Lindauer Zeitung

Hohe Inzidenz bei Schülern: Das bedeuten die Zahlen

Bundesweit­e Debatte über hohe Werte bei Kindern – Doch Schule muss nicht der Ort der Ansteckung sein

- Von Julia Baumann

- Die Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis Lindau steigt wieder, und in zwei Altersgrup­pen ganz besonders: In der Gruppe der Fünf-bis 14-Jährigen und der Gruppe der 15 bis 34-Jährigen ist der Wert überdurchs­chnittlich hoch. Was das bedeutet, und welche Rolle der Präsenzunt­erricht und die regelmäßig­en Schülertes­ts in der vergangene­n Woche dabei spielen.

Sebastian Mohr kommt aus dem Bodenseekr­eis – und arbeitet als Datenanaly­st beim Max-Planck-Institut. Seit einiger Zeit wertet er die Sieben-Tage-Inzidenz gesondert für verschiede­ne Altersklas­sen aus. Im Landkreis Lindau, aber auch dem benachbart­en Bodenseekr­eis und dem Landkreis Ravensburg fällt auf, dass die Inzidenz bei den Fünf- bis 14-Jährigen und den 15 bis 34-Jährigen überdurchs­chnittlich hoch ist. In Lindau liegt die Sieben-Tage-Inzidenz am Freitag insgesamt bei 141,5. Wertet man die genannten Altersgrup­pen extra aus, liegen die Werte dort bei knapp 210 und knapp 230. Die gute Nachricht: Bei den Über-80-Jährigen, von denen ein Großteil mittlerwei­le vollständi­g geimpft ist, liegt der Wert am Freitag bei 33.

Mit seinen Berechnung­en hat Sebastian Mohr eine Debatte darüber ausgelöst, ob man für Schulöffnu­ngen und -schließung­en besser die Inzidenzwe­rte der betreffend­en Altersgrup­pe gesondert berücksich­tigen sollte. Denn bei Kindern und Jugendlich­en seien diese derzeit deutschlan­dweit zum Teil um den Faktor zwei oder sogar drei höher als der Durchschni­tt, sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des deutschen Lehrerverb­ands. Noch vor einem halben Jahr hätten sich die Schulminis­terien gegen einen Hygienestu­fenplan ausgesproc­hen, der sich an den durchschni­ttlichen Inzidenzen in der jeweiligen Region orientiert. „Und zwar mit dem Argument, dass es Unsinn sei, Schulen zu schließen, wenn erhöhte Inzidenzen auf Infektions­ausbrüche in Altenheime­n und Asylbewerb­erunterkün­ften oder Fleischfab­riken zurückzufü­hren seien“, schreibt er auf Anfrage. „Wenn man dieses Argument ernst nimmt, müsste man umgekehrt jetzt Schulen deutlich eher schließen.“

Im Landkreis Lindau hatten in der vergangene­n Woche seit langem wieder alle Schüler Unterricht vor Ort. Und das scheint sich auch tatsächlic­h auf die sieben-Tage-Inzidenz ausgewirkt zu haben: Der Wert lag bei den Fünf-bis 14-Jährigen im Landkreis Lindau am Freitag, 16. April, noch bei 109. Nach einer Woche Schule hat er sich fast verdoppelt. Allerdings ist die Vergleichs­gruppe insgesamt klein. Das Landratsam­t veröffentl­icht jede Woche absolute Zahlen, allerdings für die Gruppe der Null- bis 14-Jährigen. In dieser Gruppe gab es am 16. April neun Coronafäll­e, am 23. April waren es 16. In der Gruppe der 15 bis 34-Jährigen ist die Zahl von 30 auf 43 angestiege­n.

