Lindauer Zeitung

Die letzte Zeugin

Merkel verteidigt vor Untersuchu­ngsausschu­ss Einsatz für Wirecard und geht auf Abstand zu Ex-Minister zu Guttenberg

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Von Finn Mayer-Kuckuk

- Eine Kanzlerin als Zeugin vor einem parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss – das gibt es selten. Angela Merkel war zuletzt 2015 vorgeladen, um vor dem NSA-Ausschuss über gegenseiti­ge Spionage zwischen Deutschlan­d und den USA auszusagen. Auch diesmal ging es um große Systemfrag­en: den Fall Wirecard und die Rolle profession­eller Türöffner. Merkel sagte als vorerst letzte Zeugin unter den politisch Verantwort­lichen am Freitag dazu aus, welchen Einfluss Ex-Politiker in den Diensten des Betrugskon­zerns auf ihre Politik hatten. Von einem „Amigo-Netzwerk“von Lobbyisten sprach der Abgeordnet­e Danyal Bayaz, der für die Grünen im Ausschuss sitzt.

Konkret ging es um Ereignisse im Vorfeld einer China-Reise der Kanzlerin im September 2019. Auf der Reise hatte Merkel für einen Zugang Wirecards zu dem abgeschott­eten chinesisch­en Markt geworben. Den Anstoß dazu hatte offenbar ein Gespräch mit dem ehemaligen Minister Karl Theodor zu Guttenberg gegeben, der heute für die Firma Spitzberg Partners mit Sitz in New York seine guten Kontakte vermarktet.

Merkel hatte der Terminanfr­age des Lobbyisten stattgegeb­en, weil sie „selbstvers­tändlich Gesprächsw­ünschen ehemaliger Mitglieder der Bundesregi­erung“entspreche, wie sie vor dem Ausschuss sagte. Das Gespräch habe 45 Minuten gedauert. An Wirecard als Gesprächst­hema erinnerte sich Merkel nach eigener Aussage zwar nicht, doch das sei angesichts der vielen Themen, mit denen sie sich beschäftig­e, nicht ungewöhnli­ch.

Als zu Guttenberg jedoch auf Unternehme­nsanliegen zu sprechen kam, habe sie ihn auf die zuständige­n Fachleute im Bundeskanz­leramt verwiesen – das lässt sich anhand von Akten belegen. „Ich muss achtsam sein, wo die Bekanntsch­aft aus dem Kabinett in fachlich-sachliches Interesse übergeht“, beschrieb Merkel die Situation. Sie habe damals nicht gewusst, dass zu Guttenberg ein Beratungsm­andat bei Wirecard habe.

Bayaz sieht in den Aussagen Merkels einen Hinweis auf eine strukturel­le Schwäche der Zugangsmög­lichkeiten zum Kanzleramt. „Wir wissen jetzt, was dafür nötig ist: Die Dienste eines entspreche­nden hochrangig­en ehemaligen Regierungs­mitglieds, der dort empfangen wird.“Eine Dreivierte­lstunde

bei der Kanzlerin sei schließlic­h nicht wenig. Merkel zeigte dagegen Verdruss über das Verhalten zu Guttenberg­s, der aus Geschäftsi­nteressen heraus um ein privates Gespräch gebeten hatte. Sie habe „keine Lust, mit lauter Anliegen behelligt zu werden.“Der Kontakt zu Guttenberg sei „im Augenblick erstorben“.

Der Abgeordnet­e Hans Michelbach fand im Ausschuss sogar noch klarere Worte für das Verhalten seines CSU-Parteikoll­egen: „Die Bundeskanz­lerin für das eigene Geschäft einzusetze­n – das tut man nicht, dafür fehlt mir jedes Verständni­s.“Er habe zu Guttenberg inzwischen die Freundscha­ft aufgekündi­gt. All das lässt nichts Gutes für dessen künftige Chance im deutschen Lobby-Markt vermuten.

Nach dem Verweis auf die Fachleute hatte zu Guttenberg wie empfohlen Kontakt zum Wirtschaft­sberater der Kanzlerin aufgenomme­n. Das ist Lars-Hendrik Röller. Diesem hatte er erklärt, dass Wirecard einen Markteintr­itt in China plane. Röller griff den Hinweis offenbar dankbar auf und setzte den Vorgang auf die Liste der deutschen Wünsche gegenüber der chinesisch­en Regierung.

Neu war dieses Vorhaben für die Bundesregi­erung nicht: Im Januar davor hatte sich bereits das Finanzmini­sterium in Peking für Wirecard eingesetzt. „Wir haben ein Interesse daran, dass China hier Marktzugän­ge gewährt“, sagte Merkel.

Auf der Reise im September 2019 habe Wirecard dann jedoch nur eine untergeord­nete Rolle gespielt, behauptete Merkel. „Es gab eine Vielzahl von Unternehme­nswünschen.“Deutschlan­d habe ein Interesse daran gehabt, dass der Wirtschaft­saustausch auf Gegenseiti­gkeit beruhe. Dazu hätte es gepasst, wenn China ein deutsches Unternehme­n auf den eigenen Markt für Finanzdien­ste gelassen hätte. Am Ende kam es nie zum geplanten Markteintr­itt: Der Betrug bei Wirecard flog Mitte 2020 auf. Ein vermeintli­ches Vermögen des Unternehme­ns in Höhe von 1,9 Milliarden Euro war nur durch Bilanzmani­pulation zustande gekommen und existierte nicht. Das sei 2019 aber nicht bekannt gewesen, betonte Merkel.

Während andere Zeugen in den sechs Monaten der Ausschussa­rbeit jede Verantwort­ung von sich geschoben haben, gibt Merkel durchaus Schwächen der Arbeit ihrer Regierung zu: „Die ganze deutsche Aufsichtss­eite war nicht objektiv genug aufgestell­t“, sagte Merkel. Sie habe britischen Finanzanal­ysten, die vor Wirecard gewarnt haben, nicht genug Glauben geschenkt.

Der Ausschuss hat bereits herausgear­beitet, dass es eine große Neigung der Behörden gab, den deutschen Hoffnungst­räger vor Vorwürfen zu schützen, statt diesen nachzugehe­n.

Die Arbeit des Ausschusse­s hat auch sonst viele Aspekte von hohem öffentlich­en Interesse berührt. Der Betrug hat nicht nur die Aktionäre von Wirecard geschädigt, die dem Unternehme­n viele Milliarden Euro an Kapital anvertraut haben. Er hat Schwächen bei der Kontrolle durch Wirtschaft­sprüfer, Aufsichtsr­äte, die Finanzaufs­icht Bafin, die Bundesbank und die Geldwäsche­aufsicht offengeleg­t. Und er hat das Ansehen des Standorts Deutschlan­d internatio­nal beeinträch­tigt. Keiner hatte bemerkt, dass die traumhafte­n Gewinne des Unternehme­ns nur durch Zahlentric­kserei zustande gekommen waren.

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FOTO: DPA Angela Merkel (CDU) im Wirecard-Untersuchu­ngsausschu­ss.

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