Auch Lindauer Bestattungskultur wird individueller
Baumbestattung in Lindau wird so gut angenommen, dass es jetzt noch mehr Gräber geben soll
- Nur noch selten mit Sarg und immer häufiger in der Urne – die Art, wie Menschen sich bestatten lassen ist im Wandel. Dabei spiegelt sich der bundesweite Trend auch in Lindau wider: Es gibt immer mehr Feuer- und weniger Erdbestattungen. In den Landkreisen werden die Bestattungsformen uneinheitlich thematisiert.
Auf dem Lindauer Friedhof in Aeschach tut sich was. Seit Anfang Dezember sind zwei Bäume auf dem Areal dazu ausgewiesen, Tote darunter bestatten zu lassen. Und: Einer der zwei geplanten Themengärten für neue Urnengräber ist gebaut.
Die beiden Bäume stehen am geschotterten Weg, der an den Sarggräbern vorbeiführt. An dem kalten Wintertag strahlt die Sonne durch die Baumkronen und die Blätter, die trotz der Jahreszeit noch an den Ästen hängen, werfen Schatten auf die Steine. Sie sind kreisförmig um jeden Baum herum angeordnet – acht Stück sind es pro Baum und jeder steht für ein Grab.
Schon nach zwei Monaten waren alle Urnenplätze unter den Bäumen belegt, die Nachfrage ist da. Deswegen will die Stadt Lindau weitere Bäume zur Urnenbestattung ausweisen.
Wer sich für eine Bestattung unter einem der Bäume entscheidet, kann den Namen des Verstorbenen auf eine Bronzetafel schreiben und dort in die Erde stellen lassen. Bei der Beerdigung werde die Aschekapsel in der Rasenfläche vor oder neben dem Gedenkstein beigesetzt. „Bei den beiden Bäumen handelt es sich um ein Pilotprojekt. Je nachdem, wie groß die Nachfrage ist, könnte es noch weitere Bestattungsbäume geben“, so die Verwaltung. Mittlerweile ist klar: Es wird weitere geben.
Ein Grabplatz kostet 380 Euro plus zusätzlich circa 100 Euro für die Bestattung. Ähnlich teuer sind Urnenwahlgrabstätten oder sogenannte halbanonyme Urnenrasengräber – also ein Urnengrab mit Namensnennung, bei dem aber keine Pflege nötig ist.
Wer unter einem der Bäume begraben werden möchte, erspart seinen Angehörigen die Grabpflege. Vielmehr ist es sogar verboten, unter den Bäumen Blumen einpflanzen oder das Grab zu schmücken.
Der Grabpflege aus dem Weg gehen wollen immer mehr Menschen. Das bekommt auch Bestatter Manfred Breyer von dem Bestattungsunternehmen
Manfred & Manuel Breyer in Lindau mit. „90 Prozent der Lindauer entscheiden sich mittlerweile für eine Verbrennung“, sagt er. Auf dem Land, in den Gemeinden, sei die Zahl niedriger. „Vielleicht etwas mehr als die Hälfte, der Rest will noch eine Sargbestattung.“Viele würden einfache Gräber wollen, hätten eine Lust auf Grabpflege. Breyer sagt, er spüre eine „kulturelle Veränderung“.
Der Grund für das schwindende Interesse an Sargbestattungen? Breyer glaubt, das würde sich mit den Generationen ergeben. Viele wollten kein Grab mehr pflegen. „Oft ziehen die Kinder weg, leben in anderen Städten und können sich nicht um das Grab der Eltern kümmern.“
Pflegefreie Gräber werden modern. Das zeige sich bei einem Blick auf die Friedhöfe: Deutlich mehr Urnengräber und weniger große, aufwendig geschmückte Sarggräber. „Ein Bild eines Friedhofs spiegelt die Gesellschaft wider“, sagt Breyer. Oft gebe es Lücken zwischen den einzelnen Gräbern. Gemeinschaftsurnengräber mit Namensnennungen würden zunehmen. Für die Angehörigen bedeuteten solche Gräber nicht nur weniger Arbeit, sondern auch weniger Kosten.
