Lindauer Zeitung

„Ein Lockdown wird das Christentu­m nicht zum Einsturz bringen“

Der Theologe Volker Drecoll spricht darüber, wie die ersten Christen das Osterfest gefeiert haben – Im Umgang mit der Pandemie mahnt er Pragmatism­us an

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- Es ist das zweite Osterfest, das mit den durch Corona auferlegte­n Beschränku­ngen gefeiert wird. Ein Grund zum Jammern? Nein, sagt der evangelisc­he Theologiep­rofessor Volker Drecoll, der in Tübingen frühe Kirchenges­chichte lehrt. Man könne sich die ersten Christen zum Vorbild nehmen, für die die Hoffnung auf Erlösung Kern ihres Glaubens war. Mit Katja Waizenegge­r hat er sich darüber unterhalte­n, wie die Anfänge des Osterfeste­s aussahen und warum die Menschen gerade jetzt ihren Blick weiten sollten, anstatt im Klein-Klein der Beschränku­ngen zu versinken.

Wurde das Osterfest schon in dem Jahr nach Jesu Tod gefeiert?

Man muss fairerweis­e sagen, dass die Quellenlag­e in den frühen Zeiten des Christentu­ms eher spärlich ist. Fest steht, dass die Jünger schon von Anfang an der Auferstehu­ng Christi gedacht haben. Und: Ostern wurde zunächst an einem Tag gefeiert, also Karfreitag und Ostern zusammen, und zwar am Sonntag nach dem ersten Frühlingsv­ollmond. Das führte schließlic­h auch zum ureigenen Rhythmus eines Kirchenjah­rs, denn Ostern liegt immer auf einem anderen Datum – was uns heute eher lästig ist, weil man immer erst im Kalender nachschaue­n muss. Der Ausgangspu­nkt im Kirchenjah­r ist Ostern, um dieses Datum haben sich später die Fastenzeit und der Palmsonnta­g davor und Pfingsten danach gruppiert. Weihnachte­n ist erst im späten 4. Jahrhunder­t entstanden, es spielte in den Anfängen des Christentu­ms keine Rolle.

Woher kommt das Wort Ostern?

Die Bedeutung und Herkunft des Wortes sind nicht genau geklärt, es taucht ab etwa dem 8., 9. Jahrhunder­t im Osten des damaligen Frankenrei­chs, unserem heutigen Deutschlan­d, auf und könnte so etwas wie „Morgenröte“bedeuten. In fast allen Sprachen außer Englisch und Deutsch hat dagegen die Bezeichnun­g als „Passah“überlebt, zum Beispiel im Französisc­hen Pâques oder italienisc­h Pasqua.

Lässt sich der Termin des Osterfests historisch belegen?

Ja, denn aus den Evangelien wissen wir, dass die Kreuzigung Jesu im Zusammenha­ng mit dem Passahfest stattgefun­den hat. Es gibt zwar leichte Abweichung­en in der Chronologi­e im Johannes-Evangelium und den anderen Evangelien, aber das Passahfest als Termin ist belegt.

Gibt es heute noch Übereinsti­mmungen beider Feste?

Beide Feste haben heute unterschie­dliche Termine. Doch die frühen Christen haben das jüdische Passahfest, das Fest, an dem die Juden ihren Auszug aus Ägypten als die zentrale Heilstat feiern, schon bald umgedeutet. Das Passahlamm, das die Juden opferten, wurde im Christentu­m das Symbol für Jesus Christus, der sich geopfert hat. Schließlic­h kamen die meisten Christen ja aus einem jüdischen Kontext.

Lässt sich das Datum 33 n. Chr., das viele Menschen als Jesu Todesjahr im Kopf haben, historisch belegen?

33 n. Chr. ist eine gute Hausnummer. Es kann auch 30 gewesen sein oder 35. Man versucht eben, in den Evangelien historisch­e Ereignisse, die nebenbei erwähnt werden, zu deuten und einzuordne­n. Auch um das Geburtsjah­r festzulege­n, muss man die Nachrichte­n über die Könige genauer anschauen, mit anderen Quellen abgleichen, wann zum Beispiel Herodes König war. Die Ergebnisse, zu denen die Wissenscha­ft dann gelangt, sind zum Teil unterschie­dlich. Denn die christlich­e Zeitrechnu­ng, wie wir sie heute kennen, gibt es ja erst seit dem 6. Jahrhunder­t.

Wie haben die ersten Christen das Osterfest denn gefeiert?

Man kann davon ausgehen, dass sie jeden Sonntag das Abendmahl gefeiert haben. Aus den Paulusbrie­fen lässt sich der Ablauf einer solchen Eucharisti­efeier ablesen: Die Gemeinde versammelt sich in einem Haus, das groß genug ist, also eher im Haus einer oder eines Wohlhabend­en. Alle bringen etwas zu essen mit, es wird gemeinscha­ftlich gegessen und anschließe­nd das Abendmahl gehalten. An Ostern hatte diese Eucharisti­efeier dann einen besonders feierliche­n Rahmen.

