Von Ulm aus steuert die Nato Soldaten in ganz Europa
Bei der Übung „Steadfast Defender 2021“zeigt das neue Kommando in der Donaustadt seine Fähigkeiten
- Mit der größten Militärübung seit Jahren, „Steadfast Defender 2021“, will die Nato in den kommenden Wochen vor allem im südosteuropäischen Raum Präsenz und Stärke zeigen. 9000 Soldaten sind beteiligt. Erstmals bei einer Übung des Bündnisses dabei ist das neue NatoKommando in Ulm. Das „Joint Support and Enabling Command“(JSEC) ist seit 2018 in der Wilhelmsburg-Kaserne aufgebaut worden und soll im Ernstfall vor allem die Zuführung der Nato-Verstärkungskräfte in einen operativen Einsatzraum sicherstellen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Welchen Zweck verfolgt die Nato mit der Übung?
Das nordatlantische Verteidigungsbündnis will mit „Steadfast Defender 2021“ein breites Spektrum militärischer Fähigkeiten zeigen, um potenzielle Gegner abzuschrecken. Generalleutnant Brice Houdet, stellvertretender Chef des Stabes im Obersten Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte in Europa: „Wir zeigen vor allem, wie wir unsere Mitgliedsstaaten verteidigen könnten.“Für das Ulmer Kommando ist das Manöver aus einem weiteren Grund wichtig: „Hier wollen wir die Fähigkeiten unseres neuen Kommandos zeigen, um damit einen wesentlichen Schritt zur vollen Einsatzbereitschaft zu erzielen, indem wir darstellen, dass wir unser Aufgabenspektrum beherrschen“, sagt Generalleutnant Jürgen Knappe, Befehlshaber des JSEC.
Kann „Steadfast Defender 2021“als Provokation im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine aufgefasst werden?
„Wir sind defensiv unterwegs und völlig transparent“, betont Generalleutnant Houdet. Nato-Sprecherin Oana Lungescu sagt, Russland habe keine Anfrage gestellt, „Steadfast Defender“beobachten zu können. Außerdem: „Wir haben mit der Planung vor zwei Jahren begonnen.“Immer wieder kommt es wegen Manövern Russlands, aber auch der Nato an den jeweiligen Außengrenzen zu diplomatischen Spannungen. Spätestens seit Russland die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim 2014 annektierte, setzt die Nato neben Gesprächen mit Russland wieder auf militärische Abschreckung.
Wie viele Soldaten sind an „Steadfast Defender 2021“beteiligt?
Die Übung hat drei Abschnitte. Am ersten Teil nehmen 5000 Soldaten teil, 20 Schiffe und 40 Flugzeuge sind beteiligt. Sie sollen zeigen, dass die Nato Seeverbindungen zwischen Europa und den USA schützen und schnell Verstärkungstruppen über den Atlantik bringen kann. In Ulm werden im zweiten Teil 300 Soldaten in einer Computersimulation üben, zum Schluss, bei der Manöverübung in Rumänien, sind 4000 Militärs aus 13 Nationen mit 600 Fahrzeugen dabei.
Warum hat die Nato die Aufstellung des JSEC beschlossen?
Es gab bisher keine Stelle, an der alle Informationen zu Transport, Absicherung und Ausbildung von Nato
Truppen zusammenliefen. Darum kam 2018 der Beschluss, in Ulm eine Koordinationsstelle, ein Kommando, aufzustellen. Generalleutnant Knappe erklärt: „Das Kommando wird darum bereits im Frieden darauf ausgerichtet sein, eine Koordination zwischen den truppenstellenden Nationen und den Nationen sicherzustellen, durch die diese Verlegungen erfolgen und die diese unterstützen. Die Verantwortung erstreckt sich auf den Bereich des militärstrategisch verantwortlichen Oberbefehlshabers des Bündnisses für Operationen, des SACEUR, und reicht von Grönland bis nach Afrika, Europa und dessen Randmeere.“
Wie viele Soldaten sind in Ulm bei der Übung dabei?
Normalerweise wären 1000 Personen beteiligt, jetzt nehmen in Ulm rund 300 Militärs an dieser Übung teil. Wegen der Corona-Bedingungen sind weniger Personen in der
Kaserne anwesend. Dort werden die Soldaten physisch voneinander getrennt arbeiten.
