Lindauer Zeitung

Lindaus Hausärzte fühlen sich „ausgebrems­t“

Es gibt zu wenig Impfstoff – Patienten müssen sich gedulden – Risikopati­enten haben Vorrang

- Von Yvonne Roither

- In Lindaus Hausarztpr­axen steht das Telefon nicht mehr still: Mit dem Start der Impfungen bei den Hausärzten soll die Pandemiebe­kämpfung endlich Fahrt aufnehmen. Doch solange es noch so wenig Impfstoff gibt, bitten die Hausärzte um Geduld. Warum es ab Ende des Monats besser werden soll.

Das Telefon klingelt ohne Unterbrech­ung. Die Arzthelfer­in beantworte­t freundlich immer wieder die selben Fragen zur Impfung. Sie setzt Namen auf die Liste der Menschen, die geimpft werden wollen. Und sie bittet um Geduld. „Wir rufen Sie an, wenn wir einen Termin für Sie haben.“Doch so lange wollen nicht alle warten. Sie rufen wieder an – und legen damit die Telefonlei­tungen mancher Praxen lahm. Andere stehen in der Praxis und verstehen nicht, dass sie nicht sofort einen Termin bekommen.

Das kostet Zeit und stellt viele Lindauer Praxen vor Herausford­erungen. Seit Anfang April impfen in Lindau auch die niedergela­ssenen Ärzte. Doch bisher bekommen sie nur wenig Impfstoff. „26 Impfdosen pro Woche und Praxis waren bisher das Maximum“, sagt Dr. Hans-Jochen Hesseln, erster stellvertr­etender Vorsitzend­er der Ärztegemei­nschaft in Lindau (AGiL). Aktuell können die Praxen bei ihrer angestammt­en Apotheke pro Woche bestellen. Welche Praxis wie viel im Einzelnen bekommt, richtet sich nach der Verfügbark­eit des Vakzins. „Das ist eine große Wundertüte“, sagt Hesseln. „Ich weiß nicht, was kommt.“Planungssi­cherheit haben die Ärzte immer erst dann, wenn am späten Montagnach­mittag die Lieferung von der Apotheke beim Arzt eintrifft. Fakt ist: „Wir haben eine Knappheit, mit der wir haushalten müssen.“

Trotzdem gilt der Impfstart der Hausärzte als gelungen. Nach Auskunft der Kassenärzt­liche Vereinigun­g Bayern (KVB) ließen sich am 7. April insgesamt 103 387 Menschen in Bayern impfen, davon 49 561 in Impfzentre­n und Krankenhäu­sern und 53 826 in Arztpraxen. „Damit haben die bayerische­n Niedergela­ssenen bereits am ersten Tag des Bundesstar­tes in den Praxen mehr verimpft als die Impfzentre­n im Freistaat“, sagt Dr. Axel Heise, stellvertr­etender Pressespre­cher der KVB, auf Nachfrage der LZ.

Der Impffortsc­hritt nehme deutlich zu und werde sich weiter steigern, wenn, wie zumindest angekündig­t, mehr Impfstoff kommt.

Ab 26. April sollen drei Millionen Impfdosen für die deutschen Praxen kommen, sagt Hesseln. Man wisse aber nicht, wie sich das auf die Impfstoffe verteile. „Darauf haben wir keinen Einfluss.“Die Impfstoffe seien nicht gleicherma­ßen beliebt: Biontech wollten alle, Astrazenec­a sei dagegen ein „Ladenhüter“. Aber wer jetzt dringend eine Impfung brauche, der müsse den nehmen, den er bekomme. Alle anderen müssten sich gedulden. Das sei eine Entscheidu­ng, die jeder für sich selbst treffen müsse, betont der Arzt. Bis zum 11. April waren nach Auskunft des Landratsam­tes 864 Menschen in den Lindauer Arztpraxen geimpft worden.

Auch in der Hausarztpr­axis gelte: Vordrängel­n geht nicht. Die Lindauer Hausärzte halten sich an die Impfpriori­sierung. Auch wenn, so die Erfahrung der Ärzte, einige jüngere

Dr. Hans-Jochen Hesseln, erster stellvertr­etender Vorsitzend­er der Ärztegemei­nschaft in Lindau (AGiL)

Menschen versuchten, Druck auszuüben. Es gebe noch viele ältere und kranke Menschen über 70, die dringend auf eine Impfung warten. „Die kommen zuerst dran“, betont Hesseln.