Da genau diese Gemeinschaftsurnengräber in Lindau fehlen, hat die Friedhofsverwaltung ein neues Gräberfeld gebaut. Das Gemeinschaftsgrab mit Namensnennung auf dem Aeschacher Friedhof ist schon fast komplett belegt. Die neue Fläche soll unter dem Motto „Schmetterlingsarten“stehen. Das heißt: Die Fläche ist speziell mit Pflanzen und Blumen für Insekten und Schmetterlinge bepflanzt. Hier wird dann Platz sein für 80 Urnen, so die Verwaltung. Außerdem solle es in Zukunft kleinere Areale geben, die dann „ein persönliches Umfeld schaffen.“
Weniger Interesse an einer Bestattung unter einem Baum gab es in der Gemeinde Achberg, als vor einigen Jahren Karl Friedrich Fürst von Hohenzollern dort einen sogenannten Ruheforst im Gemeindegebiet anlegen wollte. Eine Reihe an Bürgerinnen
Der Lindauer Bestatter
Manfred Breyer
und Bürger hatten sich einen Friedwald gewünscht, sagt Bürgermeister Johannes Aschauer. Im Gemeinderat sei die Zustimmung aber nicht groß genug gewesen. Von den Kirchen sei damals Gegenwind gekommen, erinnert sich Aschauer. Sowohl die katholische, als auch die evangelische Kirche hätten Kritik geübt. Der Grund, so glaubt Aschauer: „Weil diese Art zu sehr weggeht von der christlichen Bestattungskultur“, sagt er.
Mittlerweile sei in dem Wald Kahlschlag eher das Gebot der Stunde. „Es braucht auch nicht jede Gemeinde einen Friedwald“, findet Aschauer. Möchte man seinen Angehörigen in einem dafür ausgewiesenen Wald bestatten lassen, würden viele nach Wolfegg oder Heiligenberg fahren.
Zum Bestattungswald Wolfegger Josephsruh nordöstlich von Ravensburg fährt man von Lindau aus eine halbe Stunde mit dem Auto. Auf Bildern wirkt der Wald wie ein „normaler“Wald. Forstarbeiten würden laut Angaben des Verwalters auf das Minimum reduziert. Kleine Schilder an den Stämmen zeigen an, welcher Baum eine Grabstätte ist. Solche Schilder mit eingravierten Namen und teilweise Sprüchen darauf hängen auch an den Bäumen im Friedwald in Heiligenberg, der etwas weiter weg, nördlich von Salem, liegt. Sonst erinnert auch hier wenig an einen Friedhof.
Auch bei dem Lindauer Bestatter Manfred Breyer kommen immer öfter Anfragen zu Naturbestattungen. „Der Trend ist mal mehr, mal weniger aber insgesamt nimmt er zu“, sagt Breyer. Dass sich die Bestattungskultur verändert, ist für den Bestatter eine Folge des gesellschaftlichen Wandels. Früher sei ein Friedhof noch mehr ein kultureller Halt für die Menschen gewesen. Ein Grab zu gießen hätte damals auch bedeutet, zu trauen. Das Credo des Bestatters: „So wie die Menschen leben, so werden sie bestattet.“
„Oft ziehen die Kinder weg, leben in anderen Städten und können sich nicht um das Grab der Eltern kümmern.“
In einer mehrteiligen Serie behandelt die Lindauer Zeitung, wie sich die Bestattungskultur verändert. In weiteren Teilen wird es um die Diamantbestattung gehen und wieso sich Menschen für diese Art der Abschiedsnahme entscheiden. Außerdem wird ein Interview mit einer Trauertherapeutin folgen, die über Trauern in Zeiten von Corona spricht.