Lindauer Zeitung

„Es gibt ein Ungleichge­wicht der Macht“

Der oberste Verbrauche­rschützer der Bundesregi­erung, Christian Kastrop, will neue Spielregel­n für Digitalkon­zerne

-

- Selbstverw­altete Datentreuh­änder sollen die Ansprüche der Bürgerinne­n und Bürger gegenüber Firmen wie Facebook und Google vertreten, sagt Christian Kastrop, Staatssekr­etär im Bundesmini­sterium der Justiz und für Verbrauche­rschutz. Im Gespräch mit Hannes Koch und Wolfgang Mulke macht der oberste Anwalt der Verbrauche­r in der Bundesregi­erung einen Vorschlag zur Regulierun­g der Digitalkon­zerne.

Herr Kastrop, wer heute auf Instagram oder Google unterwegs ist, sei diesen Plattforme­n ziemlich ausgeliefe­rt, sagen Kritiker. Teilen Sie diese Klage?

Tatsächlic­h sind die Nutzerinne­n und Nutzer in vieler Hinsicht abhängig von den Unternehme­n. Es gibt ein Ungleichge­wicht der Macht und des Wissens. Dies ist das große Problem: Wenn ich mich im digitalen Raum bewege, weiß ich nicht, was mit meinen Klicks und den so ausgelöste­n Datenliefe­rungen passiert. Ich kann es nur ahnen. Heute ist die Digitaltec­hnologie für die meisten Leute ein schwarzes Loch.

Wollen Sie daran etwas ändern?

Das ist Teil der Aufgabenbe­schreibung unseres Ministeriu­ms. Es geht neben dem Schutz der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r durch gute und angemessen­e Regulierun­g darum, die Leute für das Netz fit zu machen, sie mit Stimme und Mitbestimm­ung auszustatt­en. Dafür wollen wir einerseits die rechtliche­n Grundlagen stärken; anderersei­ts Verbrauche­r durch Informatio­n und Bildung befähigen. Hilfreich können auch neue zivilgesel­lschaftlic­he Institutio­nen sein, die zwischen Staat und Wirtschaft angesiedel­t sind. Grundsätzl­ich plädiere ich dafür, eine Balance zu finden. Einerseits sollen Unternehme­n moderne Kommunikat­ion ermögliche­n und digitale Dienstleis­tungen im Interesse der Verbrauche­r entwickeln. Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie nützlich das sein kann. Diese Innovation­en, diese Arbeitsplä­tze und Wertschöpf­ung wollen und brauchen wir. Anderersei­ts müssen neue Technologi­en aber auch gesellscha­ftlich kritisch begleitet werden und dem Gemeinwohl dienen. Sie dürfen nicht nachteilig oder sogar schädlich für die Nutzerinne­n und Nutzer sein.

Welche Institutio­nen schweben Ihnen vor, um den Verbrauche­rn zu ihrem Recht zu verhelfen?

Das könnten etwa zivilgesel­lschaftlic­he, selbstverw­altete Organisati­onen sein, beispielsw­eise in Form von Genossensc­haften

oder Stiftungen. Als Datentreuh­änder hätten sie das Recht, die individuel­len Ansprüche der Bürgerinne­n und Bürger gegenüber den Plattforme­n kollektiv zu vertreten. Ihnen würden die Verbrauche­r beispielsw­eise die Aufgabe übertragen Einwilligu­ngen zu geben und zurückzuzi­ehen, oder Bedingunge­n für die Nutzung ihrer Daten auszuhande­ln. Welche Daten möchte ich einer Plattform zur Verfügung stellen, wenn ich sie nutze? Wofür darf das Unternehme­n sie verwenden? In welcher Relation steht der Wert der Daten in den Unternehme­n zum Nutzen der Verbrauche­r? Eine solche kollektive Vertretung könnte die Verhandlun­gsmacht der Bürger gegenüber den Konzernen stärken, im digitalen Raum begründen. Das erhöht die Datensouve­ränität der Nutzer.

Warum soll das nicht einfach eine staatliche Behörde für alle durchsetze­n?

Es spricht nichts gegen den Staat. Der muss das ja ohnehin rechtlich unterfütte­rn und hat, etwa mit dem Bundesdate­nschutzbea­uftragten, selbst unabhängig­e Institutio­nen geschaffen. Zivilgesel­lschaftlic­he, nichtkomme­rzielle und nichtstaat­liche Organisati­onen sind dennoch wichtige unabhängig­e Anlaufstel­len für Verbrauche­r, die sie gut erreichen können und denen sie vertrauen. Dies sollte man sich zunutze machen.

Die EU hat im Dezember ihren Entwurf eines Gesetzes für digitale Dienste veröffentl­icht. Müssen die Plattforme­n bald ihre Computerpr­ogramme offenlegen, mit denen sie die personifiz­ierte Werbung an die Leute bringen?

Der von der Kommission vorgeschla­gene Digital Services Act (DSA) sieht klare Transparen­zvorgaben für personalis­ierte Werbung vor. Nutzer sollen besser informiert werden, wer Werbung schaltet und wieso ihnen bestimmte Werbung angezeigt wird. Aber das reicht nicht aus.

Christian Kastrop (Jahrgang 1959; Foto: Thomas Imo) ist seit knapp einem Jahr beamteter Staatssekr­etär im Bundesmini­sterium der Justiz und für Verbrauche­rschutz. Früher arbeitete er als Direktor bei der Industriel­änderorgan­isation OECD in Paris, beim Europäisch­en Rat in Brüssel und als Unterabtei­lungsleite­r im Bundesfina­nzminister­ium. Von seiner Ausbildung ist er Ökonom, Wirtschaft­s- und Sozialpsyc­hologe. (hk)

Mit Künstliche­r Intelligen­z (KI) gesteuerte Anwendunge­n müssen transparen­t sein und ihr Einsatz reguliert werden. Algorithme­n können Profile mit Vorlieben einzelner Nutzerinne­n und Nutzer erstellen und kontinuier­lich verbessern. Diese müssen erfahren, was die Konzerne über sie wissen, wie die Algorithme­n aussehen und wie sie diese Informatio­nen gezielt einsetzen.

Allerdings wehrt sich das Wirtschaft­sministeri­um von Peter Altmaier (CDU) dagegen, dass Ihr Haus an der Regulierun­g mitwirkt.

Wir leisten da stete Überzeugun­gsarbeit. Richtig, unser Ministeriu­m strebt die Ko-Federführu­ng an, denn es geht beim DSA ganz wesentlich um den digitalen Verbrauche­rschutz, für den wir federführe­nd zuständig sind. Übrigens gilt das auch für den KI-Rechtsakt der EU-Kommission, den wir im April erwarten. Wirtschaft­s- und Verbrauche­rrelevanz gehören zusammen. Ich sehe da keinen Widerspruc­h, sondern eine Stärke des deutschen und europäisch­en Wirtschaft­smodells.

 ?? FOTO: RALPH PETERS/IMAGO IMAGES ?? Verbrauche­rschutz-Staatssekr­tär Christian Kastrop will die Verhandlun­gsmacht der Bürgerinne­n und Bürger gegenüber den Digitalkon­zernen stärken.
FOTO: RALPH PETERS/IMAGO IMAGES Verbrauche­rschutz-Staatssekr­tär Christian Kastrop will die Verhandlun­gsmacht der Bürgerinne­n und Bürger gegenüber den Digitalkon­zernen stärken.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany