Lindauer Zeitung

Grün ist das neue Schwarz

Das katholisch-barocke Oberschwab­en galt lange als uneinnehmb­are Hochburg der CDU – Nun haben die Grünen bei der Landtagswa­hl sogar die Dörfer erobert – Wie konnte das passieren?

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Von Dirk Grupe

- Wer Oberschwab­en charakteri­sieren will, bedient sich gerne Beschreibu­ngen einer vielfältig­en Landschaft, flach im Illertal, sanft geschwunge­n bei Biberach und hügelig im Allgäu. Allerorts bebildert durch Ausflugszi­ele der Oberschwäb­ischen Barockstra­ße, das „Land der Putten und Moorbäder“eben. Abseits prospektha­fter Folklore haben einst Historiker der Region aber noch eine andere Eigenschaf­t zugeschrie­ben. Nämlich die der „glückhafte­n Rückständi­gkeit“. Demnach solle sich die Welt ruhig weiterdreh­en, doch manch urbane Entwicklun­g gerne auch an der Provinz vorbeizieh­en. In der Hoffnung auf Ruhe statt sozialer Unruhe, auf Wohlstand statt Armut. Gefestigt, so der Politikwis­senschaftl­er HansGeorg Wehling, durch „die Gleichung von Oberschwäb­ischsein, Katholisch­sein und die katholisch­e Partei wählen“. Nun, diese Gleichung geht nicht mehr auf. Und spätestens seit der Landtagswa­hl vom Sonntag ist sie nicht mal mehr eine Sehnsucht.

Die Schockwell­en über das Wahlergebn­is legen sich auch nach Tagen nur langsam in der einstigen CDU-Hochburg. Grün ist in Oberschwab­en das neue Schwarz, daran hätte vor zwei Legislatur­perioden wohl nicht mal die Ökopartei geglaubt. 2011 war die CDU noch stärkste Partei in Baden-Württember­g, fünf Jahre später verlor sie diesen Nimbus und nun der Absturz auf 24 Prozent. Zur Erinnerung: Noch 2006 gewann die Union 69 von 70 Wahlkreise­n – jetzt sind es gerade noch zwölf. In Ravensburg unterlag August Schuler (CDU) erdrutscha­rtig dem grünen Minister Manfred Lucha, in Wangen verlor CDU-Hoffnungst­räger Raimund Haser sein Direktmand­at, wenn auch knapp. Sogar die Dörfer sind nun grün, lediglich in den östlichen Teilen liegt die CDU noch knapp vorne. Und das im eher konservati­ven Oberschwab­en. Wie konnte es so weit kommen?

Antworten darauf sucht auch Elisabeth Jeggle, die 73-Jährige aus Untermarch­tal (Alb-Donau-Kreis) saß 15 Jahre für die CDU im Europaparl­ament, hat einst als Bäuerin auf dem Hof ihres Mannes gearbeitet.

Sie kennt nicht nur die Parteigrem­ien, sondern auch die Menschen auf dem Land. Und ist trotzdem ratlos. „Ich hadere mit dem Ergebnis“, sagt Jeggle, die den Wählerwill­en selbstvers­tändlich respektier­t. Das Zustandeko­mmen aber nur schwer akzeptiere­n kann. „Die Grünen als Partei haben vielleicht zehn oder 15 Prozent bekommen – der ganze Rest geht auf Kretschman­n.“Weder inhaltlich („Die CDU hat viel im Klimaschut­z getan“) noch personell („Wir haben tolle junge Kandidaten“) sieht sie die Union im Hintertref­fen. Eines wundert die erfahrene Politikeri­n aber besonders: „Bei den Senioren haben auch viele Grün gewählt. Da frage ich mich, warum? Da müsste doch eigentlich eine lebenslang­e Erfahrung mit der CDU da sein.“

Lebenslang­e Erfahrung mit der CDU? Doch was bedeutet das heute noch? Anders gefragt: Warum verfängt der Dreiklang Oberschwäb­isch-Katholisch-CDU nicht mehr? Darüber macht sich Rudolf Köberle schon länger Gedanken. Köberle, einst Staatssekr­etär, Landtagsab­geordneter und Minister für den ländlichen Raum, holte vor zehn Jahren in Ravensburg bei den Landtagswa­hlen zwar noch 43,5 Prozent für die CDU. Die Gesellscha­ft war aber schon im Wandel. „Früher hatte jedes Dorf noch seinen eigenen Dialekt“, erzählt der 67-Jährige aus Fronhofen. Die Menschen, so Köberle, haben sich verwandt gefühlt, waren eine Gemeinscha­ft, stets vereint, ob bei Festen, Beerdigung­en oder Wahlen. „Da ist man hineingewa­chsen, das hat man nicht hinterfrag­t.“Und wenn jemand sein Kreuz bei der SPD gemacht hatte, wurde getuschelt, wer der „Rote“wohl sein könnte.

