Wenn’s im Gleisdreieck mal wieder länger dauert
Schranken bleiben unten, wenn der Zug längst schon durch ist – Mit Verbesserungen ist vorerst nicht zu rechnen
- Wer im Lindauer Gleisdreieck wohnt, ist Kummer gewohnt. Doch seit die Deutsche Bahn mit der Digitalisierung begonnen hat, ist das Leid der Anwohner größer geworden. Sie müssen jetzt noch mehr Zeit verbringen, vor geschlossenen Ampeln zu warten. Und das wird sich aller Voraussicht nach nicht so schnell ändern.
„An den Übergängen im Hasenweidweg dauert es nach sehr rechtzeitiger Schließung nach der letzten Zugdurchfahrt teilweise bis zu zwei Minuten, bis die Schranken wieder geöffnet werden“, sagt Wolfgang Höscheler, der dort wohnt. Am Übergang im Westen des Hasenweidwegs sei es noch deutlich schlimmer. Dort beobachte er, dass es auch mal eine Viertelstunde dauern könne, bis eine Schranke wieder hoch gehe. „In Extremfällen waren die Schranken sogar schon 20 Minuten unten“, berichtet er. In der Zeit habe er dann drei Züge durchfahren gesehen.
Im Lindauer Gleisdreieck gibt es fünf Bahnübergänge. Von den langen Schließzeiten ist neben den Bahnübergängen Hasenweidweg West und Ost vor allem noch der Bahnübergang am Lotzbeckweg betroffen. Der Übergang am Hasenweidweg Ost ist derzeit für längere Zeit komplett gesperrt. Angaben der Bahn zufolge müssen die Übergänge im Gleisdreieck noch erneuert und in das elektronische Stellwerk integriert werden, das im vergangenen Jahr in Betrieb gegangen ist. Mit der Inbetriebnahme sei geplant gewesen, alle alten Schrankenanlagen, die noch durch Schrankenwärter bedient werden, entweder durch Bauwerke wie Unterführungen oder durch automatische Schrankenanlagen zu ersetzen. Für die Bahnübergänge im Gleisdreieck habe dies nicht rechtzeitig umgesetzt werden können.
Solange das noch nicht passiert ist, werden die Schranken weiterhin mechanisch betätigt. Die alte Technik sei entsprechend angepasst worden, teilt die Pressestelle der Deutschen Bahn mit. Das bedeutet, dass jeweils ein Schrankenwärter für die Öffnung und Schließung jedes Bahnübergangs zuständig ist. Die Aufträge erhalten die Schrankenwärter seit der Digitalisierung nicht mehr vom örtlichen Stellwerk, sondern – wie die Bahn es nennt – „fernmündlich“vom zuständigen Fahrdienstleiter in der Zentrale in Immenstadt im Allgäu. „Über das Telefon werden nur die bevorstehenden Schrankenschließungen abgestimmt, die Schlüsselfreigaben werden digital über das Netzwerk des elektronischen Stellwerks übertragen“, heißt es.
Die Bahn erläutert das Vorgehen so: „Die Schnittstelle zwischen alter und neuer Technik erfolgt über einen ,Schlüssel’, mit dem der Schrankenwärter die Schließung der Schranken bestätigt. Dieser Schlüssel kann – technisch abgesichert – erst nach der Zugfahrt über den Bahnübergang vom Fahrdienstleiter in Immenstadt dem Schrankenwärter zum Öffnen der Schranken wieder freigegeben oder für die nächste Zugfahrt erneut blockiert werden. Diese zusätzlichen Bedienhandlungen führen zu längeren Schrankenschließzeiten, insbesondere wenn die Zeit zwischen zwei Zugfahrten nicht für eine Öffnung reicht.“
Wolfgang Höscheler wundert sich darüber, dass ausgerechnet eine Modernisierung für solche Verzögerungen sorgt. „Die Schrankenschließzeiten waren auch vor der Digitalisierung lang“, sagt er. „Ich finde es gut, dass die Bahn investiert, aber von der Digitalisierung hätte ich mir schon Verbesserungen erwartet.“Bis das Signal aus dem Allgäu über die Telefonleitung am Bodensee ankommt, scheint doch etwas mehr Zeit ins Land zu ziehen. „Der Schrankenwärter bekommt aus Immenstadt das Signal dafür, dass der Zug durchgefahren ist und er die Schranke öffnen kann – was er mit eigenen Augen schon ein paar Minuten zuvor ja schon gesehen hat“, sagt Höscheler.
