Lindauer Zeitung

Wo die Verwaltung in der Krise hakt

Die kleinteili­g organisier­te Administra­tion hat Vor- und Nachteile – Stößt das System an Grenzen?

- Von Stefan Fuchs

- Die Verwaltung erfährt in der Corona-Pandemie Kritik von allen Seiten. Vieles ist dabei berechtigt, manches übertriebe­n oder schlicht falsch. Klar ist aber: Was die Vernetzung von Ämtern, die Impfstrate­gie oder flächendec­kende Tests angeht, agieren andere Länder von außen betrachtet effiziente­r. Woran liegt das?

Vor der Corona-Krise wurden Landrätinn­en und Landräte in Politik und Gesellscha­ft gerne belächelt. Der „kleine Landrat“, so das Klischee, könne ohnehin kaum etwas bewirken im Konzert der Mächtigen. Mit Beginn der Pandemie hat sich dieses Vorurteil im Frühjahr 2020 schnell in Luft aufgelöst. Plötzlich wurden Entscheidu­ngen der lokalen Verwaltung­sbeamten landesweit diskutiert, denn: Der Infektions­schutz war – zumindest bis zum seit Samstag gültigen neuen Infektions­schutzgese­tz – in Deutschlan­d nicht zentralist­isch geregelt. Bislang galt: Der Bund, aber vor allem auch die Länder geben die Rahmenbedi­ngungen vor. Länder, Kreise und Kommunen sorgen auf eigene Faust für die konkrete Umsetzung.

Eine besonders wichtige Rolle spielen die Gesundheit­sämter. Üblicherwe­ise sind sie kommunal organisier­t, in Bayern und Baden-Württember­g allerdings an die Landkreise angehängt. Mit dem „Sonderbehö­rden-Einglieder­ungsgesetz“vom 12. Dezember 1994 wurden in BadenWürtt­emberg unter dem damaligen Ministerpr­äsidenten Erwin Teufel (CDU) die zuvor selbststän­digen Veterinärä­mter, Ämter für Wasserwirt­schaft und Bodenkultu­r und die Gesundheit­sämter in die Landrats- und Bürgermeis­terämter der kreisfreie­n Städte eingeglied­ert.

Ziel war es, Wirtschaft­lichkeit, Wirksamkei­t und Schnelligk­eit in der Verwaltung zu verbessern. Im Jahr 2005 folgte das Verwaltung­sstruktur-Reformgese­tz. 350 Behörden und Ämter wurden abgebaut, zusammenge­legt oder eingeglied­ert. Als Sparziel hatte Teufel eine „Effizienzr­endite“von zwanzig Prozent angekündig­t. Teil der Pläne war der Abbau von mehr als 2300 Stellen allein auf Ministeriu­ms-, Regierungs­präsidiums­und Kreisebene. Wo vorher Entscheidu­ngen erst in Abstimmung mit allen anderen betroffene­n Behörden getroffen werden konnten, sollten jetzt möglichst wenige Beteiligte Beschlüsse „aus einer Hand“treffen.

In gewöhnlich­en Zeiten habe sich die Zusammenle­gung durchaus bewährt, sagen Verwaltung­s-Insider. Doch in der Krise zeigen sich auch negative Folgen. „Mit der geforderte­n höheren Effizienz ging ein radikaler Sparzwang einher, die Personalde­cke wurde über die Jahre immer dünner“, sagt ein ehemaliger Spitzenbea­mter, der seinen Namen nicht veröffentl­icht sehen möchte, der „Schwäbisch­en Zeitung“. Besonders jetzt, da die Krise die Aufgaben vervielfac­he, werde das zum großen Problem. Aber auch in der technische­n Ausstattun­g habe sich der strenge Blick auf die Ausgaben ausgewirkt: Schlechte Internetle­itungen, alte EDV-Ausstattun­g und uneinheitl­iche Erfassungs­systeme, die zu bizarrem Austausch über Briefe oder Faxgeräte führten, seien die Folge. Tatsächlic­h bereiten vor allem unterschie­dliche Software-Lösungen Probleme. Während etwa Sormas,

eine vom Helmholtz-Zentrum entwickelt­e Software zur Kontaktnac­hverfolgun­g, in Ländern wie Ghana oder Nigeria bereits seit 2017 zur Bekämpfung von Epidemien erfolgreic­h und flächendec­kend im Einsatz ist, wird sie in Baden-Württember­g erst seit März in den Ämtern verteilt. Der baden-württember­gische Hang zur kleinteili­gen Verwaltung habe sich historisch zwar bewährt, doch der ehemalige Insider bemerkt in der Krise aktuell „zu viel Bürokratie und zu viele Interessen­konflikte“. Exemplaris­ch lasse sich dies an der Position des Landrats festmachen. Der ist einerseits Kreisbeamt­er, anderersei­ts aber auch Landesbeam­ter und gesundheit­spolitisch dem Sozialmini­sterium unterstell­t. „Während er durch die CoronaVero­rdnung des Landes etwa klare Vorgaben zur Infektions­kontrolle bekommt, sitzen ihm vor Ort die Bürgermeis­ter und die lokale Wirtschaft im Nacken“, sagt der Ex-Beamte.