Was werden die Soldaten in Ulm konkret zeigen?
Das JSEC bekommt von den Organisatoren der Übung Aufgaben gestellt, die sie in einem virtuellen, also nur an Computern simulierten Szenario, erledigen müssen. Generalleutnant Knappe erklärt: „Beispielsweise könnte man sich vorstellen, dass Soldaten aus den USA oder aus Kanada mit Schiffen in Rotterdam, in Bremerhaven oder in Italien ankommen: Dann müssen wir dafür sorgen, dass sie sich an bestimmten Sammelpunkten treffen, dass es Unterkünfte, technische Einrichtungen und Gebäude gibt, die sie solange nutzen, bis sie in die eigentlichen Einsatzländer verlegt werden.“Hierzu gehört auch die Ausbildung und Zusammenführung. Knappe: „Dazu bedarf es einer Koordination über alle beteiligten Nationen hinweg und hier liegt die Aufgabe des JSEC.“
Was müssen die Länder leisten, durch die das JSEC die ankommenden Truppen schleusen müsste?
Während der Übung „Steadfast Defender 2021“finden alle von Ulm aus gesteuerten Truppenbewegungen nur an PCs statt. Aber die Übungsbedingungen sehen klare Aufgaben vor, die am Computer gelöst werden müssen. Generalleutnant Knappe weiß: „Wir trainieren nicht nur, wie diese Kräfte aufgenommen werden. Wir müssen dafür sorgen, dass sie auf ihrem Weg in die Einsatzländer verpflegt werden oder dass sie ihre Fahrzeuge betanken können. Wir wissen, auf welchen Straßen, über welche Eisenbahnstrecken oder über welche Flughäfen sie in die Einsatzländer kommen.“Den JSEC-Spezialisten liegen Informationen zum Zustand von Straßen, Brücken, Eisenbahnstrecken in den beteiligten
Ländern vor. Hier sind seit der Aufstellung des Kommandos im Jahr 2018 Daten erhoben worden. Zum Beispiel, welche Last Brücken tragen können und wie die Eisenbahnstrecken beschaffen sind. Knappe ergänzt: „Darüber hinaus gilt es auch die unterschiedlichen Transportmittel und Transportfähigkeiten zu koordinieren und die Bedarfe der verlegenden Truppenkontingente abzustimmen. Das beinhaltet auch die Abstimmung mit zahlreichen zivilen Agenturen, die über diese Befähigungen verfügen.“
Welches sind die besonderen Herausforderungen für das Ulmer Kommando?
Generalleutnant Knappe nennt ein Beispiel: „Es gilt stets verschiedene Rechtsregelungen zu beachten: Beispielsweise, ob gleichzeitig Waffen und die Munition in einem Fahrzeug transportiert werden dürfen. Das ist von Staat zu Staat unterschiedlich. Das Ziel unseres Kommandos ist es, bei den beteiligten Staaten ein gemeinsames Verständnis zu schaffen. Wir bauen das dafür erforderliche Netzwerk auf.“
Wie wichtig ist das JSEC?
Im Briefing der Nato am Donnerstag wurde deutlich, das Bündnis stark auf die neuen Fähigkeiten setzt, die das Ulmer Kommando entwickelt hat. Generalleutnant Brice Houdet betonte, dass Mobilität, für die das JSEC die Grundbedingungen garantieren wird, Voraussetzung für erfolgreiches militärisches Handeln sei.
Wird das Bündnis die Arbeit des Ulmer Kommandos beurteilen?
Ja. Mit der Übung wird das JSEC durch die Nato evaluiert. Wenn der Test gelingt, geht es im Herbst weiter, wie Generalleutnant Knappe erläutert: „Im September werden wir die volle Einsatzbereitschaft erreicht haben und auch bereits dem Befehlshaber der Nato in Europa unterstellt sein.“
Wie wird die Bedeutung des JSEC in der Nato sein?
Das lässt sich am Rang festmachen. Der Befehlshaber des JSEC ist der einzige deutsche Drei-Sterne-General, der auf Nato-Ebene dauerhaft als Commander eines NATO-Kommandos installiert ist.