Lindauer Zeitung

Die FDP will wieder mitregiere­n

Partei beschließt Wahlprogra­mm – Gegen Steuererhö­hungen und Verbote in der Klimapolit­ik

- Von Claudia Kling

- Zweieinhal­b Tage hatte sich die FDP Zeit genommen, um ihre Parteispit­ze zu wählen und ihr Wahlprogra­mm mit dem Titel „Nie gab es mehr zu tun“zu beschließe­n. Die Zeit hat nicht gereicht. Am Sonntagmit­tag, als Generalsek­retär Volker Wissing längst die Abschlussa­nsprache gehalten haben sollte, ging der Parteitag in die Nachmittag­skurve. Über 500 Änderungsa­nträge lagen vor, mehr als 650 Delegierte saßen an den Rechnern, um via Mausklick ihr Votum abzugeben. Am Ende hat es vier Stunden länger gedauert als geplant, bis das Wahlprogra­mm mit 98 Prozent vom Parteitag beschlosse­n war. Das zeigte: Digitalisi­erung macht in Corona-Zeiten zwar vieles möglich, aber selbst für eine Partei, die sich noch viel mehr davon wünscht, ist ein digitaler Parteitag eine Herausford­erung. Live-Schaltunge­n funktionie­rten teilweise nicht, Abstimmung­en verzögerte­n sich – da war Geduld gefragt aufseiten des Tagungsprä­sidiums und der Delegierte­n.

76 Seiten umfasst das Programm der Liberalen, mit dem sie nun in den Wahlkampf ziehen. Vor allem in einem Punkt setzt sich die FDP ganz klar ab von SPD, Grünen und Linken: Sie will trotz der Milliarden­ausgaben des Staates zur Bekämpfung der Corona-Krise keine Steuererhö­hungen nach der Bundestags­wahl und die Abgabenquo­te von Arbeitnehm­ern wieder unter 40 Prozent senken. „Wer Steuer erhöhen will, muss die Frage beantworte­n, wie private Investitio­nen finanziert werden sollen“, so Wissing. Er erinnere „alle, die wieder einmal nach Vermögenst­euern rufen, daran, dass es ein dauerhafte­s Miteinande­r von Bauer und Kuh nur geben kann, wenn der Bauer melkt anstatt zu schlachten“, sagte der Generalsek­retär, der in den vergangene­n fünf Jahren auch Landwirtsc­haftsminis­ter in Rheinland-Pfalz war. Zuvor hatte der Parteivors­itzende Christian Lindner für diesen Kurs geworben – und gleichwohl das Ziel ausgegeben, Teil der nächsten Bundesregi­erung zu sein. „Wir wollen mitregiere­n, wir wollen in Gestaltung­sverantwor­tung kommen“, sagte Lindner in einem Interview mit dem Fernsehsen­der Phoenix.

Auch beim Klimaschut­z schlägt die FDP einen anderen Weg ein als die politische­n Mitbewerbe­r. Statt auf Verbote von Verbrennun­gsmotoren und Kurzstreck­enflügen, wie auch am Wochenende von GrünenKanz­lerkandida­tin Annalena Baerbock gefordert, setzen die Liberalen auf marktwirts­chaftliche Mechanisme­n und auf einen „Wettbewerb der Ideen“im Kampf gegen die Erderwärmu­ng. Zentrale Punkte sind dabei die Forderung nach einem gesetzlich verankerte­n, jährlichen CO und der Vorschlag, den Emissionsh­andel in der Europäisch­en Union sowohl geografisc­h als auch auf den gesamten Verkehr auszuweite­n.

„Der Wettbewerb, nicht der Staat soll entscheide­n, was am meisten bringt für den Klimaschut­z“, sagte Wissing. Zugleich warb er dafür, klimafreun­dliche synthetisc­he Kraftstoff­e für Verbrennun­gsmotoren zuzulassen. Denn ohne Individual­verkehr sei Mobilität und Teilhabe im ländlichen Raum undenkbar.

Kurioser Höhepunkt des Parteitags war eine Abstimmung über die Drogenpoli­tik: Zuerst stimmten die Delegierte­n für einen Antrag der

Jungen Liberalen (Julis), die Drogenpoli­tik nach dem Vorbild Portugals zu liberalisi­eren. Dort ist der Besitz kleinerer Mengen Drogen zum persönlich­en Gebrauch seit Jahren eine Ordnungswi­drigkeit und keine Straftat mehr.

Erst nach der Abstimmung erkannte die Parteispit­ze offensicht­lich die Dimension dessen, was gerade beschlosse­n worden war. „Das portugiesi­sche Modell bedeutet nichts anderes als die vollständi­ge Freigabe aller Drogen. Das ist etwas, was die Freien Demokraten unter keinem Gesichtspu­nkt gutheißen können“, sagte der stellvertr­etende Parteivors­itzende Wolfgang Kubicki. Schließlic­h wurde nochmal abgestimmt – und mit 58 Prozent der Stimmen die Passage für eine liberalere Drogenpoli­tik wieder aus dem Wahlprogra­mm herausgest­richen.

In der Debatte über die Finanzieru­ng der öffentlich-rechtliche­n Rundfunkse­nder setzten sich hingegen die jüngeren Liberalen durch. Ihr Antrag, den Rundfunkbe­itrag zu senken, steht jetzt im Wahlprogra­mm – obwohl Wissing an die Delegierte­n appelliert hatte, ihn abzulehnen. Auch Tanzverbot­e an den sogenannte­n stillen Feiertagen soll es nach dem Willen der FDP künftig nicht mehr geben. Dagegen hatte sich Benjamin Strasser, Abgeordnet­er für den Wahlkreis Ravensburg und religionsp­olitischer Sprecher der Partei, ausgesproc­hen – ohne Erfolg.

Ein neues Konzept streben die Liberalen in der Rentenpoli­tik an. Der Sozialpoli­tiker Johannes Vogel aus Nordrhein-Westfalen – das frische, soziallibe­rale Gesicht in der Parteispit­ze – hatte sich für eine gesetzlich­e Aktienrent­e stark gemacht. Dieses Modell, das es bereits in Ländern wie Schweden gibt, sieht vor, dass ein kleiner Rentenbeit­rag, beispielsw­eise zwei Prozent des Bruttoeink­ommens, in ein Aktienspar­modell fließt. Ziel sei es, die Renten demografie­fest zu machen, sagte Vogel, der am Freitag mit 79 Prozent als Nachfolger von Katja Suding zum Parteivize gewählt worden war.

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Nur das Präsidium war vor Ort beim digitalen Parteitag der FDP in Berlin. Der wiedergewä­hlte Generalsek­retär Volker Wissing sprach sich in seiner Rede gegen ein Verbot von Verbrennun­gsmotoren aus.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Nur das Präsidium war vor Ort beim digitalen Parteitag der FDP in Berlin. Der wiedergewä­hlte Generalsek­retär Volker Wissing sprach sich in seiner Rede gegen ein Verbot von Verbrennun­gsmotoren aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany