Betten gibt es genug, aber Personal fehlt
Manche der Kliniken im Südwesten geraten bei der Intensivversorgung an ihre Grenzen
- Die Auswirkungen der Osterfeiertage kommen mit voller Wucht: Kliniken in der Region geraten wieder an ihre Kapazitätsgrenzen. Meistens ist der entscheidende Faktor aber nicht die Bettenkapazität auf den Intensivstationen, sondern das ausgebildete Personal. Es fehlt. Intensivmediziner forden einen harten Lockdown und langfristig bessere Gehälter für überlastete Pflegerinnen und Pfleger.
Die dritte Welle traf das Tuttlinger Klinikum hart. Am vergangenen Wochenende sind so viele Corona-Patienten in die Klinik gekommen, dass die Intensivbetten alle belegt sind. Teilweise mit Corona-Patienten, teilweise sind es andere Kranke. Acht müssen beatmet werden. Die eigens für Covid-Patienten eingerichtete Isolierstation mit 15 Plätzen ist auch voll. Jetzt muss die Klinik eine weitere einrichten. Platztechnisch ist das kein Problem. Anderweitig aber schon. „Ein Kraftakt für das Personal“beschreibt Aline Riedmüller, Sprecherin der Klinik, die Situation. Wegen der vielen Patienten sind seit wenigen Tagen auch im Aufwachraum vier weitere Betten für Intensivpatienten eingerichtet. Das klappt aber nur, weil Mitarbeiter aus der Anästhesie- und Normalstation mithelfen. Das Personal ist knapp, wie in vielen anderen Kliniken auch.
Im Klinikum Sigmaringen sind 15 Pflegestellen nicht besetzt, gleichzeitig sind zwölf der insgesamt 14 Betten auf der Intensivstation am Freitag belegt. In Ehingen wird – während die Intensivstation aktuell voll besetzt ist – weniger operiert, weil das Personal fehlt. In Ravensburg und Friedrichshafen sind zwar noch Betten frei, beide Kliniken befürchten aber, künftig Operationen verschieben zu müssen. Auch bei den bayerischen Nachbarn in Lindau ist die Situation angespannt, Stand
Donnerstag sind in der AsklepiosKlinik alle sechs Intensivbetten belegt. Die Hälfte davon mit Covid-Patienten.
Der baden-württembergische Koordinator für die intensivmedizinische Versorgung von Covid-Patienten, Götz Geldner, sieht den Hauptgrund für begrenzte Kapazitäten im Personal. Viele Pflegekräfte würden wegen der Belastung aufgeben, andere in Zeitarbeit gehen, weil dort höhere Gehälter als im öffentlichen Dienst bezahlt würden.
Einer am Freitag im Wirtschaftsmagazin „Business Insider“veröffentlichten Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin zufolge wollen 31 Prozent der nichtärztlichen Mitarbeitenden und 19 Prozent des ärztlichen Personals in den kommenden zwölf Monaten die
Im Internet kursieren Videos, in denen unterstellt wird, dass Kliniken Betten reduziert hätten, um den Lockdown oder die CoronaMaßnahmen zu begründen. In einem Video behauptet die LinkenPolitikerin Sarah Wagenknecht, dass laut Zahlen des DIVI-Intensivregisters 6000 Betten „einfach so verschwunden“seien. In anderen Videos wird unterstellt, Kliniken hätten Betten abgebaut, um Ausgleichszahlungen zu erhalten.
Was die Macher der Videos nicht beachten, worauf aber das Recherchezentrum „Correctiv“hinweist: In den DIVI-Statistiken wird täglich der gemeldete Ist-Zustand der tatsächlich betreibbaren Intensivbetten veröffentlicht. Es enthält nur die Daten, die Krankenhäuser selbst melden. Dafür spielt es beispielsweise eine Rolle, ob ausreichend Personal und Ressourcen
Intensivmedizin oder die Notfallmedizin beziehungsweise den Rettungsdienst verlassen. Zudem planen 46 Prozent beziehungsweise 30 Prozent der jeweiligen Berufsgruppen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Auch die Gewerkschaft Verdi forderte in dieser Woche die Politik auf, auf das Personalproblem zu schauen. Immer häufiger fehle qualifiziertes und erfahrenes Personal. „Wir müssen jetzt so steuern, dass die Beschäftigten uns noch helfen können, wenn wir als Notfall in die Klinik eingeliefert werden“, sagt die Verdi-Gesundheitsexpertin Irene Gölz. Wichtig ist dafür eine Übersicht über die Kapazitäten. Zahlen zu den belegten und verfügbaren Intensivbetten liefern die Krankenhäuser und Kliniken im ganzen Land täglich an das Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und zum Betrieb eines Intensivbetts vorliegen. Gibt es ein Bett, das gerade aber nicht im Einsatz ist, weil sich kein Personal kümmern kann, wird es nicht aufgeführt. Die Personalsituation aber schwankt, auch durch Erkrankungen während der Corona-Wellen.
Zudem weist die DIVI darauf hin, dass seit August eine zusätzliche Notfallreserve angegeben wird.
Das seien Intensivbetten, die „zusätzlich geschaffen wurden, aktuell inaktiv gehalten werden und nicht Gegenstand der täglichen Bettenplanung sind“, wie auf der DIVIWebseite nachzulesen ist. Die Daten würden nahelegen, dass ein Teil der vorher gemeldeten freien Kapazitäten nun von den Kliniken als Notfallreserven gemeldet würden, heißt es weiter. Zahlen unterschiedlicher Zeiträume zu vergleichen sei deshalb nicht sinnvoll. (saf)
Notfallmedizin, kurz DIVI. Eingeteilt in Landkreise sind sie dort abrufbar.
In Einzelfällen zeigt sich aber: Die Zahlen können irreführend sein. Ein Beispiel bietet die Biberacher Klinik. Während es nach den DIVI-Statistiken so aussieht, als hätte die Klinik Betten abgebaut, wurden diese tatsächlich laut eigenen Angaben mehr als verdoppelt. Die Anzahl der Beatmungsplätze wurde von sechs auf 14 erhöht. Das Problem: Im DIVI-Register waren im letzten Jahr nicht alle sogenannten „High-Care-Betten“aufgeführt. Davon gibt es eigentlich 24. Aber nur 14 sind mit Beatmungsgeräten ausgerüstet. Und nur diese waren in der Statistik vermerkt. Zwar können alle „High-Care-Betten“schwer kranke Menschen behandeln, aber für die Intensivtherapiebetten mit Beatmungsgerät wird spezielles Fachpersonal gebraucht, und das rund um die Uhr. Das ist nur für 14 Betten verfügbar. „Die Erhöhung der von uns betriebenen Intensivbetten auf 14 schöpft unsere personellen Ressourcen im Intensiv-Fachpflegebereich komplett aus“, schreibt Filiz Korkmaz von der Biberacher Klinik. Die Situation sei „sehr angespannt“.
Ein anderes Beispiel zeigt sich im Ostalbkreis: Von den 55 aus dem Kreis gemeldeten Betten stehen 20 im Fachkrankenhaus Neresheim für Schädelund Hirnverletzte. Corona-Patienten werden dort nicht behandelt. Falls die anderen Kliniken im Landkreis überlaufen, könne das Neresheimer Haus höchstens Nicht-Covid-Patienten auf der Intensivstation aufnehmen, sagt der ärztliche Direktor Bernd Eifert. Das gehe aber nur mit Vorlauf. „Hier hinkt das System.“Eigentlich müssten die 20 Betten aus dem Register gestrichen werden, so Eifer.
Mehr Grafiken zur Belegung: www.schwäbische.de/intensivbetten