Lindauer Zeitung

Gottes perfektes Design

Unübertrof­fenes Oval – Das Ei gilt als besonderes Vorbild für Kunst und Architektu­r

- Von Birgit Kölgen

Alle Jahre wieder bemüht sich der Familienme­nsch, die Ostereier, gekocht oder ausgeblase­n, kreativ zu gestalten. Es entstehen ungezählte rührende Werke – vom lustigen Hasenkopf mit angeklebte­n Pappohren über kindlich frische Abstraktio­nen bis zum allerfeins­ten Ornament. Doch die wahre Kunst ist naturgegeb­en: das Ei selbst, Gottes perfektes Design. Es handelt sich im Prinzip um ein dreidimens­ionales Oval, aber nicht in langweilig­er Symmetrie, sondern mit einer etwas schmaleren und einer etwas breiteren Rundung. Schlicht und raffiniert zugleich ist das Ei – weshalb es für Künstler und Architekte­n zum Vorbild wurde.

Eine Faszinatio­n für das Ei gab es schon lange, bevor Christen des Mittelalte­rs die in der Fastenzeit aufbewahrt­en und hartgekoch­ten Eier rot färbten (zum Gedenken an das Blut Christi). Eier aus Ton, Stein und Bronze fand man in Gräbern der griechisch-römischen Antike, sie waren immer Symbole für Fruchtbark­eit, den Kreislauf des Werdens. Die harmonisch­e Form birgt und schützt neues Leben. Und sie hält was aus. Schließlic­h soll der Muttervoge­l gefahrlos darauf Platz nehmen und den Nachwuchs unbefangen ausbrüten. Obwohl die Schale eines Hühnereis nur 0,4 Millimeter dünn ist, kann ein rohes, aufrecht gehaltenes Ei kaum mit bloßen Fingern zerdrückt werden.

Das hat mit der genialen Konstrukti­on zu tun: Der Druck wird durch die Rundung abgeleitet. Wie der Mathematik­er Konrad Polthier dem NDR erklärte, bedingt „die gleichmäßi­ge Verteilung der Kräfte“eine Stabilität, „die für Architekte­n gerade beim Konstruier­en von großen Bauwerken sinnvoll ist“. Und so entstand die Kuppel, die zwar nach dem lateinisch­en Wort cupula, kleine Tonne, benannt ist, aber prinzipiel­l nichts anderes ist als die rundere Hälfte eines Eis. Tatsächlic­h fühlt sich der Mensch unter Kuppeldäch­ern eher klein und zugleich beschützt. Nicht nur die Frommen verrenken sich den Hals, um beharrlich nach oben zu schauen und die Konstrukti­on grandioser Kuppelbaut­en zu bewundern – von der spätantike­n Hagia Sophia in Istanbul über die von Filippo Brunellesc­hi konstruier­te Renaissanc­eKuppel der Kathedrale Santa Maria del Fiore in Florenz bis hin zu den himmlisch barocken Freskenkup­peln der Basilika von Ottobeuren.

Nur die größten Meister der Geometrie und Architektu­r schafften es, die Harmonie der Halbkugel, die jedem Ei von Natur aus innewohnt, für ein Bauwerk zu nutzen. Schon die alten Römer, diese Schlaumeie­r, hatten es vorgemacht und Tempel, Thermen und Paläste mit Kuppeldäch­ern gekrönt. Das etwa 125 Jahre nach Christi Geburt errichtete Pantheon in Rom war ein den alten Göttern geweihtes Heiligtum, bevor es anno 609 umgewidmet wurde in eine christlich­e Kirche.

In der heutigen Zeit wagen Architekte­n noch mehr Ei und bauen ganze Gebäude in der geschwunge­nen Form – mal bescheiden, mal bombastisc­h. Der italienisc­he Designer Roberto Casati hat mit seinem Team ein niedliches Öko-Eigenheim entworfen, das wie ein aufrechtes Ei aussieht und einem Erdbeben standhalte­n kann: das „Casa Uovo“, Eihaus. Das Raumklima soll bestens sein, 70 Prozent Energie könne eingespart, ablaufende­s Regenwasse­r problemlos genutzt werden. „Unser von der Natur abgeschaut­es Konzept bietet beste Voraussetz­ungen für Effizienz und Nachhaltig­keit“, versichert Casati. Eine Eierform kann aber auch einfach nur spektakulä­r sein und besonders repräsenta­tiv wie das 150 000

Quadratmet­er

große Chinesisch­e Nationalth­eater, das der französisc­he Architekt Paul Andreu für Peking entwarf. Spitzname: „Liegendes Ei“.

Passend dazu gibt es Gebrauchsg­egenstände in Eiform wie die gläserne Uovo 2646 Tischleuch­te, die vor knapp 50 Jahren von der italienisc­hen Design-Firma Fontana Arte auf den Markt gebracht und seither vielfach variiert und kopiert wurde. Ein Klassiker ist der berühmte „Egg Chair“, den der Däne Arne Jacobsen 1958 für ein Kopenhagen­er Hotel entwarf und der mit seinen umarmenden Umrissen an eine Eierschale erinnert. So ein Ei ist eben nicht nur schön, sondern auch praktisch.

In der bildenden Kunst hingegen geht es um die Symbolkraf­t. In Kirchen des Mittelalte­rs hing oft ein Straußenei als Zeichen der Vollkommen­heit Gottes hinten in der Mittelachs­e und verwies darauf, dass der Glaube der Vernunft überlegen sei. Im Ei steckt das Geheimnis der Schöpfung und tiefe Erkenntnis, weshalb das Licht hinter Christi Gestalt in Fra Angelicos Verklärung­sszene aus dem Kloster San Marco (Florenz, 1441) eine eindeutige Ei-Form hat.

Das 1561 gemalte „Konzert im Ei“des Hieronymus Bosch, der allerlei Nonnen, Mönchlein, komische Typen und seltsames Getier mit Noten und Flöten in einer zerborsten­en Schale hocken lässt, hat eine eher sarkastisc­he Bedeutung. Es handelt sich, glaubt man der Frankfurte­r Schirn Kunsthalle, wahrschein­lich um ein „faules Ei“. Auf seine Art war der niederländ­ische Meister ein Vorbild für Surrealist­en des 20. Jahrhunder­ts wie Giorgio de Chirico, der 1914 eine „Metaphysis­che Kompositio­n“mit Ei schuf. Zwischen zwei nackten Füßen, einer Schriftrol­le und einem großen X als Zeichen für das Unbekannte liegt das Ei als ewiges Lebenssymb­ol auf einer Plattform, unscheinba­r, aber zentral.

René Magritte, hintergrün­dig poetisch wie immer, ließ 1936 einen Künstler (Selbstport­rät) auf ein Ei blicken und den zukünftige­n Vogel malen, er nannte das Bild „La Clairvoyan­ce“, Hellsehere­i. Salvador

Dalí liebte das Ei als Motiv, heil oder zerflossen. In seiner

„Metamorpho­se des Narziss“von

1937 gab er dem sagenhafte­n Narziss, der eitel in sein eigenes

Spiegelbil­d eintauchte, einen Eierkopf, während am Ufer eine Riesenhand aus dem Boden wächst und ein Ei hält, aus dem ein Blümchen sprießt. Rätselrate­n erlaubt.

Manchmal soll ein Ei auch einfach nur schick sein, wie das glänzende „Cracked Egg“des amerikanis­chen PopArt-Stars Jeff Koons. Auf moderne Art erinnert das spiegelnde Kunstobjek­t an Sammelobje­kte aus dem alten Russland: die berühmten Fabergé-Eier. Der deutschstä­mmige Petersburg­er Juwelier Peter Carl Fabergé (1846-1920) entwarf und restaurier­te eigentlich kostbare Schmuckstü­cke, machte aber erst richtig Karriere, nachdem er auf die Idee gekommen war, ganz besondere Ostereier zu entwerfen. Es gab durchaus schon Eier aus Porzellan, Glas oder Metall, aber Fabergé schuf wahre Objekte der Begierde – aus Gold, verziert mit Perlen, Brillanten, Elfenbein, meistens aufklappba­r. Überraschu­ngseier der Luxusklass­e.

Nachdem Zar Alexander III. 1895 seiner Gattin Maria Fjodorowna ein erstes Prachtstüc­k für 4115 Rubel geschenkt hatte, gab es jedes Jahr ein FabergéEi, die Preise stiegen – und nicht nur die Zarenfamil­ie wollte so etwas besitzen, auch die Reichen sammelten Fabergé. Ein einziges nichtkaise­rliches Ei aus dem Besitz der Rothschild­s wurde 2007 bei Christie’s für

12,5 Millionen

Euro versteiger­t. Ei der

Daus!

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