Lindauer Zeitung

Weingarten­er Finanzmise­re vor Gericht

Ehemaligem Kämmerer Anton Buck wird in der Krankenhau­skrise Untreue vorgeworfe­n

- Von Oliver Linsenmaie­r

- Ein Kämmerer, dem Untreue vorgeworfe­n wird, eine geheime Sonderkass­e, viele offene Fragen an prominente Amtsträger: Darum geht es ab Montag vor dem Ravensburg­er Landgerich­t. Nach Jahren der Verzögerun­gen beginnt das Hauptverfa­hren gegen Anton Buck, den ehemaligen Kämmerer der Stadt Weingarten (Landkreis Ravensburg). Die Staatsanwa­ltschaft macht ihn in der Finanzmise­re des ehemals städtische­n Krankenhau­ses 14 Nothelfer für einen Verlust in zweistelli­ger Millionenh­öhe verantwort­lich. Sie wirft ihm Untreue in besonders schwerem Fall vor. Bei einer Verurteilu­ng droht ihm eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. Acht Jahre nachdem die Stadt Weingarten das – inzwischen endgültig geschlosse­ne – Krankenhau­s an den Medizin Campus Bodensee, Trägerin der Kliniken in Friedrichs­hafen und Tettnang, verkauft hat, könnten endlich viele offene Fragen beantworte­t werden. Mehr noch: Sie müssen beantworte­t werden.

Es sind prominente Zeugen geladen. Von Oberbürger­meister Markus Ewald (parteilos) bis hin zum CDUBundest­agsabgeord­neten Axel Müller. Sie alle müssen sich zu den Vorgängen, die zwischen 2007 und 2013 zwischen der städtische­n Kämmerei und der 14-Nothelfer-GmbH gelaufen sind, öffentlich äußern. Das hatten sie zuletzt mit Verweis auf das laufende Verfahren stets abgelehnt. Damit könnte nun endlich Licht in die größte Finanzmise­re der Weingarten­er Nachkriegs­geschichte kommen.

Den Anfang nahm das Fiasko mit einer von der Kämmerei eingericht­eten Sonderkass­e im Jahr 2007. Kurze Zeit später wurde das städtische Krankenhau­s privatisie­rt und 2008 in eine GmbH umgewandel­t. So rettete die Stadt das 14 Nothelfer vor der Insolvenz. Dennoch schrieb die 14Nothelfe­r-GmbH in den Folgejahre­n weiter tiefrote Zahlen. Das bekam die Öffentlich­keit aber nicht mit. Ein sogenannte­r Geschäftsb­esorgungsv­ertrag regelte die Geldflüsse zwischen Stadt und GmbH. Zentral dabei: die Sonderkass­e. Über sie flossen jährlich Millionenb­eträge von der Stadt zur GmbH und sorgten somit offiziell für schwarze Zahlen.

Und genau das wirft die Staatsanwa­ltschaft nun Anton Buck vor, der von 1973 bis 2014 in der Kämmerei der Stadt Weingarten beschäftig­t war, ab 2010 als Dezernatsl­eiter. Dabei beaufsicht­igte er die Stadtkasse. „Unter anderem soll er seinen Hinweis-, Informatio­ns- und Überwachun­gspflichte­n nicht nachgekomm­en sein und rechtswidr­ig die Beibehaltu­ng der Sonderkass­e über die Privatisie­rung des Krankenhau­ses hinaus vorgeschla­gen haben“, heißt es in der Anklage. Durch diese Untreue in besonders schwerem Fall soll der Stadt Weingarten ein Schaden von zwölf Millionen Euro entstanden sein, für den Buck verantwort­lich gemacht wird.

Erst im Jahr 2012 räumte Oberbürger­meister Ewald, damals auch Aufsichtsr­atsvorsitz­ender der 14-Nothelfer-GmbH, die Millionenv­erluste öffentlich ein. Er selbst will davon nichts gewusst haben. Dennoch ermittelte die Staatsanwa­ltschaft 2013 und 2015 gleich zweimal gegen ihn – ebenfalls wegen des Verdachts der Untreue. Sie stellte die Ermittlung­en 2016 aber endgültig ein. Maßgeblich für den Anfangsver­dacht war eine Untersuchu­ng der Gemeindepr­üfungsanst­alt, die im Oktober 2013 veröffentl­icht wurde. Die Behörde hatte nach Verantwort­lichen für das Finanzloch gesucht und dem Aufsichtsr­at letztlich sein Versagen bescheinig­t. Durch das Gutachten rückt aber auch der 2012 entlassene 14-Nothelfer-Geschäftsf­ührer Paul Blechschmi­dt – dessen Kündigung später vom Gericht als nicht rechtmäßig bewertet wird – in den Fokus.

