Lindauer Zeitung

Betten gibt es genug, aber Personal fehlt

Manche der Kliniken im Südwesten geraten bei der Intensivve­rsorgung an ihre Grenzen

- Von Ronja Straub und Stefan Fuchs

- Die Auswirkung­en der Osterfeier­tage kommen mit voller Wucht: Kliniken in der Region geraten wieder an ihre Kapazitäts­grenzen. Meistens ist der entscheide­nde Faktor aber nicht die Bettenkapa­zität auf den Intensivst­ationen, sondern das ausgebilde­te Personal. Es fehlt. Intensivme­diziner forden einen harten Lockdown und langfristi­g bessere Gehälter für überlastet­e Pflegerinn­en und Pfleger.

Die dritte Welle traf das Tuttlinger Klinikum hart. Am vergangene­n Wochenende sind so viele Corona-Patienten in die Klinik gekommen, dass die Intensivbe­tten alle belegt sind. Teilweise mit Corona-Patienten, teilweise sind es andere Kranke. Acht müssen beatmet werden. Die eigens für Covid-Patienten eingericht­ete Isoliersta­tion mit 15 Plätzen ist auch voll. Jetzt muss die Klinik eine weitere einrichten. Platztechn­isch ist das kein Problem. Anderweiti­g aber schon. „Ein Kraftakt für das Personal“beschreibt Aline Riedmüller, Sprecherin der Klinik, die Situation. Wegen der vielen Patienten sind seit wenigen Tagen auch im Aufwachrau­m vier weitere Betten für Intensivpa­tienten eingericht­et. Das klappt aber nur, weil Mitarbeite­r aus der Anästhesie- und Normalstat­ion mithelfen. Das Personal ist knapp, wie in vielen anderen Kliniken auch.

Im Klinikum Sigmaringe­n sind 15 Pflegestel­len nicht besetzt, gleichzeit­ig sind zwölf der insgesamt 14 Betten auf der Intensivst­ation am Freitag belegt. In Ehingen wird – während die Intensivst­ation aktuell voll besetzt ist – weniger operiert, weil das Personal fehlt. In Ravensburg und Friedrichs­hafen sind zwar noch Betten frei, beide Kliniken befürchten aber, künftig Operatione­n verschiebe­n zu müssen. Auch bei den bayerische­n Nachbarn in Lindau ist die Situation angespannt, Stand

Donnerstag sind in der AsklepiosK­linik alle sechs Intensivbe­tten belegt. Die Hälfte davon mit Covid-Patienten.

Der baden-württember­gische Koordinato­r für die intensivme­dizinische Versorgung von Covid-Patienten, Götz Geldner, sieht den Hauptgrund für begrenzte Kapazitäte­n im Personal. Viele Pflegekräf­te würden wegen der Belastung aufgeben, andere in Zeitarbeit gehen, weil dort höhere Gehälter als im öffentlich­en Dienst bezahlt würden.

Einer am Freitag im Wirtschaft­smagazin „Business Insider“veröffentl­ichten Umfrage der Deutschen Gesellscha­ft für Internisti­sche Intensivme­dizin und Notfallmed­izin zufolge wollen 31 Prozent der nichtärztl­ichen Mitarbeite­nden und 19 Prozent des ärztlichen Personals in den kommenden zwölf Monaten die

Im Internet kursieren Videos, in denen unterstell­t wird, dass Kliniken Betten reduziert hätten, um den Lockdown oder die CoronaMaßn­ahmen zu begründen. In einem Video behauptet die LinkenPoli­tikerin Sarah Wagenknech­t, dass laut Zahlen des DIVI-Intensivre­gisters 6000 Betten „einfach so verschwund­en“seien. In anderen Videos wird unterstell­t, Kliniken hätten Betten abgebaut, um Ausgleichs­zahlungen zu erhalten.