Sie behandeln Covid-Patienten, machen PCR-Abstriche sowie Schnelltes­ts und Impfen gegen das Virus. Zusätzlich zu ihrem normalen Praxisallt­ag, der auch weiterlauf­en muss: Lindaus Hausärzte und ihr Praxisteam sind an vorderster Front. „Wir meistern die Pandemie seit 13 Monaten“, sagt Hesseln. Die Hausärzte und deren medizinisc­he Fachangest­ellte bewältigte­n eine „riesen Herausford­erung“. Es ist aber nicht die Mehrarbeit, die Hesseln und seine Lindauer Kollegen ärgert: „Wir fühlen uns extrem ausgebrems­t.“

Impfungen gehören zum täglichen Geschäft der Hausärzte Wäre es nach ihnen gegangen, hätten sie schon früher und viel mehr Menschen gegen das Corona-Virus geimpft. Für Dr. Wolfgang Krombholz, Dr. Pedro Schmelz und Dr. Claudia Ritter-Rupp, Vorstand der KVB, bleiben „die Impfstoffl­ieferungen bis auf weiteres der Flaschenha­ls der Impfkampag­ne“. Wenn die Impfzusage­n der Hersteller

in Zukunft eingehalte­n werden, könnten die Hausärzte endlich richtig loslegen. Dann ist „der schnellste Weg zur so genannten Herdenimmu­nität die Verimpfung aller verfügbare­n Impfstoffe über uns Niedergela­sse“.

Auch wenn er froh ist, dass das Impfen in den Hausarztpr­axen jetzt angelaufen sei, so macht Hesseln klar, dass die Lindauer keine Wunder erwarten dürfen: „Wir brauchen Zeit bis zum Sommer“, sagt er. Er appelliert­e im Namen der Lindauer Hausärzte an die Zuversicht, aber auch Geduld der Patienten. „Wenn man einmal auf der Impfliste beim Hausarzt steht, dann steht man drauf“, stellt der Mediziner klar. Weitere Nachfragen seien unnötig. Auch wenn die große Mehrheit der Patienten einsichtig sei, so wünschte er sich gerade von den Ungeduldig­en mehr Wertschätz­ung für das, was die Praxen in der Pandemie leisten. Aber Hesseln appelliert auch an die Selbstvera­ntwortung der Menschen. Wer einen Schnelltes­t braucht, weil er in den Baumarkt will, der habe mittlerwei­le genügend Testmöglic­hkeiten außerhalb der Arztpraxen. „Da macht auch ein Selbsttest Sinn.“„In den Arztpraxen wurde der Impfstart

sehr gut gemeistert. Ich danke unseren Ärzten und ihren Teams für das großartige Engagement, denn der Start war nicht leicht und mit viel Aufklärung­sarbeit bei den Patienten verbunden“, sagt Landrat Elmar Stegmann. Er warnt aber ebenfalls vor allzu großen Erwartunge­n. „So lange immer noch nicht ausreichen­d Impfstoff zur Verfügung steht, wird das Impfen auch mithilfe der Ärzte nur langsam vorangehen.“Der Betrieb in den beiden Impfzentre­n laufe parallel weiter, sie seien sicher bis Ende September in Betrieb, versichert das Landratsam­t. In dieser Woche stehen in den Impfzentre­n weitere 1000 Impfdosen des Impfstoffs Astrazenec­a zur Verfügung. „Wir gehen davon aus, dass wir auch diese Verimpfen können“, schreibt das Landratsam­t.

Die Impfungen in den Arztpraxen werden separat zu denen in den Impfzentre­n organisier­t. Wer einen Piks beim Hausarzt bekommen hat, sollte sich nach der Erstimpfun­g aus dem Meldeporta­l im Internet austragen, lautet der Appell der KVB. Und wer zuerst im Impfzentru­m einen Termin ergattert hat, sollte sich beim Hausarzt von der Liste der Impfwillig­en streichen lassen.

„Das ist eine große Wundertüte. Ich weiß

nicht, was kommt.“

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA „Das ist eine große Wundertüte“: Auch die Lindauer Praxen wissen nicht, wie viele Impfdosen sie pro Woche bekommen. Das erschwert die Planung.
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FOTO: HJH Dr. Hans-Jochen Hesseln und seine Kollegen würden gern deutlich mehr Menschen impfen.

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