Weingartener Finanzmisere vor Gericht
Ehemaligem Kämmerer Anton Buck wird in der Krankenhauskrise Untreue vorgeworfen
- Ein Kämmerer, dem Untreue vorgeworfen wird, eine geheime Sonderkasse, viele offene Fragen an prominente Amtsträger: Darum geht es ab Montag vor dem Ravensburger Landgericht. Nach Jahren der Verzögerungen beginnt das Hauptverfahren gegen Anton Buck, den ehemaligen Kämmerer der Stadt Weingarten (Landkreis Ravensburg). Die Staatsanwaltschaft macht ihn in der Finanzmisere des ehemals städtischen Krankenhauses 14 Nothelfer für einen Verlust in zweistelliger Millionenhöhe verantwortlich. Sie wirft ihm Untreue in besonders schwerem Fall vor. Bei einer Verurteilung droht ihm eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. Acht Jahre nachdem die Stadt Weingarten das – inzwischen endgültig geschlossene – Krankenhaus an den Medizin Campus Bodensee, Trägerin der Kliniken in Friedrichshafen und Tettnang, verkauft hat, könnten endlich viele offene Fragen beantwortet werden. Mehr noch: Sie müssen beantwortet werden.
Es sind prominente Zeugen geladen. Von Oberbürgermeister Markus Ewald (parteilos) bis hin zum CDUBundestagsabgeordneten Axel Müller. Sie alle müssen sich zu den Vorgängen, die zwischen 2007 und 2013 zwischen der städtischen Kämmerei und der 14-Nothelfer-GmbH gelaufen sind, öffentlich äußern. Das hatten sie zuletzt mit Verweis auf das laufende Verfahren stets abgelehnt. Damit könnte nun endlich Licht in die größte Finanzmisere der Weingartener Nachkriegsgeschichte kommen.
Den Anfang nahm das Fiasko mit einer von der Kämmerei eingerichteten Sonderkasse im Jahr 2007. Kurze Zeit später wurde das städtische Krankenhaus privatisiert und 2008 in eine GmbH umgewandelt. So rettete die Stadt das 14 Nothelfer vor der Insolvenz. Dennoch schrieb die 14Nothelfer-GmbH in den Folgejahren weiter tiefrote Zahlen. Das bekam die Öffentlichkeit aber nicht mit. Ein sogenannter Geschäftsbesorgungsvertrag regelte die Geldflüsse zwischen Stadt und GmbH. Zentral dabei: die Sonderkasse. Über sie flossen jährlich Millionenbeträge von der Stadt zur GmbH und sorgten somit offiziell für schwarze Zahlen.
Und genau das wirft die Staatsanwaltschaft nun Anton Buck vor, der von 1973 bis 2014 in der Kämmerei der Stadt Weingarten beschäftigt war, ab 2010 als Dezernatsleiter. Dabei beaufsichtigte er die Stadtkasse. „Unter anderem soll er seinen Hinweis-, Informations- und Überwachungspflichten nicht nachgekommen sein und rechtswidrig die Beibehaltung der Sonderkasse über die Privatisierung des Krankenhauses hinaus vorgeschlagen haben“, heißt es in der Anklage. Durch diese Untreue in besonders schwerem Fall soll der Stadt Weingarten ein Schaden von zwölf Millionen Euro entstanden sein, für den Buck verantwortlich gemacht wird.
Erst im Jahr 2012 räumte Oberbürgermeister Ewald, damals auch Aufsichtsratsvorsitzender der 14-Nothelfer-GmbH, die Millionenverluste öffentlich ein. Er selbst will davon nichts gewusst haben. Dennoch ermittelte die Staatsanwaltschaft 2013 und 2015 gleich zweimal gegen ihn – ebenfalls wegen des Verdachts der Untreue. Sie stellte die Ermittlungen 2016 aber endgültig ein. Maßgeblich für den Anfangsverdacht war eine Untersuchung der Gemeindeprüfungsanstalt, die im Oktober 2013 veröffentlicht wurde. Die Behörde hatte nach Verantwortlichen für das Finanzloch gesucht und dem Aufsichtsrat letztlich sein Versagen bescheinigt. Durch das Gutachten rückt aber auch der 2012 entlassene 14-Nothelfer-Geschäftsführer Paul Blechschmidt – dessen Kündigung später vom Gericht als nicht rechtmäßig bewertet wird – in den Fokus.
