra-Zeneca wirft die Impf-Kampagne im Kreis zurück. Mehr als 10 000 Erst- und Zweitimpfungen bedeuten eine größere Impfrate
als in den umliegenden Landkreisen und im Vergleich zu ganz Bayern oder gar Deutschland. In den Impfzentren in Lindau und Lindenberg liegt kein Impfstoff in den Kühlschränken, alles werde reibungslos verimpft. Pressesprecherin Sibylle Ehreiser teilt auf Anfrage der LZ mit, dass die Ausfallquote bisher außerordentlich niedrig sei: „Im gesamten Landkreis ist keine Impfdosis verworfen worden, und bei über 10 000 Impfungen (Erstund Zweitimpfungen) haben wir nur zwölf Impfdosen auf Grund von Verunreinigungen/ Beschädigungen der Durchstechflasche verloren.“
Zum wiederholten Mal betont Ehreiser, dass die Impfzentren dreimal so viele Menschen impfen könnten, wenn es genug Impfstoff gäbe. Vor diesem Hintergrund dankt Stegmann den Beteiligten: „Die Mitarbeiter in den Impfzentren haben in den letzten Wochen bereits Großartiges geleistet und werden auch weiterhin und zwar so lange wie es nötig ist, an sieben Tagen die Woche unsere Bürgerinnen und Bürger impfen.“
Sibylle Ehreiser, Pressesprecherin
des Landratsamtes Lindau
„Die Vergabe von Impfterminen samt Einladung erfolgt über das Programm automatisch nach einem hinterlegten
Algorithmus.“
„Bei über 10 000 Impfungen haben wir nur zwölf Impfdosen
auf Grund von Verunreinigungen/ Beschädigungen der Durchstechflaschen
verloren.“