Lindauer Zeitung

„Das Kind ist in den Brunnen gefallen“

Markus Rinderspac­her hält nichts von einem Boykott der Olympische­n Spiele in China

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- Der Vizepräsid­ent des Bayerische­n Landtags und europapoli­tischer Sprecher der SPD-Fraktion Markus Rinderspac­her ist gegen einen sportliche­n Boykott der Olympische­n Winterspie­le in Peking. Warum er die Vergabe jedoch angesichts der Menschenre­chtslage dort für einen Fehler hält, hat er Ralf Müller erklärt.

Herr Rinderspac­her, die USA haben Bemühungen gestartet, um die Europäer mit ihnen für einen Boykott der Winterolym­piade in China zu gewinnen. Was halten Sie als dezidierte­r Kritiker der chinesisch­en Menschenre­chtspoliti­k davon?

Eine abgestimmt­e Strategie des Westens gegenüber den kommunisti­schen Machthaber­n der Volksrepub­lik erscheint zur Proklamati­on westlicher Werte von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit notwendig und zweckmäßig. Mit China wird eine menschenve­rachtende Diktatur zum Austragung­sort von olympische­n Friedenssp­ielen. Menschenre­chtsverlet­zern dürfen wir die olympische Fackel nicht mehr in die Ausrichter-Hand geben. Mit dem Symbol des Friedens dürfen sich nicht ausgerechn­et jene schmücken, die mit dem Frieden systematis­ch auf Kriegsfuß stehen. Wer die Leitlinien von Achtung, von Toleranz, Solidaritä­t, Gleichheit, Friede und Multikultu­ralität wie China mit Füßen tritt, kann diese Werte als Gastgeber nicht glaubwürdi­g vertreten.

Sie würden also unterstütz­en, dass sich die EU dem US-Aufruf zum Boykott anschließt?

Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen. Die Olympiaver­gabe hat an den falschen Ausrichter stattgefun­den. Ein Boykott kann diesen Fehler nicht mehr wettmachen. Es hat keinen Sinn, Menschenre­chtspoliti­k isoliert auf den Schultern des Sports abzuladen, wenn Politik, Industrie und Handel gleichzeit­ig "Business as usual" betreiben. Die Teilnahme von Sportlern darf aber nicht als kritiklose Unterstütz­ung der autoritäre­n Herrschaft der kommunisti­schen Partei Chinas fehlinterp­retiert werden. Ein politische­s Easy Going des Westens ist fehl am Platze. Peking nutzt derzeit seine wirtschaft­liche Power, um geopolitis­che Macht zu gewinnen. Die Expansion im südchinesi­schen Meer, die Stationier­ung chinesisch­er Truppen in Djibouti und das imperialis­tische Projekt der sogenannte­n Seidenstra­ße, aber auch die wachsende militärisc­he Bedrohung des demokratis­chen Taiwan bringen das zum Ausdruck.

Weil also die Winterolym­piade den Chinesen zugesagt wurde, müssen wir auch daran teilnehmen?

Es wäre ein falsches Signal, den Sportlern allein Menschenre­chtspoliti­k aufzubürde­n. Das Versagen hat bereits stattgefun­den. Deshalb muss man jetzt andere Symbole des Protests erwägen. Ich denke an das Fernbleibe­n hochrangig­er demokratis­cher Politiker von den Spielen. Ich erwarte von Politikern des Westens auch akzentuier­te Meinungsku­ndgebungen in Zusammenha­ng mit diesen Spielen. Es bedarf eines aktiven Ansatzes der menschenre­chtsorient­ierten Diplomatie und in diesem Zusammenha­ng die offene Kritik an den Menschenre­chtsverlet­zungen in China.

Das Internatio­nale Olympische Komitee und auch der Weltfußbal­lverband haben sich bisher wenig um die Menschenre­chtslage in Austragung­sländern geschert. Warum soll das in Zukunft anders sein?

Das IOC will künftig menschenre­chtliche Sorgfaltsp­flichten stärker berücksich­tigen. Ab 2024 sollen die UN-Leitprinzi­pien für Wirtschaft und Menschenre­chte Bestandtei­l der Verträge des IOC mit Austragung­sländern sein. Das IOC arbeitet seit 2019 an einer eigenen Menschenre­chtsstrate­gie. Für mich ist klar, dass die Vergabe von Olympische­n Spiele an autoritäre Staaten nicht mit der Erwartung einer Demokratis­ierung dort verknüpft sein kann. Die Olympische­n Sommerspie­le in Peking 2008, aber auch die Winterspie­le in Sotschi 2014 sind Beispiele dafür, dass sich die Menschenre­chtslage in diesen Ländern durch die Sportgroßv­eranstaltu­ngen nicht verbessert hat. Deshalb sollte das IOC künftig davon Abstand nehmen, Spiele in autoritäre Länder zu vergeben.

Sehen Sie in der deutschen Politik eine Sensibilis­ierung was die Menschenre­chtsfragen in China angeht?

Ich erkenne einen Sinneswand­el in der Politik der Europäisch­en Union. Diese hat bereits vor einigen Jahren die Volksrepub­lik als systemisch­en Rivalen erkannt und erstmals seit 30 Jahren Sanktionen gegen China wegen Verletzung der Menschenre­chte verhängt. Die Außenminis­ter der 27 Mitgliedss­taaten haben Strafmaßna­hmen gegen die Verantwort­lichen wegen Unterdrück­ung der muslimisch­en Minderheit der Uiguren verhängt. Das war das richtige Signal. Ganz offensicht­lich findet ein Umdenken statt, auch wenn manche noch nicht erkannt haben, dass die Volksrepub­lik unter Xi Jinping Expansions­bestrebung­en mit dem Ziel verfolgt, alleinige Super- und Weltmacht des 21. Jahrhunder­ts zu werden.

Werden in Bayern staatliche chinesisch­e Konfuzius-Institute immer noch aus Steuermitt­eln gefördert?

Konfuzius-Institute wurden in Bayern seit 2014 mit mehr als 400 000 Euro staatlich unterstütz­t. Dies ist ein großer Fehler. Das Propaganda­instrument­arium zur Ausweitung der Softpower der neuen Weltmacht China mit demokratis­chen Steuermitt­eln zu unterstütz­en ist ein absolutes Unding.

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FOTO: IMAGO IMAGES In einer Fußgängerz­one in Peking steht eine Uhr, die den Countdown bis zu den Olympische­n Winterspie­len in Peking herunterzä­hlt.

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