„Sobald Fans im Stadion sind, ist wieder Feuer drin“
Super League und Protestaktionen waren nur ein Vorbote, so Fanforscher Lange – Auch der Bundesliga droht Zoff
- Kommerz trifft auf Tradition. Auch wenn der Konflikt schon seit Jahren vor allem zwischen Fußball-Entscheidern und organisierten Fans schwelt, erreichte er mit der beschlossenen und wieder zurückgenommenen Gründung der Super League vorerst seinen Höhepunkt. Doch mit dem Rückzug der Idee ist der Konflikt längst nicht beigelegt. Es geht rund im Welt-Fußball und auch der Bundesliga droht mächtig Wirbel. Felix Alex hat mit Fanforscher Harald Lange von der Universität Würzburg über die aktuellen Auswüchse gesprochen.
Herr Lange, die Super League ist Geschichte, bevor sie entstehen konnte. Eine große Woche für alle Fans und deren Macht, oder?
Auf jeden Fall eine bewegende Woche für die Fans. Wie groß diese Tage hinsichtlich ihrer Wirkung für den Fußball gewesen sein werden, wird sich aber erst noch zeigen. Der Fußball befindet sich generell in einem Reformprozess, in dem die Pole Kommerzialisierung und Tradition/ Werteorientierung sich immer wieder gegenüberstehen und es wird sich nun zeigen, ob die verantwortlichen Funktionäre aus dieser Woche etwas gelernt haben.
Ganz sicher dürfte hängen geblieben sein, dass sie einen Faktor nie vergessen dürfen – die Fans.
Bei vielen Vertretern in den Wirtschaftsund Funktionärskreisen wird es weiter ein Weiter so geben. Sie verfolgen nun einmal wirtschaftliche Interessen und Strategien und keine zukunftsgerichteten tragfähigen Konzeptionen für den Fußball. Das sind zweierlei Dinge und deshalb werden sie es weiter versuchen. Was aber total wichtig ist: Niemand auf dieser Welt muss auf Fans hören und das machen, was die Fans sagen, aber für jeden, der im Fußball etwas zu sagen hat, ist es ratsam, sich deren Argumente anzuhören, zu bewerten und in die eigene Konzeption einzubinden. Denn die Argumente, die jetzt dazu geführt haben, dass diese Super-League-Idee schon im Entstehungsprozess gescheitert ist, liefen alle auf die Kommerzkritik hinaus und gleichzeitig bedienten sie sich alle der Tradition und der gesellschaftlichen Verankerung des Fußballs und seiner Werte.
Bei aller Feierei geht fast unter, dass mit der Nebelkerze Super League die Reform der Champions League überdeckt wurde ...
Nebelkerze trifft es. Ich würde sogar so scharf formulieren, dass diese Reform am Montag absurd gewesen ist, weil die gleichen Funktionäre, die im UEFA-Exekutivkomitee gegen die Super League opponiert haben, unter dem eigenen Dach eine Super League light installiert haben.
Ist alles vielleicht eine große Verschwörungstheorie und das eine sollte nur das andere überdecken?
Sie haben diese Reform ja durchgedrückt bekommen, weil niemand
Zeit hatte, zu opponieren. Doch der Protest gegen diese Super League light beginnt jetzt erst Fahrt aufzunehmen. Zudem werden alle Befürworter nicht drum herumkommen, an ihre Worte – die sie gebraucht haben, um die Super League abzuwenden – erinnert zu werden.
Dies dürfte spannend werden. Denn aufgezeigt wurde ebenfalls, welche Macht die Fans haben, wenn sie sich zusammenschließen.
Das kann man so unterschreiben. Für viel bedeutender halte ich jedoch die Erkenntnis, dass Faninteressen vor allem dann fruchten, wenn sie auf einem Wertefundament aufbauen. Niemand sonst in diesem Spiel hat so nachhaltig, so eindrücklich und glaubwürdig die Werte des Sports eingefordert wie die Fans. Daher fiel es überall in Europa den übrigen Unterstützern leicht, sich dieser Bewegung anzuschließen. Und deshalb fiel es auch der Politik leicht, weil es eben ein wertorientiertes Vorgehen war und die Schurken eben klar auf der anderen Seiten saßen und man wunderbar verbal auf sie losdreschen konnte.
Der Auftrieb dürfte auch den Konflikt in der Bundesliga befeuern, der vor über einem Jahr in den Dietmar-Hopp-Aktionen gipfelte.
Das wird den seit Jahren laufenden Fanprotesten noch einmal massiven
Rückenwind geben, denn das ist ja der rote Faden. Wir müssen in der Gesellschaft ins Gespräch kommen, welche ideellen Werte der Fußball bringt, die jedoch durch den Kommerz ausgehebelt werden. Das war vor einem Jahr in der Causa Hopp erstmals auf breiter Front sichtbar. Und allen Funktionäre, die das bis jetzt nicht verstanden haben, ist dringend geraten, sich endlich zu informieren, worum es wirklich geht, und herauszufinden, was die Fans mit ihrer Kritik wirklich meinen.
So schwer ist das alles ja nicht wirklich und wer eine visuelle Aufbereitung benötigt, kann sich die ZDF-Dokumentation „Der Prozess: Wie Dietmar Hopp zur Hassfigur der Ultras wurde“anschauen, die durchaus Brisantes enthält.
