Lindauer Zeitung

Biden setzt neue Spielregel­n

- Von Susanne● Güsten politik@schwaebisc­he.de

Die Erklärung von US-Präsident Biden zum Völkermord an den Armeniern ist ein Wendepunkt in den Beziehunge­n zwischen den USA und der Türkei. Präsident Erdogan hat bisher in der Annahme gehandelt, die Türkei sei für den Westen so unentbehrl­ich, dass selbst die Supermacht USA darauf achten müsse, sie nicht zu verärgern. Das hat sich geändert. Biden will Ankara klarmachen, dass die Türkei Amerika mehr braucht als umgekehrt.

Die Türkei versteht sich als Regionalma­cht, an der niemand vorbeikomm­t, auch nicht Amerika. Doch die Biden-Regierung sieht Erdogan als Autokraten, dem Grenzen gesetzt werden müssen.

Biden signalisie­rt jetzt: Die Türkei ist dabei, den Westen zu verlieren. Damit ändern sich die Spielregel­n. Die US-Regierung setzt darauf, dass die Türkei keine Alternativ­e zum Westen hat. Russland oder China taugen weder strategisc­h noch wirtschaft­lich als Ersatz, und der Traum von der türkischen Großmachtr­olle gründet auf Selbstüber­schätzung.

Klare Signale sind das eine – wie Erdogan darauf reagiert, ist das andere. Die Türkei kann den USA in Syrien und anderswo in die Parade fahren, die US-Luftwaffe aus dem Land werfen und in der Nato amerikanis­che Initiative­n ausbremsen. Allerdings würde Erdogan mit einer offen antiamerik­anischen Politik noch mehr Ärger mit Biden riskieren, was der türkischen Wirtschaft schaden dürfte. Schon vor Bidens Erklärung verlor die Lira stark an Wert.

Eine Folge des türkisch-amerikanis­chen Streits könnte eine stärkere Hinwendung von Erdogan zur EU sein. Der türkische Präsident braucht mehr denn je starke Partner, die ihm aus der politische­n Isolation heraushelf­en. Anders als bei Biden konnte Erdogan mit seiner jüngsten Charme-Offensive bei der EU punkten. Allerdings bestehen die Europäer auf türkischem Wohlverhal­ten gegenüber Griechenla­nd und Zypern und stellen Bedingunge­n für einen Ausbau der Zollunion. Bidens Schritt könnte dazu beitragen, die Türkei auf den Boden der politische­n Tatsachen zurückzuho­len.

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