Die Schranken bleiben aber nicht zwangsläufig über einen längeren Zeitraum unten, wenn mehrere Züge nacheinander durchfahren. Nachts und am frühen Morgen öffnen sie auch zwischendurch. Dann seien die Schranken noch nicht einmal ganz oben, wenn sie sich schon wieder senken. „Ab 4 Uhr, aber vor allem so gegen 5/6 Uhr in Früh fahren mehrere Züge in kürzerer Zeit“, sagt Höscheler. Zu einer Zeit, in der kaum jemand unterwegs sei, öffnen die Schranken eher nach jeder Durchfahrt. „Ergebnis für uns Anwohner: Keiner braucht’s, aber es bimmelt zu Schlafenszeiten öfter als nötig. Und wenn wir tagsüber aus dem Quartier heraus wollen oder müssen, heißt es ,bitte warten’“, fasst er seine Sicht auf die Dinge zusammen.
Wie die Bahn erläutert, sei in Zeiten mit geringerer Zugdichte das Öffnen der Schranken nach jeder Zugfahrt in den meisten Fällen möglich, während bei höherer Zugdichte die Schranken häufiger für mehrere Zufahrten geschlossen bleiben müssen, da die Zeit zwischen den Zugfahrten nicht für eine Öffnung der Schranken ausreiche.
Und was ist, wenn Einsatzkräfte wie der Notarzt oder die Feuerwehr ins Gleisdreieck müssen, sie aber vor verschlossenen Schranken stehen? Bis jetzt sei noch kein Fall bekannt, sagt die Bahn. „Der Schrankenwärter informiert in diesem Sonderfall den Fahrdienstleiter. Gegebenenfalls werden dann Züge im betroffenen Abschnitt zurückgehalten, um eine schnellstmögliche Öffnung der Schranken sicherzustellen.“
Laut der Deutschen Bahn soll die derzeitige Situation im Gleisdreieck zwar nicht zum Dauerzustand werden, doch eine Lösung ist im Moment trotzdem nicht in Sicht. „Die Verbesserung der Situation an den Bahnübergängen erfolgt gemeinsam mit der Stadt Lindau als Kreuzungspartner.
Anwohner Wolfgang Höscheler
Pressestelle der Deutschen Bahn
Im Zielzustand werden alle alten Bahnübergangsanlagen durch moderne Technik oder Bauwerke ersetzt, die Planungen laufen bereits seit mehreren Jahren“, teilt die Bahn mit.
Das große Ziel scheint allerdings noch in weiter Ferne: „Der Fertigstellungstermin kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verbindlich angegeben werden“, heißt es. Die Baurechtsverfahren seien teilweise bereits
ANZEIGE abgeschlossen, teilweise bereits beantragt und zum Teil noch in der Erstellung. Aufgrund der umfangreichen Betroffenheiten, der gegenseitigen Abhängigkeiten und der schwierigen bautechnischen Umsetzbarkeit seien diese Verfahren zeitintensiv.
Im elektronischen Stellwerk plant die Bahn zwar noch weitere Softwarewechsel. Doch davon sollten sich die Anwohner des Gleisdreiecks besser nicht zu viel erwarten. Sie werden „zu keiner Verbesserung der Situation an den Bahnübergängen“führen, schreibt die Bahn. Und: „Alle technisch möglichen Verbesserungen wurden hier bereits umgesetzt.“
Immerhin sind am Lotzbeckweg und am Hasenweidweg Ost Unterführungen geplant. Sobald die gebaut sind, werden die Wartezeiten an Schranken entfallen. Aber bis die fertig sind, dauert es noch eine Weile.
„In Extremfällen waren die Schranken sogar schon 20 Minuten
unten.“
„Alle technisch
möglichen Verbesserungen wurden hier bereits
umgesetzt.“