Die Kiwi darf weiter wachsen
In Baden-Württemberg wollen sich Grüne und CDU Leitplanken für Koalition geben
- Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist angeschlagen, durchgesetzt hat er sich am Ende aber doch: Gegen Widerstände in den eigenen Reihen schmiedet der 72-Jährige erneut ein grün-schwarzes Regierungsbündnis für Baden-Württemberg – wenn nichts mehr dazwischenkommt. Denn seit Donnerstag ist klar: Der grüne Übervater kann nicht mehr durchregieren, wie er es aus Sicht einiger Parteimitglieder in den vergangenen Jahren zu oft getan hat. Gestoppt haben sie eine Neuauflage der Kiwi-Koalition letztlich nicht, wohl aber verzögert – und damit ein Zeichen gesetzt.
Kiwi oder eine grün-geführte Ampel-Koalition? Diese Frage haben sich die Südwest-Grünen seit dem 14. März gestellt, als sie als klare Sieger aus der Landtwagswahl hervorgingen. 32,6 Prozent für die Ökopartei – ein weiterer Rekord, den Kretschmann sich ans Revers heften kann. Allen in der Partei ist bewusst, dass sie das historische Ergebnis zum wesentlichen Teil ihrem Stimmenfänger aus Sigmaringen-Laiz verdanken.
Umso erstaunlicher daher die Vorgänge der vergangenen Tage. Am Mittwochvormittag war das grüne Sondierungsteam in Kretschmanns Regierungssitz zusammengekommen, um zu beraten, mit wem sie künftig das Land regieren wollen. Dreimal hatten sie sich in den Wochen zuvor mit CDU, SPD und FDP zu Gesprächen getroffen. Statt schneller Einigkeit rangen die führenden Köpfe der Grünen offenbar bis spät in die Nacht: Kretschmann und Fraktionschef Andreas Schwarz plädierten dem Vernehmen nach für eine Fortsetzung von Grün-Schwarz, die beiden Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand für eine Ampel.
Schließlich einigte sich das Team doch auf einen gemeinsamen Vorschlag im Sinne Kretschmanns. Der Gründonnerstag sollte einem genauen Fahrplan folgen: Um 8 Uhr sollte der 21-köpfige Landesvorstand der Grünen die Empfehlung abnicken, danach SPD und FDP abgesagt und die CDU ins Stuttgarter Haus der Architekten eingeladen werden, um die bisherigen Sondierungsergebnisse festzuhalten – und dann gemeinsam vor die Presse zu treten.
Die Rechnung ging aber nicht auf, die sonst so stramm spurende Partei rebellierte. Gerade jüngere Vorstandsmitglieder sollen sich gegen eine Koalition mit jener Partei gewehrt haben, die Grünen-Chefin Detzer als „Klotz am Bein“vor allem beim Klimaschutz bezeichnet hatte. Die Diskussion im Landesvorstand uferte aus. Der Regieplan für den Tag war nicht zu halten, die Sitzung wurde vertagt – und Kretschmanns Autorität war angeschlagen. Die Ministerpräsidentenpartei emanzipiert sich von ihrem Leitwolf.
Dass Kretschmann für GrünSchwarz gekämpft hat, erklären Kenner nicht nur mit seiner konservativen Grundhaltung. Die aktuelle Corona-Krise spielt hier ebenso mit rein wie die Verankerung der CDU in den Kommunen. Trotz ihres Einbruchs bei der Landtagswahl auf das historische Tief von 24,1 Prozent ist die Union in den Kommunen stark – in Stadtund Gemeinderäten, in Kreistagen, Rathäusern und Landratssesseln. Um das Land aus der Pandemie und dem darauf folgenden Schuldental zu führen, brauche es starke Partner in der Fläche. Also die CDU.
Zumal die Unionsverhandler um Parteichef und Kretschmann-Vize
Thomas Strobl in den Sondierungen offenbar große Zugeständnisse versprachen. Noch vor einem halben Jahr war etwa die Fotovoltaik-Pflicht für Wohngebäude ein Tabu, jetzt soll sie kommen. Welche weiteren Vereinbarungen die Kiwi-Partner in den Sondierungen festgelegt haben, wollen sie beim heutigen Treffen schriftlich fixieren. Das Papier dient ab kommender Woche als Grundlage für die detaillierteren Koalitionsverhandlungen. Bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Landtags Anfang Mai soll der Vertrag und das neue Personaltableau stehen, erklärt Regierungssprecher Rudi Hoogvliet.
Und was ist nun mit den SüdwestGrünen? Der Widerstand vom Vormittag legte sich am Donnerstagabend. Die große Mehrheit des Landesvorstands schwenkte auf Kretschmann-Kurs ein. Der Wunsch nach einer Ampel sei nicht der einzige Grund für die Rebellion gewesen, erklären Teilnehmer. Hier habe sich auch Unmut über Kretschmanns Führungsstil entladen. Zu oft fühle sich die Partei bei Entscheidungen übergangen, zu selten nehme sich der Regierungschef Zeit für die eigenen Leute. Ein Vorwurf, der nicht neu ist.
Die Beziehungsarbeit hat Kretschmann am Freitag in Angriff genommen. Er hat den Landesvorstand ins Haus der Abgeordneten eingeladen, um ihnen live und nicht per Video seine Gründe für den Wunsch nach Grün-Schwarz zu erklären. Kenner sehen darin nicht die letzte Sitzung dieser Art. Kretschmann müsse sich künftig mehr um die Belange der Partei kümmern, heißt es.
An den Regierungsplänen für die kommenden fünf Jahre ändert das nichts – sehr zur Freude der CDU. Alle Parteigremien und auch die Kreisvorsitzenden haben noch am Donnerstag einstimmig grünes Licht für Koalitionsgespräche gegeben, erklärt Parteichef Thomas Strobl. „Die Sondierungsgespräche zeigen: Wir haben eine gemeinsame Idee für BadenWürttemberg. Und wir wollen gemeinsam eine stabile, verlässliche, gute Landesregierung bilden.“Das sehen SPD und FDP naturgemäß anders und drücken vor allem Enttäuschung und Bedauern über die Entscheidung aus. „Wer grün wählt, bekommt schwarz“, schreiben vor allem viele Sozialdemokraten auf Twitter. Die Juso-Landesvorsitzende Lara Herter ergänzt hierzu: „Das ist insbesondere für unsere Generation enttäuschend.“Verbündete haben die Jusos in der Grünen Jugend. „Wir sind enttäuscht und sehen keine zukunftsfähige Regierungsmöglichkeit mit der CDU“, erklärt deren Vorsitzende Sarah Heim und spricht von einem „schlechten Aprilscherz“. Gerade beim Klimaschutz brauche es einen Neustart, sagt auch Nabu-Landes-chef Johannes Enssle.
Die Wirtschaftsverbände im Land äußern sich derweil erfreut über Grün-Schwarz. Für UnternehmerPräsident Rainer Dulger ist dies ein Zeichen für Stabilität. Er fordert eine ambitionierte Politik, „die auf Investitionen statt auf Wohltaten setzt, Bildung priorisiert, Infrastruktur leistungsfähig macht, eine wettbewerbsfähige Energieversorgung befördert, Innovationen begünstigt sowie Belastungen und Bürokratie reduziert“. Weniger begeistert äußert sich DGBLandeschef Martin Kunzmann. Er fordert mehr Tempo bei der sozialökologischen Transformation der Wirtschaft. „Der Umbau zu einer klimagerechten Wirtschaftsweise ist für den Industriestandort BadenWürttemberg elementar wichtig“, betont der Gewerkschaftsführer.