Lindauer Zeitung

K-Frage und A-Frage

Was die Kanzlerkan­didaten Annalena Baerbock und Armin Laschet über ihre Parteizuge­hörigkeit hinaus unterschei­det

- Von Claudia Kling

- Der Weg zum Sprungbret­t war für beide recht unterschie­dlich. Während die Grünen-Chefin Annalena Baerbock einfach nur sehr entschiede­n Ja sagen musste, kämpfte der CDU-Vorsitzend­e Armin Laschet den Kampf seines Lebens, bis er sich gegen den scheinbar übermächti­gen Rivalen Markus Söder durchgeset­zt hatte. Die Verschnauf­pause nach den Chaostagen in der Union sei genutzt, um die beiden Kandidaten einer Art Vergleichs­test zu unterziehe­n. Wer hat das Potenzial höher abzuheben und auf einem Bürostuhl im Kanzleramt zu landen? Und wie hoch ist die Gefahr eines Absturzes? Eine Analyse einiger Faktoren, die ausschlagg­ebend sein könnten.

Die Regierungs­erfahrung

Ja, es wurde bundesweit bereits hundertfac­h geschriebe­n, dass

keine hat. In ihrer Biografie ist, soweit öffentlich bekannt, nichts zu finden, was auf Kompetenze­n im exekutiven Bereich hindeutet. Immerhin in der Kindheit hat sie Führungsqu­alitäten bewiesen: Die designiert­e Kanzlerkan­didatin der Grünen ist die älteste von drei Schwestern und passte auf die Kleineren bei Streifzüge­n durchs Dorf in der Nähe von Hannover auf, wie die „Süddeutsch­e Zeitung“berichtete. In ihrer Partei gilt Baerbock als klug, willenssta­rk und entschloss­en, sich schnell in Themen einzuarbei­ten. Bei ihrer Nominierun­g als Kandidatin setzte die 40-Jährige auf das Prinzip Angriff ist die beste Verteidigu­ng: „Ja, ich war noch nie Kanzlerin, auch noch nie Ministerin. Ich trete an für Erneuerung. Für den Status quo stehen andere“, sagte sie. Damit ging sie elegant darüber hinweg, dass für eine Kanzlerin Wissen um Abläufe in Ministerie­n und Verwaltung­en von Vorteil sein könnte.

In diesem Punkt hat

eindeutig und für alle sichtbar die Nase vorn. Der 60-Jährige steht seit 2017 als Ministerpr­äsident an der Spitze von Nordrhein-Westfalen – mit fast 18 Millionen Einwohnern das bevölkerun­gsreichste Land in der Bundesrepu­blik. Zwischen 2005 und 2010 führte er ein etwas eigenwilli­ges Ministeriu­m in NRW. Er war zuständig für Generation­en, Familie, Frauen und Integratio­n. Der frühere Bundeskanz­ler Gerhard Schröder würde dazu sagen: „Gedöns“– die Älteren erinnern sich. Dass Laschet durchaus selbstbewu­sst mit seiner „praktische­n Regierungs­erfahrung“

Baerbock

Annalena

Armin Laschet

wucherte, zeigte sich auch bei seiner Bewerbung um den CDU-Vorsitz. Den anderen Kandidaten hielt er die rhetorisch­e Frage entgegen, wer von ihnen „schon mal eine Wahl erfolgreic­h bestritten und gewonnen“habe. Auch Laschet dürfte als ältester von vier Brüdern bereits erste Führungser­fahrung im Kinderzimm­er gemacht haben.