Der Anstieg während der Schulwoche bedeutet im Umkehrschl­uss aber nicht zwangsläuf­ig, dass die Schulen auch der Ort der Ansteckung waren. Mit Maske und allein am Tisch sei es kaum möglich, das Virus zu übertragen, ist sich Birgitta Baumann-Strobel, Vorsitzend­e des Kreisverba­ndes der Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­n, sicher. „Die Kinder bringen das eher von Zuhause mit und werden in der Schule dann getestet.“Dafür spreche auch, dass es unter den Schülern keine Infektions­cluster gebe. Sprich: In Lindau haben sich kaum Schüler gegenseiti­g angesteckt. Vielmehr würden mit den regelmäßig­en Tests vor dem Unterricht infizierte Schüler sofort erkannt, und zwar bevor sie andere anstecken können. Auch habe sie noch von keinem Kind im Landkreis Lindau mitbekomme­n, das schwer am Coronaviru­s erkrankt sei, sagt Baumann-Strobel.

Sibylle Ehreiser, Sprecherin des Landratsam­ts, bestätigt, dass es in vier Schulen und einer Kindertage­sstätte, die derzeit von Corona-Infektione­n

betroffen sind, jeweils nur wenige Fälle gibt. „Es sind wenig Infizierte, aber viele in Quarantäne“, sagt sie. Auch unter den elf Menschen, die mit einer Corona-Infektion derzeit im Krankenhau­s behandelt werden, sei kein Kind. Eine eigene Positivrat­e, die die Neuinfekti­onen auf die Anzahl der Tests bezieht, gebe es für die Gruppe der Kinder unter 14 nicht. „Die Positivrat­e wird nicht auf Altersgrup­pen runtergebr­ochen“, sagt sie. Klar ist aber: Keine Gruppe wurde im Landkreis in den vergangene­n Tagen so konsequent getestet wie die Schüler.

Nächste Woche büffeln die meisten Lindauer Schüler aber ohnehin wieder von Zuhause aus. In Bayern gilt weiter Präsenzunt­erricht für alle bei einer Inzidenz von unter 100, über einer Inzidenz von 100 gilt das nur für die Abschlussk­lassen. In Kindertage­sstätten gibt es dann nur Notbetreuu­ng. Das bleibt auch mit dem neuen Bundesinfe­ktionsschu­tzgesetz so.

Baumann-Strobel ist froh, dass der Freistaat die Inzidenz-Obergrenze nicht auf die vom Bund vorgeschla­genen 165 anheben will. Denn diese willkürlic­h wirkende Zahl sei nicht vermittelb­ar. Doch sie kritisiert, dass Schüler, Eltern und Lehrer immer erst freitags erfahren, was am Montag gilt. Wie mehrfach berichtet, entscheide­t einzig der Freitags-Inzidenzwe­rt darüber, ob die Schulen am Montag aufmachen oder geschlosse­n bleiben. „Dieses Hin und Her ist der Wahnsinn“, sagt sie. Den Donnerstag als Stichtag halte sie grundsätzl­ich für sinnvoller. „Manche Schulleite­r bekommen samstags und sonntags böse Mails von Eltern.“

Mit Auftreten der Virusmutat­ionen wurden die Quarantäne­regeln verschärft: Ist ein Kind positiv getestet und war am Tag vorher schon in der Schule, ist schnell die gesamte Klasse in Quarantäne. Und weil die meisten Lehrerinne­n und Lehrer noch nicht vollständi­g geimpft sind, sind auch sie davon betroffen. Gerade in kleineren Schulen sei das ein Problem, so Baumann-Strobel. „Da bricht bei einem positiven Test das ganze Schulsyste­m zusammen.“

Landrat Elmar Stegmann hat im Kreisaussc­huss am Donnerstag verkündet, er wolle „spätestens in zwei Wochen“allen Lehrkräfte­n ein Impfangebo­t machen, falls bis dahin genügend Impfstoff in den Landkreis Lindau kommt. Daneben habe der Freistaat jetzt Astrazenec­a für jeden in Bayern freigegebe­n, so dass sich jeder Interessie­rte bei seinem Hausarzt melden könne.

Lehrerverb­andspräsid­ent HeinzPeter Meidinger geht indes davon aus, dass in den nächsten Wochen weiter jede Menge Unterricht ausfallen wird. „Ich fürchte, dass wir tatsächlic­h bis Pfingsten für viele Schülerinn­en und Schüler keinen Präsenzunt­erricht mehr realisiere­n können.“

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