Die FDP will wieder mitregieren
Partei beschließt Wahlprogramm – Gegen Steuererhöhungen und Verbote in der Klimapolitik
- Zweieinhalb Tage hatte sich die FDP Zeit genommen, um ihre Parteispitze zu wählen und ihr Wahlprogramm mit dem Titel „Nie gab es mehr zu tun“zu beschließen. Die Zeit hat nicht gereicht. Am Sonntagmittag, als Generalsekretär Volker Wissing längst die Abschlussansprache gehalten haben sollte, ging der Parteitag in die Nachmittagskurve. Über 500 Änderungsanträge lagen vor, mehr als 650 Delegierte saßen an den Rechnern, um via Mausklick ihr Votum abzugeben. Am Ende hat es vier Stunden länger gedauert als geplant, bis das Wahlprogramm mit 98 Prozent vom Parteitag beschlossen war. Das zeigte: Digitalisierung macht in Corona-Zeiten zwar vieles möglich, aber selbst für eine Partei, die sich noch viel mehr davon wünscht, ist ein digitaler Parteitag eine Herausforderung. Live-Schaltungen funktionierten teilweise nicht, Abstimmungen verzögerten sich – da war Geduld gefragt aufseiten des Tagungspräsidiums und der Delegierten.
76 Seiten umfasst das Programm der Liberalen, mit dem sie nun in den Wahlkampf ziehen. Vor allem in einem Punkt setzt sich die FDP ganz klar ab von SPD, Grünen und Linken: Sie will trotz der Milliardenausgaben des Staates zur Bekämpfung der Corona-Krise keine Steuererhöhungen nach der Bundestagswahl und die Abgabenquote von Arbeitnehmern wieder unter 40 Prozent senken. „Wer Steuer erhöhen will, muss die Frage beantworten, wie private Investitionen finanziert werden sollen“, so Wissing. Er erinnere „alle, die wieder einmal nach Vermögensteuern rufen, daran, dass es ein dauerhaftes Miteinander von Bauer und Kuh nur geben kann, wenn der Bauer melkt anstatt zu schlachten“, sagte der Generalsekretär, der in den vergangenen fünf Jahren auch Landwirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz war. Zuvor hatte der Parteivorsitzende Christian Lindner für diesen Kurs geworben – und gleichwohl das Ziel ausgegeben, Teil der nächsten Bundesregierung zu sein. „Wir wollen mitregieren, wir wollen in Gestaltungsverantwortung kommen“, sagte Lindner in einem Interview mit dem Fernsehsender Phoenix.
Auch beim Klimaschutz schlägt die FDP einen anderen Weg ein als die politischen Mitbewerber. Statt auf Verbote von Verbrennungsmotoren und Kurzstreckenflügen, wie auch am Wochenende von GrünenKanzlerkandidatin Annalena Baerbock gefordert, setzen die Liberalen auf marktwirtschaftliche Mechanismen und auf einen „Wettbewerb der Ideen“im Kampf gegen die Erderwärmung. Zentrale Punkte sind dabei die Forderung nach einem gesetzlich verankerten, jährlichen CO und der Vorschlag, den Emissionshandel in der Europäischen Union sowohl geografisch als auch auf den gesamten Verkehr auszuweiten.
„Der Wettbewerb, nicht der Staat soll entscheiden, was am meisten bringt für den Klimaschutz“, sagte Wissing. Zugleich warb er dafür, klimafreundliche synthetische Kraftstoffe für Verbrennungsmotoren zuzulassen. Denn ohne Individualverkehr sei Mobilität und Teilhabe im ländlichen Raum undenkbar.
Kurioser Höhepunkt des Parteitags war eine Abstimmung über die Drogenpolitik: Zuerst stimmten die Delegierten für einen Antrag der
Jungen Liberalen (Julis), die Drogenpolitik nach dem Vorbild Portugals zu liberalisieren. Dort ist der Besitz kleinerer Mengen Drogen zum persönlichen Gebrauch seit Jahren eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat mehr.
Erst nach der Abstimmung erkannte die Parteispitze offensichtlich die Dimension dessen, was gerade beschlossen worden war. „Das portugiesische Modell bedeutet nichts anderes als die vollständige Freigabe aller Drogen. Das ist etwas, was die Freien Demokraten unter keinem Gesichtspunkt gutheißen können“, sagte der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Kubicki. Schließlich wurde nochmal abgestimmt – und mit 58 Prozent der Stimmen die Passage für eine liberalere Drogenpolitik wieder aus dem Wahlprogramm herausgestrichen.
In der Debatte über die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender setzten sich hingegen die jüngeren Liberalen durch. Ihr Antrag, den Rundfunkbeitrag zu senken, steht jetzt im Wahlprogramm – obwohl Wissing an die Delegierten appelliert hatte, ihn abzulehnen. Auch Tanzverbote an den sogenannten stillen Feiertagen soll es nach dem Willen der FDP künftig nicht mehr geben. Dagegen hatte sich Benjamin Strasser, Abgeordneter für den Wahlkreis Ravensburg und religionspolitischer Sprecher der Partei, ausgesprochen – ohne Erfolg.
Ein neues Konzept streben die Liberalen in der Rentenpolitik an. Der Sozialpolitiker Johannes Vogel aus Nordrhein-Westfalen – das frische, sozialliberale Gesicht in der Parteispitze – hatte sich für eine gesetzliche Aktienrente stark gemacht. Dieses Modell, das es bereits in Ländern wie Schweden gibt, sieht vor, dass ein kleiner Rentenbeitrag, beispielsweise zwei Prozent des Bruttoeinkommens, in ein Aktiensparmodell fließt. Ziel sei es, die Renten demografiefest zu machen, sagte Vogel, der am Freitag mit 79 Prozent als Nachfolger von Katja Suding zum Parteivize gewählt worden war.