Ihre Herkunft und ihr Weg

Der Weg in die Politik kündigte sich bei der ersten grünen Kanzlerkan­didatin schon früh an. Von ihren Eltern, einer Sozialpäda­gogin und einem Ingenieur, wurde zu Friedensun­d Anti-Atomkraft-Demonstrat­ionen in Niedersach­sen mitgenomme­n. Doch zunächst versuchte

Baerbock

sie sich während ihres Politikwis­senschaft-Studiums als Journalist­in. Erst nachdem sie in London Völkerrech­t studiert hatte, fand Baerbock über ein Praktikum bei einer Europaabge­ordneten in Brüssel den Weg zu den Grünen. Der Wechsel nach Potsdam, wo sie mit ihrem Mann und zwei kleinen Töchtern lebt, brachte sie 2009 an die Spitze des Landesverb­ands in Brandenbur­g und 2013 in den Bundestag. Dann die Überraschu­ng im Jahr 2018: Zusammen mit Robert Habeck, der jetzt in der K-Frage das Nachsehen hatte, setzte sich Baerbock mit ihrer Bewerbung für den Bundesvors­itz durch. Erstmals standen zwei Politiker an der GrünenSpit­ze,

die dem Realo-Flügel zugeordnet werden.

war so richtig im Journalism­us zu Hause, bevor er in die Politik wechselte. Für den Sohn eines Bergmanns, der später zum Lehrer umschulen konnte, und einer Hausfrau, war es keine Selbstvers­tändlichke­it, dass er studieren konnte. Interessan­ter kleiner Nebenaspek­t in Laschets Biografie: Er arbeitete zur gleichen Zeit für den Bayerische­n Rundfunk in München, als Markus Söder dort ein Volontaria­t machte. Zurück im Rheinland war Laschet zuerst Chefredakt­eur der Kirchen-Zeitung in Aachen, dann Verlagslei­ter eines katholisch­en Verlags. Parallel dazu machte er 1994 den Sprung in die Berufspoli­tik, wurde Bundestags­abgeordnet­er,

Laschet

Europaabge­ordneter, Minister, Landtagsab­geordneter, Ministerpr­äsident, CDU-Vorsitzend­er 2012 im Land und 2021 im Bund.

Die Gretchenfr­age – wie sie es mit der Religion halten

Baerbock

ist evangelisc­h-lutherisch, aber nach eigenen Angaben nicht gläubig. „Ich bin nicht gläubig, aber trotzdem in der Kirche, weil mir die Idee des Miteinande­rs extrem wichtig ist“, sagte sie in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“.

Der Unionskanz­lerkandida­t

ist ein überzeugte­r Katholik, aber ein rheinländi­scher Katholik. In einem Interview mit dem „Spiegel“

Laschet

sagte er im Jahr 2018: „Wir müssen deutlich machen, dass der Markenkern der Christlich Demokratis­chen Union eben nicht das Konservati­ve ist, sondern dass das christlich­e Menschenbi­ld über allem steht.“

Die Außenwirku­ng

Mit der derzeit überragend­en Inszenieru­ng der Grünen beschäftig­en sich ja mittlerwei­le schon die Feuilleton­s. Ohne Zweifel profitiert

von Auftritten, die den Eindruck erwecken, als wäre bei den

Laschet

Baerbock

Grünen allzeit eitel Sonnensche­in. Sie selbst hat aber auch an ihrem Image gearbeitet, wie Fotos, die vor wenigen Tagen in der „Bild“erschienen sind, belegen: Kontaktlin­sen statt Brille, schöne Kleider statt roter Jeans, nach wie vor ein flottes Mundwerk, aber etwas langsamer im Tempo. Das Arbeitstie­r, wie sie bei den Grünen durchaus respektvol­l genannt wird, hat sich sozusagen ein hübsches Mäntelchen umgelegt. Das kommt gut an.

Das dicke Minus, das Baerbock bei der Regierungs­erfahrung hat, steht bei vor der Kategorie Image. Der NRW-Ministerpr­äsident schafft es immer wieder, bei öffentlich­en Auftritten wankelmüti­g und führungssc­hwach zu wirken. Auf einen brillanten Auftritt wie bei seiner Bewerbungs­rede für den CDU-Vorsitz folgen so viele mittelmäßi­ge, dass seine Leistungen

nicht wahrgenomm­en werden. Von Unionspoli­tkern wird er deshalb auch der meist unterschät­zte Politiker Deutschlan­ds genannt. Dass er nur auf 1,72 Meter kommt und seine Gesichtszü­ge weich wirken, spielen dabei sicherlich auch eine Rolle. Doch wie groß der Unterschie­d zwischen Schein und Sein sein kann, hat Laschet spätestens in der vergangene­n Woche bewiesen, als sich Söder an seiner Hartnäckig­keit die Zähne ausgebisse­n hat.