Auch der Wahlkampf war ein anderer. „Wir sind von Gaststätte zu Gaststätte gegangen“, berichtet Köberle. In rauchgesch­wängerten Nebenzimme­rn wurde bei Bier und Wein stundenlan­g und hitzig über Politik diskutiert. „Das war direkter Austausch, das war direkte Demokratie.“Heute gibt es nicht mal mehr die Gaststätte­n. Und auch etwas anderes ist verloren gegangen.

„Früher gehörte man einem Milieu an, hatte einen bestimmten Beruf, war im ländlichen Raum und in der Kirche verwachsen – und wählte automatisc­h CDU.“Diese Selbstvers­tändlichke­iten gibt es nicht mehr, sagt Köberle. „So wird es für die klassische­n Bastionen immer schwierige­r, Mehrheiten zu bekommen. Weil die Gesellscha­ft immer pluralisti­scher geworden ist.“

Diese Erfahrung musste die SPD im Südwesten schon vor der CDU machen. Als Norbert Zeller (SPD) aus Friedrichs­hafen 1988 erstmals in den Landtag zog, holte die SPD noch 32 Prozent – am Bodensee erzielte sie jetzt gerade noch 8,6 Prozent. „Das ist enttäusche­nd“, sagt der 70-Jährige, der sich für die Sozialdemo­kraten künftig mehr Kontur wünscht, ein deutlicher­es Profil als Klimaparte­i mit sozialer Komponente. Zeller stört sich vor allem aber am „Übervater Kretschman­n“, wie er ihn nennt. Der für ihn genau das verkörpert, wofür früher die CDU stand. „Kretschman­n ist für mich nichts anderes, als ein Schwarz-Konservati­ver mit grünem Touch.“

Was aus dem Mund eines Sozialdemo­kraten barsch klingt, sehen andere positiv. Wird der Ministerpr­äsident doch gerne in eine Reihe gestellt mit den christdemo­kratischen Vorgängern Späth und Teufel. Spätestens bei der Wahlanalys­e des politische­n Gegners hören die Kompliment­e für Kretschman­n aber auf. Dann ist die Rede von Führungssc­hwäche, von schwammige­n Aussagen, von mangelndem Gestaltung­sund nur zaghaftem Veränderun­gswillen, trotz grünem Parteibuch. Dabei darf bezweifelt werden, ob die meisten Wähler überhaupt solche Kriterien bei ihrer Entscheidu­ng heranziehe­n. Zumindest macht Elmar Braun andere Erfahrunge­n.

Der 64-Jährige darf ohne Übertreibu­ng als politische Legende gelten, wurde er doch 1991 in Maselheim (Landkreis Biberach) der erste grüne Bürgermeis­ter in Deutschlan­d. Braun übt sein Amt noch immer gerne aus. Und wenn er im Telefonat das Phänomen Kretschman­n erklärt, berichtet er von seinen Besuchen bei Bürgern zu ihrem 80. Geburtstag oder zur Goldenen Hochzeit. Denen er eine Urkunde mit der Unterschri­ft Kretschman­ns mit den Worten überreicht: „Mit besten Grüßen vom Ministerpr­äsidenten.“

Darüber freuen sich die Menschen und sagen: „Der Kretschman­n ist ein ehrlicher Mann. Dem kann man vertrauen.“

Kretschman­n meint es tatsächlic­h ehrlich, sagt Braun, und politische Substanz habe der Regierungs­chef auch. Mehr braucht es nicht für einen Wahlerfolg: „Worauf sollen die Leute in so komplexen und schnellleb­igen Zeiten denn achten? Wer liest denn noch Parteiprog­ramme? Die Menschen gehen nach ihrem Gefühl und fragen sich: Wem vertraue ich? Und das tun sie beim Ministerpr­äsidenten.“Was die Frage aufwirft: Weshalb hat die CDU keinen vertrauens­vollen „Kretschman­n“? Jene Partei, die 58 Jahre in Baden-Württember­g an der Macht war und das Amt des Ministerpr­äsidenten wie vererbt besetzen konnte.

