Wo die Verwaltung in der Krise hakt
Die kleinteilig organisierte Administration hat Vor- und Nachteile – Stößt das System an Grenzen?
- Die Verwaltung erfährt in der Corona-Pandemie Kritik von allen Seiten. Vieles ist dabei berechtigt, manches übertrieben oder schlicht falsch. Klar ist aber: Was die Vernetzung von Ämtern, die Impfstrategie oder flächendeckende Tests angeht, agieren andere Länder von außen betrachtet effizienter. Woran liegt das?
Vor der Corona-Krise wurden Landrätinnen und Landräte in Politik und Gesellschaft gerne belächelt. Der „kleine Landrat“, so das Klischee, könne ohnehin kaum etwas bewirken im Konzert der Mächtigen. Mit Beginn der Pandemie hat sich dieses Vorurteil im Frühjahr 2020 schnell in Luft aufgelöst. Plötzlich wurden Entscheidungen der lokalen Verwaltungsbeamten landesweit diskutiert, denn: Der Infektionsschutz war – zumindest bis zum seit Samstag gültigen neuen Infektionsschutzgesetz – in Deutschland nicht zentralistisch geregelt. Bislang galt: Der Bund, aber vor allem auch die Länder geben die Rahmenbedingungen vor. Länder, Kreise und Kommunen sorgen auf eigene Faust für die konkrete Umsetzung.
Eine besonders wichtige Rolle spielen die Gesundheitsämter. Üblicherweise sind sie kommunal organisiert, in Bayern und Baden-Württemberg allerdings an die Landkreise angehängt. Mit dem „Sonderbehörden-Eingliederungsgesetz“vom 12. Dezember 1994 wurden in BadenWürttemberg unter dem damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU) die zuvor selbstständigen Veterinärämter, Ämter für Wasserwirtschaft und Bodenkultur und die Gesundheitsämter in die Landrats- und Bürgermeisterämter der kreisfreien Städte eingegliedert.
Ziel war es, Wirtschaftlichkeit, Wirksamkeit und Schnelligkeit in der Verwaltung zu verbessern. Im Jahr 2005 folgte das Verwaltungsstruktur-Reformgesetz. 350 Behörden und Ämter wurden abgebaut, zusammengelegt oder eingegliedert. Als Sparziel hatte Teufel eine „Effizienzrendite“von zwanzig Prozent angekündigt. Teil der Pläne war der Abbau von mehr als 2300 Stellen allein auf Ministeriums-, Regierungspräsidiumsund Kreisebene. Wo vorher Entscheidungen erst in Abstimmung mit allen anderen betroffenen Behörden getroffen werden konnten, sollten jetzt möglichst wenige Beteiligte Beschlüsse „aus einer Hand“treffen.
In gewöhnlichen Zeiten habe sich die Zusammenlegung durchaus bewährt, sagen Verwaltungs-Insider. Doch in der Krise zeigen sich auch negative Folgen. „Mit der geforderten höheren Effizienz ging ein radikaler Sparzwang einher, die Personaldecke wurde über die Jahre immer dünner“, sagt ein ehemaliger Spitzenbeamter, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, der „Schwäbischen Zeitung“. Besonders jetzt, da die Krise die Aufgaben vervielfache, werde das zum großen Problem. Aber auch in der technischen Ausstattung habe sich der strenge Blick auf die Ausgaben ausgewirkt: Schlechte Internetleitungen, alte EDV-Ausstattung und uneinheitliche Erfassungssysteme, die zu bizarrem Austausch über Briefe oder Faxgeräte führten, seien die Folge. Tatsächlich bereiten vor allem unterschiedliche Software-Lösungen Probleme. Während etwa Sormas,
eine vom Helmholtz-Zentrum entwickelte Software zur Kontaktnachverfolgung, in Ländern wie Ghana oder Nigeria bereits seit 2017 zur Bekämpfung von Epidemien erfolgreich und flächendeckend im Einsatz ist, wird sie in Baden-Württemberg erst seit März in den Ämtern verteilt. Der baden-württembergische Hang zur kleinteiligen Verwaltung habe sich historisch zwar bewährt, doch der ehemalige Insider bemerkt in der Krise aktuell „zu viel Bürokratie und zu viele Interessenkonflikte“. Exemplarisch lasse sich dies an der Position des Landrats festmachen. Der ist einerseits Kreisbeamter, andererseits aber auch Landesbeamter und gesundheitspolitisch dem Sozialministerium unterstellt. „Während er durch die CoronaVerordnung des Landes etwa klare Vorgaben zur Infektionskontrolle bekommt, sitzen ihm vor Ort die Bürgermeister und die lokale Wirtschaft im Nacken“, sagt der Ex-Beamte.
Der Biberacher Landrat Heiko Schmid (Freie Wähler) kennt das Problem. „Dieser Spagat ist mitunter schwer zu managen. Je weiter unten im politisch-administrativen System die Entscheidungen angesiedelt sind, desto unmittelbarer entlädt sich dort auch der Ärger und Zorn“sagt er. Dennoch hält er die Organisationsstruktur für richtig – auch in der Krise: „Wir kommunalpolitisch Verantwortlichen sind einfach viel näher an den Bürgerinnen und Bürgern dran, als die Landesoder Bundespolitik.“Im Landkreis Biberach habe man deshalb bisher in der Krise auch „alles ,gewuppt‘, was von uns erwartet wurde“, sagt der Landrat. Allen Unkenrufen zum Trotz habe man „eine moderne und leistungsfähige Verwaltung mit hochmotivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“. Auch Schmids Kollege Günther-Martin Pauli (CDU), Landrat im Zollernalbkreis, ist überzeugter Verfechter der dezentralen Organisation. Er macht das an einem Beispiel fest: „Wenn die
Gastronomie in Berlin-Mitte nicht ausreichende Abstände garantieren kann, muss das noch lange nicht für den Gasthof auf der Zollernalb gelten.“Pauli wünscht sich sogar noch mehr kommunale Eigenverantwortung. „Wir haben früh Initiative ergriffen, etwa bei Testungen. Vor Ort lässt sich immer besser reagieren als von oben gelenkt“, sagt er. Nötig sei künftig allerdings eine noch bessere Vernetzung und mehr Absprachen zwischen Gemeinden und Kreisen. Die Verwaltungsreform unter Erwin Teufel hält er nach wie vor für gelungen, er ist überzeugt, dass die Verschlankung in der Krise geholfen habe. „Allerdings wurde der öffentliche Gesundheitsdienst in den letzten Jahren etwas vernachlässigt“, sagt er. Jetzt in der Krise werde dessen Bedeutung wieder erkannt.
Die Kritik, die in der Öffentlichkeit auf die Verwaltung einhagelt, ist
Steffen Eckhard, Verwaltungsforscher
Steffen Eckhard zu pauschal. Der Juniorprofessor forscht an der Universität Konstanz zum Verwaltungshandeln in Krisensituationen – zuletzt in der Flüchtlingskrise und aktuell in der Pandemie. Eckhard stellt dabei zahlreiche Parallelen fest: „Politische Führung in Krisenzeiten braucht auch im Lokalen Mut und Kreativität“, sagt er. Kleinteilige Verwaltung sieht er nicht als Schwäche, sondern als Stärke des Systems. „Der Gestaltungsraum ist da, er muss nur auch genutzt werden.“Als die große Anzahl von Flüchtlingen 2015 schnelles Handeln vor Ort erforderten, hätten viele Kreise mit eigenen Initiativen vorbildlich reagiert – und dabei auch einige Male sonst starre Regelungen gebeugt. Ähnliches sieht er heute in Heinsberg oder Tübingen, wo mit kreativen Ansätzen gearbeitet werde. „Ob die ausprobierten Modelle dann tatsächlich besser sind, als andere, muss sich zeigen“, sagt Eckhard. Wichtig sei allerdings der Mut, eigene, an die lokalen Gegebenheiten angepasste, Strategien überhaupt anzugehen. Auch für Eckhard ist klar, dass das nicht immer ganz einfach ist. „Die Ämter wurden regelrecht kaputtgespart“, sagt er. Dennoch ist er überzeugt: „Der Föderalismus ist absolut das Richtige in dieser Krise.“Die Probleme, wie etwa bei Impfterminvergaben oder Teststrategien wolle er dabei nicht beschönigen, sieht ihre Ursachen aber eher auf übergeordneter Ebene. „Deutschland ist noch zu perfektionistisch und noch nicht im Krisenmodus angekommen“, so Eckhard.
In der Krise werde etwa deutlich, dass Rechtsgüter wie Datenschutz und Gesundheitsschutz gegeneinander aufgewogen werden müssten, anstatt starr auf den üblichen Regelungen zu beharren. „In Zeiten von Google und Facebook, die ohne großen Aufschrei millionenfach Daten speichern, werden wir uns fragen müssen, wie wichtig der Datenschutz in der Pandemiebekämpfung ist“, sagt er. Der Verwaltungsforscher fordert, künftig Krisenszenarien regelmäßig zu proben, um die Stärken der bestehenden Strukturen ausnutzen zu können. Die Studien an der Universität Konstanz hätten gezeigt, dass Krisenerfahrung das schnelle und mutige Handeln direkt vor Ort begünstige.
„Der Gestaltungsraum ist da, er muss nur auch
genutzt werden.“