Die Vorfälle in Sinsheim waren ein großes Theaterstück, das man sofort als Inszenierung erkannt hat. Anfangs hatten die Regieführenden ja Bilder produziert, die mit dem geschmähten Dietmar Hopp mitfühlen ließen, nach dem Motto: Der arme Mäzen, was passiert da? Und auf der anderen Seite die bösen Ultras. Das war eine klassische Schwarz-WeißGeschichte mit dem Versuch von Karl-Heinz Rummenigge mit Dietmar Hopp auf dem Platz Händchen zu halten als eindrücklichen Höhepunkt, der nur vom legendären Auftritt von DFB-Präsident Fritz Keller im Sportstudio übertroffen wurde.
Der damals sehr angefasst wirkte und von einer neuen Stufe des Hasses und der Eskalation sprach ...
Eben, bis dahin lief es. Spätestens ab da bröckelte es aber und das Blatt wendete sich schnell hin zu dem Thema der Kollektivstrafen. Denn die waren ja der Ursprung für die ganzen Proteste. Das Fokussieren auf Dietmar Hopp war ja nur ein Ventil der Kritik daran. Der damalige Präsident Reinhard Grindel hatte diese antiquarische Form der Strafe ja ausgesetzt, das hatte man gegenüber den Dortmund-Fans zurückgenommen und alles, was dann folgte, war nur eine Solidaritätsbewegung, die nach den Aktionen der Ultras des FC Bayern zu dem geführt haben, was wir dann erlebt haben.
Das solidarische Ballgeschiebe der Spieler, die ganze Betroffenheit: all das wegen Aktionen, die Tage vorher bekannt waren. Wollten es die Entscheider eskalieren lassen, um dieses Exempel zu statuieren?
Das ist eine Theorie, die durchaus plausibel ist, denn die Topverdiener der Branche sitzen alle in einem Boot. Es ist ja bekannt, dass Herr Hopp nur ein Symbol ist. Dass die aktive Fanszene seit Jahren mit Banner auf Misstöne aufmerksam macht, ist denen ein Dorn im Auge. Sie hätten gerne eine Art Fanclub Nationalmannschaft überall in der Bundesliga, in dem man gegen Bezahlung Vergünstigungen bekommt und ansonsten die Klappe hält. Der Fußball soll reines Konsumgut sein.
Ein Jahr später ist der Konflikt nicht gelöst. Auf der einen Seite die Fans, die mit der Abschaffung der Kollektivstrafe einen Schritt vonseiten des DFB fordern und auf der anderen Seite die Bosse und der Verband, die eine Entschuldigung und ein Versprechen wollen, dass so etwas nie mehr vorkommt.
Letztlich haben ja auch beide Parteien sehr gute Argumente und aus ihrer Sicht vielleicht auch recht. Wenn man solche Konfliktlagen hat, fragt man sich aber, wer könnte so etwas auflösen und regulieren? An dieser Stelle sehe ich den DFB in der Pflicht – als Verband für alle Fußballer und Fußballinteressierten, der nicht zu früh Partei ergreifen darf.
Der DFB hat in Form von Präsident Keller doch schon fünf Stunden nach dem Vorfall Partei ergriffen.
Und das war unreflektiert und widersprüchlich. Man kann ja aktuell sehr gut festmachen, wer die Macht hat und nach „Gutdünken“seine Rechtsnormen durchdrücken will – das ist DFB-Vizepräsident Rainer Koch. Es muss jetzt alles von dieser persönlichen Schiene runter. Man sollte Richtlinien entwerfen, die künftig unabhängig von der Person jeder DFB-Verantwortliche aufgreifen kann und an dem sich auch die Ultras orientieren.
Sehen Sie wirklich eine Chance, dass der DFB auf die Ultras zugeht?
In der gegenwärtigen Konstellation ist es undenkbar. Es geht bei Herrn Koch ja nur um ein Demonstrieren der Macht, jedes Annähern an die aktive Fanszene wäre eine persönliche Niederlage. Also muss Fritz Keller es zur Chefsache machen. Damals war er vollkommen überfordert und uninformiert. Jetzt ist ein Jahr Zeit vergangen, da hätte er die Pandemie nutzen und sich informieren und reflektieren können.
Dass die Ultras kommen und sich entschuldigen, wie von Uli Hoeneß in der Doku gefordert, ist wohl sehr weit ab von der Realität.
Das ist illusorisch und ist eher ein Geplänkel, was die Argumente noch einmal festzurrt. So krachen die zwei Züge aufeinander. Natürlich gibt es tausend gute Gründe zu sagen: „Wir wollen den Begriff Hurensohn im Stadion nicht mehr hören“, und diejenigen haben auch recht, aber das Ganze ist, wie schon gesagt, wesentlich komplexer. Es war ja nur symbolisch und eine Notwendigkeit der Ultras, eine Linie zu überschreiten, damit man auf das Thema aufmerksam macht. Dazu darf es aber eigentlich gar nicht kommen. Der Fehler liegt viel früher. Aber der Verband versteht seit Jahren nicht, was an der Basis los ist.
Sobald die Fans ins Stadion dürfen, geht alles so massiv weiter?
Davon gehe ich aus. Sobald Fans im Stadion sind, ist wieder Feuer drin. Die Pandemie hat ja erst mal nur Pause gedrückt. Die Entscheider hoffen zwar, dass sich alles beruhigt hat, aber die beim DFB haben eben die Ursache nicht verstanden. Das wird uns noch lange begleiten. Anlässe wie die EM im Sommer oder die WM in Katar kommen zusätzlich noch als Konfliktpotenzial hinzu.