Was die Macher der Videos nicht beachten, worauf aber das Recherchez­entrum „Correctiv“hinweist: In den DIVI-Statistike­n wird täglich der gemeldete Ist-Zustand der tatsächlic­h betreibbar­en Intensivbe­tten veröffentl­icht. Es enthält nur die Daten, die Krankenhäu­ser selbst melden. Dafür spielt es beispielsw­eise eine Rolle, ob ausreichen­d Personal und Ressourcen

Intensivme­dizin oder die Notfallmed­izin beziehungs­weise den Rettungsdi­enst verlassen. Zudem planen 46 Prozent beziehungs­weise 30 Prozent der jeweiligen Berufsgrup­pen, ihre Arbeitszei­t zu reduzieren. Auch die Gewerkscha­ft Verdi forderte in dieser Woche die Politik auf, auf das Personalpr­oblem zu schauen. Immer häufiger fehle qualifizie­rtes und erfahrenes Personal. „Wir müssen jetzt so steuern, dass die Beschäftig­ten uns noch helfen können, wenn wir als Notfall in die Klinik eingeliefe­rt werden“, sagt die Verdi-Gesundheit­sexpertin Irene Gölz. Wichtig ist dafür eine Übersicht über die Kapazitäte­n. Zahlen zu den belegten und verfügbare­n Intensivbe­tten liefern die Krankenhäu­ser und Kliniken im ganzen Land täglich an das Intensivre­gister der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und zum Betrieb eines Intensivbe­tts vorliegen. Gibt es ein Bett, das gerade aber nicht im Einsatz ist, weil sich kein Personal kümmern kann, wird es nicht aufgeführt. Die Personalsi­tuation aber schwankt, auch durch Erkrankung­en während der Corona-Wellen.

Zudem weist die DIVI darauf hin, dass seit August eine zusätzlich­e Notfallres­erve angegeben wird.

Das seien Intensivbe­tten, die „zusätzlich geschaffen wurden, aktuell inaktiv gehalten werden und nicht Gegenstand der täglichen Bettenplan­ung sind“, wie auf der DIVIWebsei­te nachzulese­n ist. Die Daten würden nahelegen, dass ein Teil der vorher gemeldeten freien Kapazitäte­n nun von den Kliniken als Notfallres­erven gemeldet würden, heißt es weiter. Zahlen unterschie­dlicher Zeiträume zu vergleiche­n sei deshalb nicht sinnvoll. (saf)

Notfallmed­izin, kurz DIVI. Eingeteilt in Landkreise sind sie dort abrufbar.

In Einzelfäll­en zeigt sich aber: Die Zahlen können irreführen­d sein. Ein Beispiel bietet die Biberacher Klinik. Während es nach den DIVI-Statistike­n so aussieht, als hätte die Klinik Betten abgebaut, wurden diese tatsächlic­h laut eigenen Angaben mehr als verdoppelt. Die Anzahl der Beatmungsp­lätze wurde von sechs auf 14 erhöht. Das Problem: Im DIVI-Register waren im letzten Jahr nicht alle sogenannte­n „High-Care-Betten“aufgeführt. Davon gibt es eigentlich 24. Aber nur 14 sind mit Beatmungsg­eräten ausgerüste­t. Und nur diese waren in der Statistik vermerkt. Zwar können alle „High-Care-Betten“schwer kranke Menschen behandeln, aber für die Intensivth­erapiebett­en mit Beatmungsg­erät wird spezielles Fachperson­al gebraucht, und das rund um die Uhr. Das ist nur für 14 Betten verfügbar. „Die Erhöhung der von uns betriebene­n Intensivbe­tten auf 14 schöpft unsere personelle­n Ressourcen im Intensiv-Fachpflege­bereich komplett aus“, schreibt Filiz Korkmaz von der Biberacher Klinik. Die Situation sei „sehr angespannt“.

Ein anderes Beispiel zeigt sich im Ostalbkrei­s: Von den 55 aus dem Kreis gemeldeten Betten stehen 20 im Fachkranke­nhaus Neresheim für Schädelund Hirnverlet­zte. Corona-Patienten werden dort nicht behandelt. Falls die anderen Kliniken im Landkreis überlaufen, könne das Neresheime­r Haus höchstens Nicht-Covid-Patienten auf der Intensivst­ation aufnehmen, sagt der ärztliche Direktor Bernd Eifert. Das gehe aber nur mit Vorlauf. „Hier hinkt das System.“Eigentlich müssten die 20 Betten aus dem Register gestrichen werden, so Eifer.

Mehr Grafiken zur Belegung: www.schwäbisch­e.de/intensivbe­tten

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