K-Frage und A-Frage
Was die Kanzlerkandidaten Annalena Baerbock und Armin Laschet über ihre Parteizugehörigkeit hinaus unterscheidet
- Der Weg zum Sprungbrett war für beide recht unterschiedlich. Während die Grünen-Chefin Annalena Baerbock einfach nur sehr entschieden Ja sagen musste, kämpfte der CDU-Vorsitzende Armin Laschet den Kampf seines Lebens, bis er sich gegen den scheinbar übermächtigen Rivalen Markus Söder durchgesetzt hatte. Die Verschnaufpause nach den Chaostagen in der Union sei genutzt, um die beiden Kandidaten einer Art Vergleichstest zu unterziehen. Wer hat das Potenzial höher abzuheben und auf einem Bürostuhl im Kanzleramt zu landen? Und wie hoch ist die Gefahr eines Absturzes? Eine Analyse einiger Faktoren, die ausschlaggebend sein könnten.
Die Regierungserfahrung
Ja, es wurde bundesweit bereits hundertfach geschrieben, dass
keine hat. In ihrer Biografie ist, soweit öffentlich bekannt, nichts zu finden, was auf Kompetenzen im exekutiven Bereich hindeutet. Immerhin in der Kindheit hat sie Führungsqualitäten bewiesen: Die designierte Kanzlerkandidatin der Grünen ist die älteste von drei Schwestern und passte auf die Kleineren bei Streifzügen durchs Dorf in der Nähe von Hannover auf, wie die „Süddeutsche Zeitung“berichtete. In ihrer Partei gilt Baerbock als klug, willensstark und entschlossen, sich schnell in Themen einzuarbeiten. Bei ihrer Nominierung als Kandidatin setzte die 40-Jährige auf das Prinzip Angriff ist die beste Verteidigung: „Ja, ich war noch nie Kanzlerin, auch noch nie Ministerin. Ich trete an für Erneuerung. Für den Status quo stehen andere“, sagte sie. Damit ging sie elegant darüber hinweg, dass für eine Kanzlerin Wissen um Abläufe in Ministerien und Verwaltungen von Vorteil sein könnte.
In diesem Punkt hat
eindeutig und für alle sichtbar die Nase vorn. Der 60-Jährige steht seit 2017 als Ministerpräsident an der Spitze von Nordrhein-Westfalen – mit fast 18 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land in der Bundesrepublik. Zwischen 2005 und 2010 führte er ein etwas eigenwilliges Ministerium in NRW. Er war zuständig für Generationen, Familie, Frauen und Integration. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder würde dazu sagen: „Gedöns“– die Älteren erinnern sich. Dass Laschet durchaus selbstbewusst mit seiner „praktischen Regierungserfahrung“
Baerbock
Annalena
Armin Laschet
wucherte, zeigte sich auch bei seiner Bewerbung um den CDU-Vorsitz. Den anderen Kandidaten hielt er die rhetorische Frage entgegen, wer von ihnen „schon mal eine Wahl erfolgreich bestritten und gewonnen“habe. Auch Laschet dürfte als ältester von vier Brüdern bereits erste Führungserfahrung im Kinderzimmer gemacht haben.
Ihre Herkunft und ihr Weg
Der Weg in die Politik kündigte sich bei der ersten grünen Kanzlerkandidatin schon früh an. Von ihren Eltern, einer Sozialpädagogin und einem Ingenieur, wurde zu Friedensund Anti-Atomkraft-Demonstrationen in Niedersachsen mitgenommen. Doch zunächst versuchte
Baerbock
sie sich während ihres Politikwissenschaft-Studiums als Journalistin. Erst nachdem sie in London Völkerrecht studiert hatte, fand Baerbock über ein Praktikum bei einer Europaabgeordneten in Brüssel den Weg zu den Grünen. Der Wechsel nach Potsdam, wo sie mit ihrem Mann und zwei kleinen Töchtern lebt, brachte sie 2009 an die Spitze des Landesverbands in Brandenburg und 2013 in den Bundestag. Dann die Überraschung im Jahr 2018: Zusammen mit Robert Habeck, der jetzt in der K-Frage das Nachsehen hatte, setzte sich Baerbock mit ihrer Bewerbung für den Bundesvorsitz durch. Erstmals standen zwei Politiker an der GrünenSpitze,
die dem Realo-Flügel zugeordnet werden.
war so richtig im Journalismus zu Hause, bevor er in die Politik wechselte. Für den Sohn eines Bergmanns, der später zum Lehrer umschulen konnte, und einer Hausfrau, war es keine Selbstverständlichkeit, dass er studieren konnte. Interessanter kleiner Nebenaspekt in Laschets Biografie: Er arbeitete zur gleichen Zeit für den Bayerischen Rundfunk in München, als Markus Söder dort ein Volontariat machte. Zurück im Rheinland war Laschet zuerst Chefredakteur der Kirchen-Zeitung in Aachen, dann Verlagsleiter eines katholischen Verlags. Parallel dazu machte er 1994 den Sprung in die Berufspolitik, wurde Bundestagsabgeordneter,
Laschet
Europaabgeordneter, Minister, Landtagsabgeordneter, Ministerpräsident, CDU-Vorsitzender 2012 im Land und 2021 im Bund.
Die Gretchenfrage – wie sie es mit der Religion halten
Baerbock
ist evangelisch-lutherisch, aber nach eigenen Angaben nicht gläubig. „Ich bin nicht gläubig, aber trotzdem in der Kirche, weil mir die Idee des Miteinanders extrem wichtig ist“, sagte sie in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“.
