„Die Dankbarkeit der Bands ist riesig“
Jazzfrühling: Kemptener Festival dieses Jahr als Online-Version.
(lz) - Die Macher des Kemptener Festivals haben sich für eine Online-Version entschieden. Das bedeutet einen großen technischen und organisatorischen Aufwand, sagt Andreas Schütz. Ungewiss ist, ob das Experiment finanziell aufgeht.
Herr Schütz, was überwiegt bei Ihnen: die Freude, dass der Kemptener Jazzfrühling immerhin im Internet stattfinden kann – oder der Ärger über den Ausfall eines Festivals live mit Publikum?
Inzwischen überwiegt die Freude. Natürlich ersetzen Streams keine Live-Veranstaltungen, das ist für mich in Kunst und Kultur keine gleichwertige Alternative. Dennoch kann das Streaming schöne Konzerterlebnisse bieten. Und es hat den Vorteil, dass Leute, die sonst nicht zu Jazzkonzerten kommen, einfach mal unverbindlich reinschauen können.
Ist das überhaupt ein richtiges Festival, wenn es „nur“im Internet stattfindet? Wie fühlt sich das für Sie und Ihre Helfer an?
Auch wenn das gestreamte Festival kein Ersatz ist für das richtige Festival: Durch das tägliche Arbeiten für die Konzerte wird das eine großartige Woche für uns alle.
Online-Festival: Das hört sich nach großem Aufwand an, um technisch alles einzurichten. Stimmt das?
Ja. Wir haben definitiv einen größeren technischen Aufwand. Die Anforderung an unsere Streaming-Technik ist ja, dass die Konzerte in guter Qualität an allen Endgeräten laufen müssen. Das werden wir aber gut hinbekommen – obwohl uns zu Beginn des Festivals sicher die Knie schlottern werden.
Und wie ist es mit der Einhaltung der Corona-Regeln im Kemptener Stadttheater?
Natürlich ist der Gesundheitsschutz wichtig für uns. Wir werden jede Person im Stadttheater testen. Und die Musiker müssen die vorgegebenen Abstände auch auf der Bühne einhalten. Wir haben alle diesbezüglichen
Fragen mit dem Ordnungsamt abgeklärt und ein Test- und Hygienekonzept für diese Woche im Stadttheater erstellt. Wir sind zuversichtlich, dass wir damit sehr gut fahren werden.
Warum haben Sie das Festival nicht einfach abgesagt – wie so viele andere Veranstalter derzeit ihre Festivals absagen? Dann hätten Sie den ganzen Stress jetzt nicht.
Bei einer Absage gehen alle Bands, Dienstleister und Partner leer aus. So aber haben alle Einnahmen. Und das ist uns extrem wichtig in einer Zeit, in der die Branche finanziell am Boden liegt. Außerdem wäre eine Absage des Festivals für uns als Verein sehr bitter – das haben wir schon vergangenes Jahr erlebt. Dritter Aspekt: Ich halte es für absolut essenziell, dass jeder, der in diesen Corona-Zeiten etwas veranstalten kann, es auch tut. Das ist ein wichtiges Signal dafür, dass die kulturelle Veranstaltungsbranche überleben will. Sie ist ja pauschal seit sechs Monaten geschlossen, was für mich unverständlich ist.
Sie halten also das Verbot von Kulturveranstaltungen durch die Politik für falsch?
Für kurze Zeiträume finde ich pauschale Verbote in so einer Zeit durchaus akzeptabel. Es ist aber frustrierend, dass die Politik für den Kulturbereich auch nach einem halben Jahr nicht einmal nach Lösungen sucht. Sie müsste Bedingungen formulieren, nach denen Kulturveranstaltungen wieder möglich sein können. Die Politik ignoriert, dass es längst Studien gibt, wie man Kunst und Kultur coronagerecht organisieren kann. Da hat man detailgenaue und wissenschaftliche Erkenntnisse auf der einen und plumpe „Einmeterfünfzig“Aussagen auf der anderen Seite. Dieser politische Stillstand hängt aber sicher auch damit zusammen, dass der Wahlkampf das wichtigste Thema ist, wie man aktuell an der K-Frage sieht.
Sie hätten sich also ein Live-Festival vorstellen können mit kleinen Besucherzahlen und einem ausgefeilten Hygienekonzept?
Ja. Das ginge absolut. Wir hätten mit 50 Besuchern im Stadttheater geplant, das wären weniger als zehn Prozent der Saalkapazität und einhundert Kubikmeter Raumvolumen pro Zuschauer. Zusätzlich die effiziente Lüftungsanlage, Freitestungen und so weiter. Was soll da passieren? Was für andere Bereiche erlaubt ist, bleibt für uns verboten. Jüngst habe ich bei einer Firma einen Auftritt mit Zuschauern gespielt. Das funktioniert. Aber als Kulturveranstaltung ist das verboten. Anderes Beispiel: Neulich fand hier eine Parteiveranstaltung mit 200 Leuten statt – aber eine Lesung mit 20 Zuhörern im gleichen Raum ist verboten.
Wie hat ein Jazzstar wie der amerikanische Gitarrist Bill Frisell auf die Frage reagiert, ob er das Konzert fürs Internet streamt?
Bill Frisell hat äußerst positiv reagiert. Inzwischen haben sich ja alle Künstler mit dem Thema Streaming beschäftigt. Auch wenn viele es nicht gern machen, so ist es doch eine Möglichkeit, Konzerte zu spielen und Geld zu verdienen. Aber nicht nur Bill Frisell hat so reagiert. Die Rückmeldungen aller Bands waren unglaublich positiv. Die Dankbarkeit, dass wir das Festival nicht abgesagt haben, ist riesig. Das tut gut. Da weiß man wieder, warum man jeden Tag früh aufsteht und spät ins Bett geht, um das zu organisieren.
Sie haben das Festival live viel größer geplant, als es jetzt online stattfindet. Nach welchen künstlerischen Kriterien nahmen sie die Reduzierung vor?
Wir haben das nicht künstlerisch entschieden, sondern jeder Band ein Online-Auftrittsangebot gemacht. Wir wollten in dieser schwierigen Zeit niemandem absagen. Die meisten ausländischen Bands mussten aber wegen Reisebeschränkungen absagen, andere Bands beispielsweise, weil Laienmusiker mit dabei sind und es somit seit Monaten verboten ist, zu proben. Dennoch haben wir ein Programm mit einer tollen Bandbreite – stilistisch und in puncto Veranstaltungsformaten.
Welches Honorar erhalten die Bands? Dasselbe wie wenn sie vor Publikum aufgetreten wären?
Ja.
Geht sich das finanziell aus? Sie haben ja keine garantierten Einnahmen, weil Sie die Konzerte auf Spendenbasis anbieten.
Das geht sich überhaupt nicht aus. Wir versuchen, alle möglichen Fördertöpfe anzuzapfen und haben alles abgegrast. Das Bundes-Programm „Neustart Kultur“hilft uns sehr: Die 75 000 Euro von dort decken etwa die Hälfte unserer Kosten ab. Außerdem helfen uns regionale und lokale Zuschussgeber sowie viele Sponsoren, Partner und Privatpersonen.
Bleibt am Ende dennoch ein Defizit?
Das ist schwer zu kalkulieren, weil wir nicht wissen, was an Spenden von Zuschauern kommen wird. Andere, erfahrene Jazzveranstalter haben uns aber davor gewarnt, eine Bezahlschranke einzurichten. Die Leute spenden nämlich oft mehr auf freiwilliger Basis. Erst gingen wir davon aus, dass sich unser Defizit im fünfstelligen Bereich bewegen wird. Inzwischen sind wir optimistischer. Wir glauben, dass es ein Defizit gibt, das wir als Verein tragen können. Wenn die Besucher viel spenden, kommen wir vielleicht sogar auf Null heraus. Interview: Klaus-Peter Mayr