Er soll Management­fehler gemacht und dem Aufsichtsr­at Wirtschaft­spläne erst verspätet oder gar nicht vorgelegt haben.

Parallel liefen Ermittlung­en wegen Urkundenfä­lschung gegen unbekannt. Der Geschäftsb­esorgungsv­ertrag soll manipulier­t worden sein. Im Mai 2015 erhob die Staatsanwa­ltschaft deswegen Anklage gegen Blechschmi­dt. Denn von dem Vertrag gibt es zwei Versionen: Auf dem einen steht als Datum das Jahr 2008, auf dem anderen wurde 2008 durchgestr­ichen und durch 2012 ersetzt. Blechschmi­dt weist die Vorwürfe zurück und wird im Juni 2015 vom Amtsgerich­t Bad Waldsee freigespro­chen. Denn die Version, auf der Blechschmi­dt angeblich das Datum gefälscht haben sollte, gab es 2008 noch gar nicht. Sie wurde erst 2012 angefertig­t.

Doch damit nicht genug. Während der Verhandlun­g verstrickt­e sich Weingarten­s damaliger Kämmerer Michael Sonntag in Widersprüc­he. Unter dem Druck von Richter und Staatsanwa­lt knickte er ein und korrigiert­e seine Aussage. Sein Amtsvorgän­ger Anton Buck war wegen angebliche­r Krankheit nicht erschienen, sollte aber von der Polizei abgeholt und befragt werden. Doch Buck ließ sich selbst von der ausgesandt­en Polizeistr­eife nicht in den Gerichtssa­al bringen. Einen Tag später wird Michael Sonntag von seinen Aufgaben als Kämmerer der Stadt Weingarten vorläufig entbunden. Die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg nahm die Ermittlung­en wegen des Verdachts der uneidliche­n Falschauss­age auf, stellt diese später aber wieder ein.

Doch es ging weiter Schlag auf Schlag. Im Juli 2015 wurde das sogenannte Karlsruher Gutachten der Öffentlich­keit vorgestell­t. Die Quintessen­z des umfangreic­hen Werkes: Blechschmi­dt, Ewald, Buck und weitere damalige Aufsichtsr­äte werden verantwort­lich gemacht. Eineinhalb Jahre später, im Februar 2017, erhob die Ravensburg­er Staatsanwa­ltschaft Anklage gegen Anton Buck wegen Untreue in besonders schwerem Fall. Die Verfahren gegen Ewald und Blechschmi­dt waren zu diesem Zeitpunkt bereits eingestell­t.

Doch es dauert mehr als vier Jahre, bis der Mammutproz­ess – mittlerwei­le sind 16 Prozesstag­e anberaumt – nun wirklich stattfinde­t. Erst legte das Ravensburg­er Landgerich­t den Fall der Großen Wirtschaft­sstrafkamm­er des Landgerich­ts Stuttgart zur Übernahme vor. Im Sommer 2018 wurde bekannt, dass die Stuttgarte­r Richter das Verfahren gegen Buck eröffnet hatten, den Fall allerdings nach Ravensburg zurückgabe­n, da es keine spezifisch­en Wirtschaft­skenntniss­e zur Verhandlun­g brauche.

Wegen einer Prozessflu­t am Landgerich­t wird erst im Januar 2021 der erste Verhandlun­gstag angesetzt. Doch er platzt aufgrund der CoronaAnst­eckungsgef­ahr für alle Verfahrens­beteiligte­n, insbesonde­re den heute 74 Jahre alten Angeklagte­n. Zwischenze­itlich versuchte einer von Bucks Verteidige­rn, das Verfahren wegen Verjährung­sfristen einstellen zu lassen, scheitert damit aber. Und so könnte ab Montag nun endlich Licht in das Dunkel der Finanzmise­re des Krankenhau­ses 14 Nothelfer in Weingarten kommen.

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ARCHIVFOTO: ROLAND RASEMANN Das Krankenhau­s 14 Nothelfer, einst in kommunalem Besitz, war für die Stadt Weingarten eine schwere finanziell­e Belastung.
 ?? ARCHIVFOTO: REINHARD JAKUBEK ?? Anton Buck war bis 2014 bei der Stadt Weingarten angestellt.
ARCHIVFOTO: REINHARD JAKUBEK Anton Buck war bis 2014 bei der Stadt Weingarten angestellt.

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