Der Unionskanzlerkandidat
ist ein überzeugter Katholik, aber ein rheinländischer Katholik. In einem Interview mit dem „Spiegel“
Laschet
sagte er im Jahr 2018: „Wir müssen deutlich machen, dass der Markenkern der Christlich Demokratischen Union eben nicht das Konservative ist, sondern dass das christliche Menschenbild über allem steht.“
Die Außenwirkung
Mit der derzeit überragenden Inszenierung der Grünen beschäftigen sich ja mittlerweile schon die Feuilletons. Ohne Zweifel profitiert
von Auftritten, die den Eindruck erwecken, als wäre bei den
Laschet
Baerbock
Grünen allzeit eitel Sonnenschein. Sie selbst hat aber auch an ihrem Image gearbeitet, wie Fotos, die vor wenigen Tagen in der „Bild“erschienen sind, belegen: Kontaktlinsen statt Brille, schöne Kleider statt roter Jeans, nach wie vor ein flottes Mundwerk, aber etwas langsamer im Tempo. Das Arbeitstier, wie sie bei den Grünen durchaus respektvoll genannt wird, hat sich sozusagen ein hübsches Mäntelchen umgelegt. Das kommt gut an.
Das dicke Minus, das Baerbock bei der Regierungserfahrung hat, steht bei vor der Kategorie Image. Der NRW-Ministerpräsident schafft es immer wieder, bei öffentlichen Auftritten wankelmütig und führungsschwach zu wirken. Auf einen brillanten Auftritt wie bei seiner Bewerbungsrede für den CDU-Vorsitz folgen so viele mittelmäßige, dass seine Leistungen
nicht wahrgenommen werden. Von Unionspolitkern wird er deshalb auch der meist unterschätzte Politiker Deutschlands genannt. Dass er nur auf 1,72 Meter kommt und seine Gesichtszüge weich wirken, spielen dabei sicherlich auch eine Rolle. Doch wie groß der Unterschied zwischen Schein und Sein sein kann, hat Laschet spätestens in der vergangenen Woche bewiesen, als sich Söder an seiner Hartnäckigkeit die Zähne ausgebissen hat.
Rückendeckung durch Umfragen und die Basis
Baerbock
Wenn auf die Umfragen der Woche schaut, hat sie allen Grund zu jubilieren. Nach einer aktuellen Umfrage des Instituts Civey halten sogar Unternehmer in Deutschland sie für die bessere Kanzlerin. Nach einer Forsa-Umfrage von dieser Woche stürzte die Union von 28 auf 21 Prozent ab, während die Werte für die Grünen um fünf Punkte auf 28 Prozent nach oben schossen. Auch in ihrer Partei genießt Baerbock den vollen Rückhalt. Das zeigte sich bereits im Jahr 2019 bei ihrer Wiederwahl zur GrünenChefin, als sie mit 97,1 Prozent der Stimmen bestätigt wurde. Und das zeigte sich nach ihrer Nominierung zur Kanzlerkandidatin.
Wenn Mitleid eine journalistische Kategorie wäre, wäre sie mit Blick auf Umfragewerte durchaus
Laschets
angebracht. Unabhängig davon, von welchem Institut die Umfragen stammen, für den CDU-Vorsitzenden gehen sie immer schlecht aus. Beim Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen vor einer Woche hielten 29 Prozent der Befragten Laschet für kanzlertauglich, für Söder sprachen sich hingegen 63 Prozent aus. Selbst sein Sieg über den Regierungschef aus München hat Laschet nicht nach vorn gebracht. Jetzt finden die Befragten eben Baerbock besser. Dass der Rückhalt in seiner eigenen Partei nicht gerade überragend ist, hat das zähe Ringen um die K-Frage für alle öffentlich gemacht.
Politische Positionen – eine Auswahl
Laschet
Baerbock
Wenig überraschend hat in ihrer Rede nach der Nominierung den Klimaschutz zur zentralen Frage erklärt. Sie sprach davon, dass der Klimaschutz zum Maßstab in allen Bereichen werden müsse und nur so der Wohlstand im Land erhalten werde. Überhaupt ging es der 40-Jährigen viel um Neuanfang, Aufbruch und Digitalisierung. Als Politikerin und in ihrem Privatleben hat sich Baerbock auch für Flüchtlinge eingesetzt. Sie forderte unter anderem ein Sonderkontingent für jesidische Frauen, die von Mitgliedern der Terrormiliz „Islamischer Staat“vergewaltigt und schwanger wurden. In der Debatte um Organspenden sprach sie sich für eine Zustimmungslösung aus. Im assistierten Suizid sieht sie „keine Förderung der individuellen Selbstbestimmung, sondern eine Kapitulation“.
Dass Kinder unabhängig von ihrer Herkunft die gleichen Aufstiegschancen haben müssten, wiederholt
derzeit in jeder Rede. Als früherer Familien- und Integrationsminister in NRW weiß er, wen die Pandemie derzeit am härtesten trifft. Was im Kanzleramt wahrscheinlich nicht gerne gehört wird, ist, wie inbrünstig der CDU-Vorsitzende für eine Erneuerung Deutschlands wirbt. Es könne kein Weiter so geben, sagte Laschet am Dienstag. Ein Modernisierungsschub sei nach der Pandemie noch nötiger als zuvor. Bis zum Streit in der Ministerpräsidentenkonferenz über die Corona-Verordnungen galt der Aachener als die Fortsetzung der Merkelschen Politik mit anderer Besetzung. Ihre Flüchtlingspolitik hatte er tapfer gegen Angriffe aus der CSU verteidigt. Ein anderes Herzensthema des 60-Jährigen ist die europäische Integration, die vorangetrieben werden müsse.