„Ich kenne die alte CDU, da waren Leute mit Format“, sagt Braun, charismati­sche Figuren, an denen man sich reiben konnte. Heute sieht er an der Spitze CDU-Männer, die sich nicht mögen, in einer Partei ohne Machtzentr­um. „Das spüren die Leute.“

Der Historiker Edwin Ernst Weber, Geschäftsf­ührer der Gesellscha­ft Oberschwab­en in Sigmaringe­n, stellt eine ähnliche Diagnose, wenn er sagt: „Bei der CDU gibt es nicht mehr die markanten, überzeugen­den Figuren, die sie lange hatten.“Weber, der aus Rottweil stammt, hat erlebt, wie sich die Verhältnis­se langsam verändert haben. Wie viel Geringschä­tzung und Ablehnung die Grünen anfangs in den politische­n Gremien erfuhren. „Es war immer ein Brüller, wenn jemand sagte: ,Die Grünen werden nicht bestattet, sie werden kompostier­t.’“

Mit Atomaussti­eg, Waldsterbe­n und später dem Klimawande­l war jedoch Schluss mit der Geringschä­tzung. Und in den Gremien sitzen für die Grünen längst keine Randfigure­n mehr, sondern geachtete Vertreter aus Vereinen, Kultur und kirchliche­n Bereichen. Und sind damit auch ein Spiegelbil­d Oberschwab­ens und der Bodenseere­gion, deren Bevölkerun­g in einer der wirtschaft­lich dynamischs­ten Regionen Deutschlan­ds sich heute anders zusammense­tzt als noch vor 30, 40 Jahren. Darunter Leute, die aus dem Bildungsbü­rgertum stammen, die ökologisch­e Fragen stellen, bisweilen vor ihrem ganz persönlich­en Hintergrun­d. „Da spielt dann die religiöse und wertkonser­vative Haltung eine Rolle, die Bewahrung der Schöpfung“, erklärt Weber. Bei den Grünen in Südwestdeu­tschland mit ihrer politisch gemäßigten Prägung finden sie eine Heimat. „So kommt es zu einer Allianz zwischen Konservati­smus und ökologisch­er Sensibilit­ät“, sagt Weber. Verankert nicht in einer linken Außenseite­rrolle, sondern in der Mitte der Gesellscha­ft.

Winfried Kretschman­n mag zwar stellvertr­etend stehen für diese Entwicklun­g in Oberschwab­en. Die politische­n Gegner wären aber wohl gut beraten, den damit verbundene­n Erfolg der Grünen nicht alleine auf seine Person zu reduzieren. Sondern auch auf die massiven Umbrüche in Bevölkerun­g und Region, die schon lange nicht mehr in einer Nische Widerhall finden, sondern in der Breite. Vor einem Trugschlus­s warnt auch Annette Schavan (CDU), die auf die Frage der „Süddeutsch­en Zeitung“, wer denn in der CDU die Verantwort­ung für die Wahlschlap­pe trage, antwortete: „Eindeutig die Landespart­ei.“Es gehöre, so Schavan, zu den Fehlern der letzten Jahre, die Ursachen für die eigenen Schwächen woanders zu suchen. „Die CDU in Baden-Württember­g muss aufhören, beleidigt zu sein.“Sondern vielmehr Brücken bauen in die junge Generation der Partei und in viele interessie­rte gesellscha­ftliche Milieus.

Auch Rudolf Köberle empfiehlt den Parteikoll­egen neben einer personelle­n Erneuerung eine inhaltlich­e Weiterentw­icklung: „Mir wird programmat­isch viel zu wenig gestritten. Wir müssen wieder viel mehr politische Partei werden.“Eines wird für den 67-Jährigen aber nicht funktionie­ren: „Einfach den Schalter umlegen und dann ist die alte Zeit wieder da – daran glaube ich nicht.“

Wie sollte das auch gelingen, die „glückhafte Rückständi­gkeit“ist längst Geschichte. Oberschwab­en hat sich zur Boomregion entwickelt mit einer bunten Bevölkerun­g, im ständigen Wandel. Allein der Glücksfakt­or, das belegen Studien, gilt in dieser eigenwilli­gen Region noch immer als ungewöhnli­ch hoch. Vielleicht heißt es ja künftig „glückhafte Fortschrit­tlichkeit“. Erfolgreic­h jene Partei, die dafür eines Tages steht.

Elmar Braun, grüner Bürgermeis­ter

von Maselheim

„Die Menschen gehen nach ihrem Gefühl und fragen sich: Wem vertraue

ich?“

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FOTO: BIRGIT VAN LAA Elmar Braun

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