Für Geimpfte und Genesene soll der Alltag leichter werden
Pläne für Corona-Sonderregeln werden konkreter – Bund und Länder beraten über den Fortschritt der Impfkampagne
(dpa) - Nicht einmal jeder Zehnte ist in Deutschland bisher vollständig gegen Covid-19 geimpft. Dennoch macht sich die Bundesregierung schon Gedanken darüber, welche rechtlichen Folgen die Impfung für diese Gruppe nach sich ziehen soll. An diesem Montag sollen auch die Regierungschefs der Länder in die Überlegungen einbezogen werden. Fragen und Antworten vor dem sogenannten Impfgipfel:
Um was geht es bei dem Treffen?
Sicher wird man vor dem Hintergrund wachsender Impfstoff-Mengen noch einmal darüber sprechen müssen, wie die Impfkampagne weiter an Fahrt gewinnen kann. Wann werden Fach- und Betriebsärzte einbezogen? Wie lange hält man an der Priorisierung – Alte, chronisch Kranke und Menschen aus bestimmten Berufsgruppen zuerst – fest? Auch wenn das Impfen Sache der Länder ist, stellt sich weiterhin die Frage: Was kann man dagegen tun, dass aufgrund bürokratischer Fehlleistungen mancherorts immer noch etliche Alte und Kranke vergeblich auf einen Impftermin warten und sich in Hotline-Warteschleifen quälen, wo ihnen niemand hilft. Außerdem soll darüber gesprochen werden, welche Freiheitsbeschränkungen für Geimpfte überhaupt noch zulässig sind.
Wer entscheidet über Ausnahmen für Geimpfte?
Zuständig ist hier der Bund. Da bei der Verabschiedung der sogenannten Bundes-Notbremse vergangene Woche festgeschrieben wurde, dass einer entsprechenden Verordnung auch Bundestag und Bundesrat zustimmen müssen, sind die Länder aber mit im Boot.
Was sehen die bisher bekannten Pläne der Bundesregierung vor?
Im Justizministerium hat man Leitplanken skizziert und mit den anderen Ressorts der Bundesregierung besprochen. In Stein gemeißelt ist aber noch nichts. Angedacht ist: In Geschäften und einigen anderen Bereichen sollen Geimpfte und Genesene, die nachweislich vor nicht allzu langer Zeit eine Corona-Infektion überstanden haben, so behandelt werden wie Menschen, die einen aktuellen negativen Test vorlegen. Das heißt: Ihnen würden dann dieselben Ausnahmen eingeräumt, die das Infektionsschutzgesetz bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 für negativ Getestete vorsieht. Das betrifft etwa den Zugang zu vielen Geschäften, Kultureinrichtungen, Sport und bestimmte Dienstleistungen wie etwa einen Haarschnitt.
Die Quarantäne-Pflicht nach Einreise aus einem Risikogebiet soll für Geimpfte und Genesene nicht mehr gelten – es sei denn sie waren in einem Virusvariantengebiet. Besondere Ausnahmen für Bewohner von Altenheimen sind geplant, um eine „soziale Isolation der Bewohner durch Corona zu vermeiden“.
Wie kommt Deutschland beim Impfen voran?
Im europäischen Vergleich eher mittelmäßig. Ende der Woche waren rund sieben Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Knapp 23 Prozent hatten mindestens eine erste Dosis erhalten. Über das Wochenende
mögen die Zahlen noch etwas gestiegen sein. Innerhalb Deutschlands sind die Unterschiede nicht sehr groß. In Thüringen sind nach den zuletzt verfügbaren Daten des Robert-Koch-Instituts 9,1 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. In Baden-Württemberg und Bayern waren es zuletzt jeweils 6,9 Prozent, Hamburg bildete mit 5,9 Prozent das Schlusslicht.
Was ist mit der Impf-Priorisierung – wird die bald aufgehoben?
Die Reihenfolge war festgelegt worden, um die Menschen mit dem größten Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken, zuerst zu schützen und weil Impfstoff zu Beginn sehr knapp war. Jetzt sind die meisten impfwilligen Hochbetagten versorgt und es gibt mehr Impfstoff. Allerdings
immer noch nicht genug, um jedem, der will, sofort ein Vakzin zu verabreichen. Das Vakzin von Astrazeneca wurde nach Berichten über seltene Fälle von gefährlichen Blutgerinnseln als Nebenwirkung bei diesem Impfstoff mancherorts zum Ladenhüter. Er soll in Deutschland seit 31. März in der Regel nur noch bei Menschen ab 60 Jahren eingesetzt werden. Unter 60-Jährige können sich aber weiterhin damit impfen lassen. In Sachsen, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wurde der Impfstoff von Astrazeneca jetzt in Hausarztpraxen für alle Altersgruppen freigegeben. Die Priorisierung fällt hier also weg. Baden-Württemberg hatte hingegen am Donnerstag entschieden, Astrazeneca weiterhin nur an Menschen ab 60 Jahren zu verimpfen.
Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbundes, plädiert dafür, demnächst die Priorisierung für alle Impfstoffe aufzugeben. Der „Neuen Osnabrücker Zeitung“sagte der Chef des Verbandes der niedergelassenen Ärzte: „Wenn die Gruppe 2, also die 70- bis 80-Jährigen und schwer Vorerkrankten, weitgehend durchgeimpft ist, braucht es die Freigabe. So weit sind wir Mitte Mai.“Der Vorschlag von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), im Laufe des Juni die Priorisierung aufzuheben, käme „viel zu spät“.
Warum jetzt schon über Ausnahmen für Geimpfte reden?
Die Mehrheit der Bevölkerung ist zwar noch nicht geimpft, aber die Bundesregierung weiß, wie hoch die rechtlichen Hürden für Ausgangsbeschränkungen
Werden für Geimpfte und Genesene Schwimmbäder und Restaurants öffnen?
Noch ist das nicht vorgesehen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass das eines Tages kommt – und zwar bevor die Pandemie ganz überstanden ist. Denkbar wäre, dass dann etwa von Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, weiterhin ein NegativTest verlangt wird.
Ab wann gelten die Ausnahmen für Geimpfte?
Politisch steckt die Bundesregierung in einer Zwickmühle. Je früher es Erleichterungen für diese Gruppe gibt, desto eher bemühen sich vielleicht auch einige Menschen, die bisher kein Interesse an einer Impfung zeigen, um einen Impftermin. Das bringt Deutschland dem Ziel der sogenannten Herdenimmunität näher. Wenn nur eine Minderheit der Bevölkerung von harten Beschränkungen ausgenommen ist, droht allerdings noch mehr Kritik an der „Notbremse“und dem aus Sicht vieler Bürger immer noch nicht ausreichenden Tempo beim Impfen. Mit Blick auf die Bundestagswahl im September mag sich da mancher Stratege in den Regierungsparteien Sorgen machen.