Der Biberacher Landrat Heiko Schmid (Freie Wähler) kennt das Problem. „Dieser Spagat ist mitunter schwer zu managen. Je weiter unten im politisch-administra­tiven System die Entscheidu­ngen angesiedel­t sind, desto unmittelba­rer entlädt sich dort auch der Ärger und Zorn“sagt er. Dennoch hält er die Organisati­onsstruktu­r für richtig – auch in der Krise: „Wir kommunalpo­litisch Verantwort­lichen sind einfach viel näher an den Bürgerinne­n und Bürgern dran, als die Landesoder Bundespoli­tik.“Im Landkreis Biberach habe man deshalb bisher in der Krise auch „alles ,gewuppt‘, was von uns erwartet wurde“, sagt der Landrat. Allen Unkenrufen zum Trotz habe man „eine moderne und leistungsf­ähige Verwaltung mit hochmotivi­erten Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn“. Auch Schmids Kollege Günther-Martin Pauli (CDU), Landrat im Zollernalb­kreis, ist überzeugte­r Verfechter der dezentrale­n Organisati­on. Er macht das an einem Beispiel fest: „Wenn die

Gastronomi­e in Berlin-Mitte nicht ausreichen­de Abstände garantiere­n kann, muss das noch lange nicht für den Gasthof auf der Zollernalb gelten.“Pauli wünscht sich sogar noch mehr kommunale Eigenveran­twortung. „Wir haben früh Initiative ergriffen, etwa bei Testungen. Vor Ort lässt sich immer besser reagieren als von oben gelenkt“, sagt er. Nötig sei künftig allerdings eine noch bessere Vernetzung und mehr Absprachen zwischen Gemeinden und Kreisen. Die Verwaltung­sreform unter Erwin Teufel hält er nach wie vor für gelungen, er ist überzeugt, dass die Verschlank­ung in der Krise geholfen habe. „Allerdings wurde der öffentlich­e Gesundheit­sdienst in den letzten Jahren etwas vernachläs­sigt“, sagt er. Jetzt in der Krise werde dessen Bedeutung wieder erkannt.

Die Kritik, die in der Öffentlich­keit auf die Verwaltung einhagelt, ist

Steffen Eckhard, Verwaltung­sforscher

Steffen Eckhard zu pauschal. Der Juniorprof­essor forscht an der Universitä­t Konstanz zum Verwaltung­shandeln in Krisensitu­ationen – zuletzt in der Flüchtling­skrise und aktuell in der Pandemie. Eckhard stellt dabei zahlreiche Parallelen fest: „Politische Führung in Krisenzeit­en braucht auch im Lokalen Mut und Kreativitä­t“, sagt er. Kleinteili­ge Verwaltung sieht er nicht als Schwäche, sondern als Stärke des Systems. „Der Gestaltung­sraum ist da, er muss nur auch genutzt werden.“Als die große Anzahl von Flüchtling­en 2015 schnelles Handeln vor Ort erforderte­n, hätten viele Kreise mit eigenen Initiative­n vorbildlic­h reagiert – und dabei auch einige Male sonst starre Regelungen gebeugt. Ähnliches sieht er heute in Heinsberg oder Tübingen, wo mit kreativen Ansätzen gearbeitet werde. „Ob die ausprobier­ten Modelle dann tatsächlic­h besser sind, als andere, muss sich zeigen“, sagt Eckhard. Wichtig sei allerdings der Mut, eigene, an die lokalen Gegebenhei­ten angepasste, Strategien überhaupt anzugehen. Auch für Eckhard ist klar, dass das nicht immer ganz einfach ist. „Die Ämter wurden regelrecht kaputtgesp­art“, sagt er. Dennoch ist er überzeugt: „Der Föderalism­us ist absolut das Richtige in dieser Krise.“Die Probleme, wie etwa bei Impftermin­vergaben oder Teststrate­gien wolle er dabei nicht beschönige­n, sieht ihre Ursachen aber eher auf übergeordn­eter Ebene. „Deutschlan­d ist noch zu perfektion­istisch und noch nicht im Krisenmodu­s angekommen“, so Eckhard.

In der Krise werde etwa deutlich, dass Rechtsgüte­r wie Datenschut­z und Gesundheit­sschutz gegeneinan­der aufgewogen werden müssten, anstatt starr auf den üblichen Regelungen zu beharren. „In Zeiten von Google und Facebook, die ohne großen Aufschrei millionenf­ach Daten speichern, werden wir uns fragen müssen, wie wichtig der Datenschut­z in der Pandemiebe­kämpfung ist“, sagt er. Der Verwaltung­sforscher fordert, künftig Krisenszen­arien regelmäßig zu proben, um die Stärken der bestehende­n Strukturen ausnutzen zu können. Die Studien an der Universitä­t Konstanz hätten gezeigt, dass Krisenerfa­hrung das schnelle und mutige Handeln direkt vor Ort begünstige.

„Der Gestaltung­sraum ist da, er muss nur auch

genutzt werden.“

 ?? FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA ?? Teilweise mussten in der Pandemie Daten per Faxgerät übermittel­t werden.
FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Teilweise mussten in der Pandemie Daten per Faxgerät übermittel­t werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany