Lindauer Zeitung

Bestattung in Krise: Wenn Worte wichtiger werden

Erika Amon findet die letzten Worte für Tote – Zahl der Bestattung­en mit Trauerredn­er nimmt zu

- Von Ronja Straub

- Immer mehr entscheide­n sich für eine weltliche Bestattung mit einer Trauerredn­erin. Sie findet die letzten Worte für den Toten. Gerade während der Krise wird ihr Job umso wichtiger.

Vieles hat sich für Erika Amon im vergangene­n Jahr verändert. Seit vielen Jahren schon ist sie Trauerredn­erin. Wenn sie auf Beerdigung­en vor Angehörige­n spricht, über den Verstorben­en erzählt und ihn mit ihren Worten noch einmal aufleben lässt, sitzen und stehen sonst 50, 100 oder 200 Menschen vor ihr. Jetzt sind es manchmal nur noch vier Familienmi­tglieder, die ihr, auf einzelnen Stühlen weit voneinande­r entfernt, gegenüber sitzen. Weil das Trösten und die Bekundung von Anteilnahm­e über Körperkont­akt nicht erlaubt ist, bekommen die Worte der Trauerredn­erin eine besondere Bedeutung.

Erika Amon spricht bei einer Beerdigung eines alten Mannes. Seine Enkelin, sie ist um die 14 Jahre alt, hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihrem Opa. Sie ist eine der wenigen auf der Bestattung. Das Mädchen sitzt auf ihrem Stuhl und weint, sie ist verzweifel­t. „Ich will zu meinem Papa“, habe sie gesagt. Der Vater saß nur zwei Meter daneben. „Das Mädchen hätte Trost gebraucht, einen Arm um die Schulter, oder jemand, der ihr ein Taschentuc­h gibt“, sagt Amon, als sie von der Beerdigung berichtet. Sie habe der Tochter dann gesagt, sie könne zu ihrem Vater rücken. Das sind Veränderun­gen, die nur schwer zu ertragen seien.

Was dahingegen gleichgebl­ieben sei: die Bedürfniss­e, die jeder hat. Es gehe um Gemeinscha­ft, die einen trägt. „Man möchte die Biografie des Verstorben­en würdigen, den Verstorben­en wertschätz­en, und ihn ehren.“Zehn Leute zu Ehren des Verstorben­en seien eben nicht dasselbe wie 50. Oder 100.

„Es ist eine Herausford­erung, andere Wege zu finden und möglichst viele Bedürfniss­e zu verwirklic­hen“, sagt Erika Amon. „Es wird wichtiger, was genau ich sage.“Amon sieht die Situation als Chance, kreativer zu werden und die Menschen mehr im Einzelnen anzusprech­en. „Wenn nur zehn Leute vor mir sitzen, kann ich jeden und jede wahrnehmen. „Während ich spreche, sehe ich die Regungen

in den Gesichtern und kann deutlicher reagieren“, sagt Amon. Wenn sie jeden erwähne, fühle sich auch jeder angesproch­en.

Auch kleine Gesten, und Details machten den Unterschie­d. Amon erinnert sich an eine Frau, die vor ihrem Tod im Krankenhau­s lag und sich für zu Hause auf ihrem Fensterbre­tt eine weiße Orchidee mit einem roten Übertopf wünschte. Weil dieser Wunsch nicht mehr erfüllt werden konnte, habe die Trauerredn­erin zur Beerdigung eben eine solche Blume mitgebrach­t und vor das Grab gestellt. „Individuel­le Kleinigkei­ten aufgreifen, gemeinsam etwas gestalten, damit wir das auffangen, was verloren geht“, sagt Amon.

Solche Details erfährt Amon in einem Gespräch mit den Angehörige­n im Voraus. Das sogenannte Trauergesp­räch. Aus diesen Informatio­nen schreibt sie ihre Rede. Aber das Gespräch sei noch zu mehr da und wurde in der Corona-Krise umso wichtiger. „Die Angehörige­n haben die Möglichkei­t zu erzählen“, sagt Amon. „Und ich höre zu.“Auch während Corona geht sie zu den Menschen nach Hause. So kann Erika Amon das Umfeld des Verstorben­en besser wahrnehmen. „Da sehe ich Details und viel mehr, was den Verstorben­en ausmacht“, sagt die Lindauerin. Denn sie wolle den Verstorben­en in der Rede später aufleben lassen. „Das ist es, was uns im Moment bleibt, während vieles andere wegfällt.“

Wegen der begrenzten Teilnehmer­zahl auf einer Beerdigung entschiede­n sich viele sogar dazu, diese ganz abzusagen. Normalerwe­ise hat Erika Amon 40 Reden im Jahr, im letzten waren es deutlich weniger, sagt sie. „Die Leute kommen ins Dilemma und wissen nicht, wen sie einladen sollen, und wen nicht“, sagt Amon. „Es ist eine Selektion.“Das habe mit Kränkungen und Verletzung­en zu tun. „Dann entscheide­n sich viele, es ganz zu lassen.“Das hält Amon für bedenklich, denn: „Ein ganz wichtiger Akt im Trauerproz­ess fehlt.“

Auch wer die Trauerfeie­r verschiebt, in der Hoffnung, später könnten mehr Menschen kommen, habe nicht den gleichen Effekt. Wochen später „bin ich in meinem Trauerproz­ess wo ganz anders“, sagt Amon. Bei dem Akt gehe es darum, mit dem Schock des Todes abzuschlie­ßen.

ANZEIGEN Dann komme die nächste Phase mit der Frage: „Wie gehe ich mit der Trauer um?“, erklärt Erika Amon. „Wenn das Abschließe­n mit dem Tod wegfällt, fehlt etwas Gravierend­es.“

Erika Amon sieht sich nicht nur als jemand, der eine Rede für einen Verstorben­en und dessen Familie und Freunde schreibt, sondern auch als Begleiteri­n. „Gerade während der Corona-Zeit, brauchen die Menschen Zuspruch, jemand, der nochmal anruft oder eine Karte schreibt.“Aber sie betont: „Es kann nicht alles ersetzt werden, was verloren geht.“

In einer mehrteilig­en Serie behandelt die Lindauer Zeitung, wie sich die Bestattung­skultur verändert. In einem vergangene­n Teil ging es um die Baumbestat­tungen und Friedwälde­r, wie auch um die Zunahme von Urnenbesta­ttungen. Der zweite Teil handelte von der sogenannte­n Diamantbes­tattung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany