Lindauer Zeitung

Leipziger Partycrash­er

RB rückt durch Sieg über Stuttgart näher an die Bayern heran – Fokus gilt aber anderem Titel

- Von Martin Deck

(SID/dpa) - Julian Nagelsmann lächelte gönnerhaft, als Matchwinne­r Amadou Haidara mit erhobenem Daumen und breitem Grinsen kurz nach Abpfiff ein Selfie schoss. Wie ein feixender Partycrash­er sah der Trainer von RB Leipzig allerdings nur in dieser Situation aus. Durch das 2:0 (0:0) gegen den VfB Stuttgart haben seine Profis zwar die „Sofa-Meistersch­aft“von Bayern München am viertletzt­en Spieltag verhindert. Die eigene Chance auf die Schale ist aber verschwind­end gering, weswegen Nagelsmann gleich auf eine andere Trophäe schielte.

„Es war wichtig, eine gute Leistung mit einem guten Ergebnis vor einem K.o.-Spiel zu paaren“, sagte der Coach bei Sky. Am Freitag nämlich zählt es, dann spielt RB im Halbfinale des DFB-Pokals beim Abstiegska­ndidaten Werder Bremen um das Ticket nach Berlin. „Wir werden total engagiert ins Spiel gehen und wollen ins Finale. Für die Bremer läuft es ja nicht so gut, daher haben sie im Pokal nichts zu verlieren“, meinte Mittelfeld­spieler Kevin Kampl, warnte aber: „Der DFB-Pokal schreibt ja seine eigenen Geschichte­n.“

Für die Meistersch­aft bräuchte es hingegen eine mittlere Fußball-Sensation. Trotz der Tore von Haidara (46.) und Emil Forsberg (67., Foulelfmet­er) beträgt der Rückstand auf den FC Bayern, der am Samstag bei Mainz 05 (1:2) seinen ersten TitelMatch­ball vergeben hatte, kaum aufholbare sieben Punkte. Deshalb sprach Nagelsmann auch lieber über das eigene Spiel. „Mit der ersten Aktion nach der Pause machen wir das 1:0. Danach hatten wir doch sehr viele Chancen, da kann man auch vier oder fünf Tore schießen“, sagte der Coach, der als Wunschkand­idat der Bayern auf die Nachfolge des abwanderun­gswilligen Hansi Flick gilt. Dass seine aktuellen Bosse Oliver Mintzlaff und Markus Krösche am Rande der Partie keine Interviews geben wollten, lockte Nagelsmann nicht aus der Reserve: „Es gibt keine neue Entwicklun­g. Vielleicht gibt es ja eine neue Currywurst, und sie sind deswegen gerade nicht da.“

Gegen Stuttgart tat sich Leipzig in den ersten Minuten durchaus schwer,

Wenn nach Schlusspfi­ff mehr über den Schiedsric­hter als über das Spiel gesprochen wird, ist das in der Regel kein gutes Zeichen. Zumindest nicht für den Unparteiis­chen. Im Fall von

war das am Samstag aber ganz anders. Nach dem 1:1 im Derby zwischen dem SC Freiburg und der TSG Hoffenheim stimmten Spieler und Trainer beider Mannschaft­en nicht etwa Schimpftir­aden, sondern bemerkensw­erte Lobeshymne­n auf den 47Jährigen an. Dafür, dass dieser altersbedi­ngt im Sommer seine Karriere in der Fußball-Bundesliga beenden muss, haben sie wenig Verständni­s.

Gräfe

Christian Günter

Manuel

„Der Herr Gräfe ist einer der besten Schiedsric­hter in Deutschlan­d, wenn nicht sogar der beste“, sagte Freiburgs Kapitän im TV-Interview, obwohl er gar nicht nach dem Referee gefragt worden war. „Ich würde da mal eine Lanze brechen und sagen: Bitte lasst ihn noch ein bisschen weitermach­en.“Hoffenheim­s Spielführe­r Oliver Baumann schlug in die selbe Kerbe. „Er darf nicht aufhören. Er muss weitermach­en“, sagte der Torhüter. Und das wohlgemerk­t, nachdem Gräfe kurz vor Spielende eine nicht unberechti­gte, aber durchaus knifflige Elfmeter-Entscheidu­ng gegen Hoffenheim gefällt hatte. „Es ist völlig egal wie alt er ist. Wenn er gute Entscheidu­ngen trifft und noch gut über den Platz kommt, so lange ist alles gut.“

An Gräfe selbst liegt es nicht, er würde gerne weitermach­en. „Auch wir Schiedsric­hter haben die Mentalität eines Leistungss­portlers“, sagte der Berliner bereits vor zwei Jahren in einem Interview. In ein volles Stadion einzulaufe­n, sei für ihn nach wie vor das Größte. Volle Tribünen wird er aber wohl nicht mehr erleben, aller beide Teams liefen viel – doch Torchancen ließen die Abwehrreih­en kaum zu. Erst der Platzverwe­is gegen Stuttgarts Naouirou Ahamada (14.) brachte etwas Schwung rein. Der Franzose hatte Haidara mit offener Sohle getroffen, Schiedsric­hter Deniz Aytekin zog nach Ansicht der Videobilde­r Rot.

RB drückte in der Folge mehr, Christophe­r Nkunku (16.) scheiterte aus spitzem Winkel an VfB-Torwart Gregor Kobel. Tormöglich­keiten kreierten die Gastgeber aber auch in dieser Phase zu wenige, weil der VfB sich stark zurückzog. Leipzig fand gegen die schwäbisch­e Wand selten den Raum für den letzten Pass. Das Ergebnis waren einige Halbchance­n nach Standards sowie ein Schuss aus dem Getümmel von Nkunku (37.), den Kobel zur Ecke lenkte.

Wahrschein­lichkeit nach ist seine Karriere in vier Wochen beendet. „Ich höre oft, dass es nicht sein könne, dass ich nun nur aufgrund einer vor Jahrzehnte­n vom DFB festgelegt­en Altersgren­ze aufhören soll“, sagte Gräfe in der Sportschau. Die Schiedsric­hterei habe sich in den vergangene­n Jahren stark

Nach der Pause kam Leipzig mit beeindruck­ender Entschloss­enheit aus der Kabine, eine exzellente Flanke von Dani Olmo köpfte Haidara mit dem ersten Angriff wuchtig ins Netz. Nach einer tollen Kombinatio­n mit Nkunku tauchte Haidara (52.) plötzlich alleine vor Kobel auf, der erneut in höchster Not parierte. Aus ähnlicher Lage hielt der Schweizer Schlussman­n danach gegen Alexander Sörloth (57.).

Kobel lief in dieser Phase zur Höchstform auf, als er auch noch einen Volley von Angelino (63.) inklusive Olmos Nachschuss entschärft­e. Es brauchte ein Foul von VfB-Verteidige­r Konstantin­os Mavropanos an Forsberg, um den Torwart ein zweites Mal zu überwinden. Leipzigs Schwede trat selbst an und verwandelt­e sicher in die rechte Ecke. „Ich weiterentw­ickelt – auch was die Fitness der Referees anbelangt. Es gehe „letztlich darum, dass die aktuell Besten auf dem Platz stehen“. Zu denen zählt der 1,97-Meter-Hüne unbestritt­en. Seit 2004 pfeift er in der Bundesliga, wurde von den Profis sechs Mal zum „Schiedsric­hter des Jahres“gewählt. Mit seiner souveränen, kommunikat­iven Art behält er Spieler und hitzige Situatione­n im Griff. „Er hat Tolles geleistet für den deutschen Fußball“, betonte

Lothar Matthäus.

Das weiß auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB), dennoch schließen die Verantwort­lichen um Schiedsric­hter-Chef eine Anhebung der Altersgren­ze für Gräfe und dessen gleichaltr­ige Kollegen

und aus. „Die Entscheidu­ng war für uns sehr schwierig“, sagte Fröhlich. „Aber letztendli­ch gaben für uns die

Lutz Michael Fröhlich

Guido Winkmann Schmidt

Markus

wollte unbedingt Revanche, denn er hat meinen letzten Elfer gehalten. Er hat heute ein großes Spiel gemacht, ein Klasse-Torhüter“, lobte der Schwede VfB-Keeper Kobel.

Die Stuttgarte­r kämpften zwar aufopferun­gsvoll bis zum Ende, gaben aber in 90 Minuten keinen einzigen Torschuss ab. Das war seit der Datenerfas­sung 2004/05 in einem Bundesliga-Spiel laut Opta zuvor nur Werder Bremen beim 0:6 beim FC Bayern im Oktober 2014 passiert. Coach Pellegrino Matarazzo fand die Rote Karte für das schwache Offensivsp­iel und die vierte Niederlage in Folge mitentsche­idend: „In Unterzahl können wir schwer hoch pressen gegen Leipzig. Wir wussten, dass wir dadurch kompakter stehen müssen. Das hat das Spiel komplett verändert.“

Aspekte Weiterentw­icklung und Strategie in der Kaderplanu­ng den Ausschlag.“Es ist einmal mehr ein Beleg für die starren Strukturen im trägen DFB. Was einmal willkürlic­h festgelegt wurde, wird bedingungs­los durchgezog­en. Natürlich sollten auch junge Schiedsric­hter ihre Chance bekommen, doch sollte das von der Leistung abhängen und nicht vom Alter – so wie anderswo auch. In der englischen Premier League sind mit (52) und (50) zwei TopSchieds­richter jenseits der 47 weiter aktiv. Der Niederländ­er

(48) pfeift nach wie vor in der Champions League und ist für die EM im Sommer eingeplant.

Mike Dean Martin Atkinson

Björn Kuipers

Für Gräfe und Co. wird es hingegen kein Weiter geben. Diese Entscheidu­ng hat sicher auch interne Hintergrün­de. Gräfe ist beim DFB nicht unumstritt­en, weil er sich auch immer wieder gegen den Verband positionie­rte. Zudem sprechen die Schiedsric­hter hinter vorgehalte­ner Hand immer wieder über die Eifersücht­eleien in der Zunft hinsichtli­ch der Anzahl von Einsätzen und dem dazugehöri­gen finanziell­en Verdienst. Bundesliga­Schiedsric­hter bekommen laut „Bild“ein Grundgehal­t von 60 000 bis 80 000 Euro pro Jahr plus 5000 Euro pro Spiel. Eine „Lex Gräfe“würde für große Unruhe sorgen. Das will der DFB vermeiden. Der Verband wird deshalb an seiner Altersgren­ze festhalten und das Thema aussitzen, bis schon bald niemand mehr über Gräfe spricht. Dennoch sollte das Plädoyer einiger Spieler pro Gräfe ein Alarmsigna­l für die Schiedsric­hter-Bosse sein. Schließlic­h impliziert das, dass es aus Sicht der Profis nur wenige andere gute Unparteiis­che gibt. Und das kann sich der größte nationale Sportverba­nd der Welt wahrlich nicht leisten.

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FOTO: ODD ANDERSEN/DPA Mit starken Paraden verhindert­e VfB-Torhüter Gregor Kobel eine noch höhere Niederlage bei RB Leipzig. Gegen den Schuss von Amadou Haidara zum 1:0 war aber auch der Schweizer Schlussman­n chancenlos.
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FOTO: IMAGO IMAGES Manuel Gräfe
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