Er soll Managementfehler gemacht und dem Aufsichtsrat Wirtschaftspläne erst verspätet oder gar nicht vorgelegt haben.
Parallel liefen Ermittlungen wegen Urkundenfälschung gegen unbekannt. Der Geschäftsbesorgungsvertrag soll manipuliert worden sein. Im Mai 2015 erhob die Staatsanwaltschaft deswegen Anklage gegen Blechschmidt. Denn von dem Vertrag gibt es zwei Versionen: Auf dem einen steht als Datum das Jahr 2008, auf dem anderen wurde 2008 durchgestrichen und durch 2012 ersetzt. Blechschmidt weist die Vorwürfe zurück und wird im Juni 2015 vom Amtsgericht Bad Waldsee freigesprochen. Denn die Version, auf der Blechschmidt angeblich das Datum gefälscht haben sollte, gab es 2008 noch gar nicht. Sie wurde erst 2012 angefertigt.
Doch damit nicht genug. Während der Verhandlung verstrickte sich Weingartens damaliger Kämmerer Michael Sonntag in Widersprüche. Unter dem Druck von Richter und Staatsanwalt knickte er ein und korrigierte seine Aussage. Sein Amtsvorgänger Anton Buck war wegen angeblicher Krankheit nicht erschienen, sollte aber von der Polizei abgeholt und befragt werden. Doch Buck ließ sich selbst von der ausgesandten Polizeistreife nicht in den Gerichtssaal bringen. Einen Tag später wird Michael Sonntag von seinen Aufgaben als Kämmerer der Stadt Weingarten vorläufig entbunden. Die Staatsanwaltschaft Ravensburg nahm die Ermittlungen wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage auf, stellt diese später aber wieder ein.
Doch es ging weiter Schlag auf Schlag. Im Juli 2015 wurde das sogenannte Karlsruher Gutachten der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Quintessenz des umfangreichen Werkes: Blechschmidt, Ewald, Buck und weitere damalige Aufsichtsräte werden verantwortlich gemacht. Eineinhalb Jahre später, im Februar 2017, erhob die Ravensburger Staatsanwaltschaft Anklage gegen Anton Buck wegen Untreue in besonders schwerem Fall. Die Verfahren gegen Ewald und Blechschmidt waren zu diesem Zeitpunkt bereits eingestellt.
Doch es dauert mehr als vier Jahre, bis der Mammutprozess – mittlerweile sind 16 Prozesstage anberaumt – nun wirklich stattfindet. Erst legte das Ravensburger Landgericht den Fall der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart zur Übernahme vor. Im Sommer 2018 wurde bekannt, dass die Stuttgarter Richter das Verfahren gegen Buck eröffnet hatten, den Fall allerdings nach Ravensburg zurückgaben, da es keine spezifischen Wirtschaftskenntnisse zur Verhandlung brauche.
Wegen einer Prozessflut am Landgericht wird erst im Januar 2021 der erste Verhandlungstag angesetzt. Doch er platzt aufgrund der CoronaAnsteckungsgefahr für alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere den heute 74 Jahre alten Angeklagten. Zwischenzeitlich versuchte einer von Bucks Verteidigern, das Verfahren wegen Verjährungsfristen einstellen zu lassen, scheitert damit aber. Und so könnte ab Montag nun endlich Licht in das Dunkel der Finanzmisere des Krankenhauses 14 Nothelfer in Weingarten kommen.