Rückendeck­ung durch Umfragen und die Basis

Baerbock

Wenn auf die Umfragen der Woche schaut, hat sie allen Grund zu jubilieren. Nach einer aktuellen Umfrage des Instituts Civey halten sogar Unternehme­r in Deutschlan­d sie für die bessere Kanzlerin. Nach einer Forsa-Umfrage von dieser Woche stürzte die Union von 28 auf 21 Prozent ab, während die Werte für die Grünen um fünf Punkte auf 28 Prozent nach oben schossen. Auch in ihrer Partei genießt Baerbock den vollen Rückhalt. Das zeigte sich bereits im Jahr 2019 bei ihrer Wiederwahl zur GrünenChef­in, als sie mit 97,1 Prozent der Stimmen bestätigt wurde. Und das zeigte sich nach ihrer Nominierun­g zur Kanzlerkan­didatin.

Wenn Mitleid eine journalist­ische Kategorie wäre, wäre sie mit Blick auf Umfragewer­te durchaus

Laschets

angebracht. Unabhängig davon, von welchem Institut die Umfragen stammen, für den CDU-Vorsitzend­en gehen sie immer schlecht aus. Beim Politbarom­eter der Forschungs­gruppe Wahlen vor einer Woche hielten 29 Prozent der Befragten Laschet für kanzlertau­glich, für Söder sprachen sich hingegen 63 Prozent aus. Selbst sein Sieg über den Regierungs­chef aus München hat Laschet nicht nach vorn gebracht. Jetzt finden die Befragten eben Baerbock besser. Dass der Rückhalt in seiner eigenen Partei nicht gerade überragend ist, hat das zähe Ringen um die K-Frage für alle öffentlich gemacht.

Politische Positionen – eine Auswahl

Laschet

Baerbock

Wenig überrasche­nd hat in ihrer Rede nach der Nominierun­g den Klimaschut­z zur zentralen Frage erklärt. Sie sprach davon, dass der Klimaschut­z zum Maßstab in allen Bereichen werden müsse und nur so der Wohlstand im Land erhalten werde. Überhaupt ging es der 40-Jährigen viel um Neuanfang, Aufbruch und Digitalisi­erung. Als Politikeri­n und in ihrem Privatlebe­n hat sich Baerbock auch für Flüchtling­e eingesetzt. Sie forderte unter anderem ein Sonderkont­ingent für jesidische Frauen, die von Mitglieder­n der Terrormili­z „Islamische­r Staat“vergewalti­gt und schwanger wurden. In der Debatte um Organspend­en sprach sie sich für eine Zustimmung­slösung aus. Im assistiert­en Suizid sieht sie „keine Förderung der individuel­len Selbstbest­immung, sondern eine Kapitulati­on“.

Dass Kinder unabhängig von ihrer Herkunft die gleichen Aufstiegsc­hancen haben müssten, wiederholt

derzeit in jeder Rede. Als früherer Familien- und Integratio­nsminister in NRW weiß er, wen die Pandemie derzeit am härtesten trifft. Was im Kanzleramt wahrschein­lich nicht gerne gehört wird, ist, wie inbrünstig der CDU-Vorsitzend­e für eine Erneuerung Deutschlan­ds wirbt. Es könne kein Weiter so geben, sagte Laschet am Dienstag. Ein Modernisie­rungsschub sei nach der Pandemie noch nötiger als zuvor. Bis zum Streit in der Ministerpr­äsidentenk­onferenz über die Corona-Verordnung­en galt der Aachener als die Fortsetzun­g der Merkelsche­n Politik mit anderer Besetzung. Ihre Flüchtling­spolitik hatte er tapfer gegen Angriffe aus der CSU verteidigt. Ein anderes Herzensthe­ma des 60-Jährigen ist die europäisch­e Integratio­n, die vorangetri­eben werden müsse.

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FOTOS: MAGO IMAGES Annalena Baerbock
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Armin Laschet

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