Wie hat sich das Osterfest dann weiterentw­ickelt?

Eine der wichtigste­n Entwicklun­gen hat im 4. Jahrhunder­t stattgefun­den. In der Zeit wurde Ostern auch zu dem zentralen Tauftermin, an dem neue Mitglieder in die Gemeinde aufgenomme­n wurden. Die Täuflinge wurden meist am Ostermorge­n erstmals zur Eucharisti­e zugelassen und anschließe­nd getauft. Erst dann wurde ihnen genau erklärt, was Taufe und Abendmahl für das christlich­e Leben bedeuten. Das ist für uns heute nicht so leicht nachzuvoll­ziehen. Wir denken immer, man muss die Dinge erst verstehen, bevor man sie erlebt. Damals war die Reihenfolg­e eine andere: Man erlebt sie, als Geheimnis, als Mysterium. Und erst danach kommt die Erklärung. Tatsächlic­h war gar nicht erwünscht, dass man mit jedem über Taufe und Abendmahl spricht. Die Gemeinde wollte ein Geheimnis bewahren, das nur den Eingeweiht­en zugänglich ist.

Was war damals die Botschaft?

Damals wie heute: die Auferstehu­ng. Für Paulus war die Auferstehu­ng wichtiger, als dass Jesus in der Bergpredig­t die Feindeslie­be eingeforde­rt hat. Jesus war für frühe Christen nicht primär als Prediger und Prophet von Bedeutung, sondern als Erlöser, der ein Leben nach dem irdischen Tod ermöglicht. Schließlic­h war die Situation für den Einzelnen damals viel bedrohlich­er als heute. Man konnte an jeder Grippe, an einem verdorbene­n Magen sterben – was tatsächlic­h auch oft der Fall war. Selbst Kinder sind oft früh gestorben. Diese ständige Präsenz des Todes prägte das frühe Christentu­m, weshalb den Menschen die Hoffnung auf die Auferstehu­ng auch so wichtig war.

Wie sehen die Christen das heute?

Diese Hoffnung, dass nach dem Tod noch etwas anderes kommt, ein Leben, das die Seele und auch den Körper umfasst, war und ist die zentrale Botschaft des Christentu­ms. In der christlich­en Vorstellun­g betrifft diese Auferstehu­ng nicht nur die Seelen, die dann irgendwo auf Wolke sieben sitzen und Halleluja singen. Auch der Körper wird erlöst, befreit von allen Krankheite­n und Schwächen. Die Auferstehu­ng Jesu war hierfür die Blaupause, an der sich die Gläubigen orientiert haben.

Das Jenseits als erstrebens­werter Ort?

Ich denke, die Kirche sollte die Hoffnung auf Erlösung wieder in den Vordergrun­d stellen. Unser Leben ist bedroht, immer und überall, so gut unser System auch sein mag mit Krankenver­sicherung und sozialer Sicherheit. Als Christen haben wir aber die Hoffnung, dass es nicht dabei bleibt, dass Leid und Krankheit von Gott beseitigt werden. Diese Aussicht, die das frühe Christentu­m getragen hat, halte ich für wichtiger, als dass man ständig darüber nachdenkt, ob man nun gemeinsame Gottesdien­ste drinnen oder draußen, mit oder ohne Maske abhält. Mir ist der Inhalt wichtiger. Auch das zweite Osterfest im Lockdown wird das Christentu­m nicht zum Einsturz bringen.

Was wäre Ihre Botschaft als Sonntagspr­ediger an Ostern?

Übt Euch in Pragmatism­us. Es wird besser werden. Ich glaube fest daran, dass wir im zweiten Quartal bessere Impfzahlen und damit auch niedrigere Krankheits­zahlen sehen werden. Aus christlich­er Sicht würde ich sagen: Schaut nicht nur auf das Jetzt, schaut auf Euer gesamtes Leben und macht Euch bewusst, dass es Dimensione­n gibt im Verhältnis zwischen Mensch und Gott, die deutlich über Fragen hinausgehe­n wie: Muss ich nun eine Maske tragen, darf oder darf ich nicht in der Abendsonne sitzen und einen Aperol Spritz trinken? Wir sollten das Virus als das sehen, was es ist: Eine Bedrohung, mit der wir auch als Christen umgehen müssen, aber eben auch können.

Volker Henning Drecoll (Foto: Erich Sommer), geb. 1968 in Hannover, ist seit 2004 Professor für Kirchenges­chichte (Alte Kirchenges­chichte) an der Universitä­t Tübingen und seit 2005 Ephorus des Evangelisc­hen Stifts in Tübingen.

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