„Ich bin Menschenfänger – und habe jede Sekunde Angst aufzufliegen“
Von Maskenträgern – Wie ein ständiger Leistungsanspruch an sich selbst krank machen kann
- Seine Klienten sind Menschen wie Du und Ich. Einige brauchen ihn als Psychiater, manche als Psychotherapeuten und wieder andere als Coach. Dr. Christian Peter Dogs lädt die Leser der Lindauer Zeitung dazu ein, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu schauen – und verspricht: „Bei vielen Fällen werden Sie manches von sich selbst wiedererkennen.“ ich nicht einfach die Brocken hinwerfe und so lebe wie es mir Spaß machen würde?
Noch schlimmer ist der Kontrollverlust über meinen Körper und die zunehmende Tabletten-und Alkoholabhängigkeit. Natürlich haben wir einen firmeneigenen Coach, der mir immer wieder hilfreich ist. Allerdings habe ich den Eindruck, dass er mir häufig nach dem Mund redet und ich glaube, ich brauche eine klare Ansage.
„So zu tun als ob ist eine Kunst, die mir zur zweiten Natur wurde“– diesen Satz habe ich einmal gelesen, weiter ging es in etwa so: „…tausend Masken, die ich fürchte abzulegen … keine davon bin ich“. Die oben zitierte Thematik beschreiben Sie sehr deutlich und Sie sind ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie ein ständiger Leistungsanspruch an sich selbst krank machen kann. Ihr Äußeres mag sicher erscheinen, aber es ist nur eine Maske.
Jeden Psychosomatiker begleitet diese Dynamik in seiner Arbeit und sie ist fast immer die Ursache für die Entstehung eines „Burn out“. Die alltägliche Überforderung, die in vielen
Varianten überspielt wird, beruht auf unserem hohen Anspruch nach Funktionalität und Perfektionismus. Fast immer steckt dahinter ein sehr unsicheres Selbst, das sich permanent durch Leistung stabilisieren muss.
So fangen wir von Kindheit an, eine äußere Fassade zu trainieren, die uns vor Verletzungen schützt. Am Anfang ist das noch spürbar eine Maske, aber im Laufe unserer Entwicklung werden wir immer mehr zu unser Maske – sie wird Teil unserer Identität. Es gelingt uns immer weniger zu unterscheiden, wie wir gern sein möchten und wie wir tatsächlich sind. In der Psychologie nennt man das die „Diskrepanz zwischen dem Idealselbst und dem Realselbst“.
Sie beschreiben sehr eindrücklich, welche Kraft es täglich kostet, diesen Unterschied zu überspielen. Wir spielen alle dieses Spiel und das Verrückte ist: Keiner mag es, aber alle spielen mit. So erlebe ich immer wieder, dass Menschen in Positionen befördert werden, für die sie zwar fachlich qualifiziert sind, aber für die sie nicht die geeignete Persönlichkeit haben.Leitende Manager zum Beispiele sind oft hervorragende Ingenieure, aber überhaupt keine Führungspersönlichkeiten.
Was Sie selbst angeht: Sie haben eine hohe fachliche Kompetenz, aber offenbar keine emotionale. Da Sie nun aber in ihre Leitungsfunktion befördert wurden, müssen sie ständig ihre Defizite überspielen. Das kostet Kraft, genau so, wie Sie es beschreiben.
Sie überfordern sich ständig. Unverkennbar haben Sie nicht ihren Beruf ihrer Persönlichkeit angepasst, sondern Sie versuchen, Ihr Verhalten dem vermeintlichen Anforderungsprofil anzugleichen und spielen Ihr Spiel, um eine Funktion zu erfüllen, der Sie offensichtlich nicht genügen können. Viele meiner Klienten sind schon so am Ende, dass sie nur noch in kleinen Zeitabschnitten planen. Diese Menschen brauchen einen Planer, der sie selbst wieder glauben lässt, dass sich der Zustand wieder ändert. Sie brauchen Hoffnung, dass sich das Aushalten lohnt.
Ein Klient erzählt mir, dass er sich immer wieder selbst damit ködert, dass er demnächst die Brocken hinwerfen wird. Nur noch bis Jahresende. Jetzt ist Ostern vorbei und er steckt immer noch in der gleichen Misere. Komödie oder Drama – er spielt weiter großes Theater und schlüpft jeden Morgen in seine Rollen. Er kommt sich vor wie ein Lügner. Ein Betrüger. Einer, dem bald die Maske runtergerissen wird. Und ständig ist unterschwellig die Angst da, dass all die Sympathie und Zuneigung in Hass und Enttäuschung umschlagen könnten, wenn er zeigt, wie er wirklich ist.
Warum bringen sich so viele Menschen in solche Situationen, aus denen es dann vermeintlich keinen Ausweg gibt? Weil wir so gerne anders wären und große Mühe haben, uns das einzugestehen. Ich beobachte oft, dass Führungskräften in unzähligen Seminaren emotionale Kompetenzen vermittelt werden soll, die sie einfach nicht haben. Ein Ansinnen, das immer zum Scheitern verurteilt ist, aber eine ganze Industrie und Heerscharen von sogenannten Coaches leben gut davon.
Man sollte sich am Sport ein Beispiel nehmen: Wer nicht entsprechend Fußballspielen kann, kommt nicht in die Bundesliga. Aber im Management wird versucht, Unsportliche zu Hochleistungssportlern zu trainieren und die tun dann so, als wären sie Naturtalente.
Sind sie nicht. Und Sie auch nicht. Um es klar zu sagen: Sie gehören nicht in diese Funktion. Passen Sie ihre Tätigkeit ihren persönlichen Fähigkeiten an. Hören Sie auf contraphobisch zu handeln und begeben sich nicht mehr dauernd in Situationen, in denen Sie offensichtlich überfordert sind. Ihr Körper und ihre Psyche geben Ihnen eindeutige Signale und die Tabletten und der Alkohol dienen nur dazu, Ihre Überforderung zu kaschieren. Ihr Coach wird Ihnen das nicht sagen, weil er finanziell von ihrer Firma abhängig ist. In Ihrer hohen Funktion hat kein Trainer den Mut Ihnen zu sagen, dass Sie ihr Spiel nicht weiter spielen können.
Wenn Sie aussteigen, werden Sie vermutlich auf viel Geld und Macht verzichten müssen, aber gewaltig an innerer Zufriedenheit und Gesundheit gewinnen. Es ist eine hohe Kunst, sich selbst zu akzeptieren und damit auch die Begrenztheit der eigenen Fähigkeiten anzunehmen. Es ist der anstrengende Teil meiner täglichen Arbeit mit Klienten, diese Diskrepanz immer wieder anzusprechen und die Menschen dazu zu bringen, sich an diesem Punkt selbst zu reflektieren.
Unter uns: Am anstrengendsten ist es, mir selbst abzufordern, was ich hier beschreibe.
Dr. Christian Peter Dogs ist Psychiater und ärztlicher Psychotherapeut, war 30 Jahre Chefarzt verschiedener psychosomatischer Fachkliniken (unter anderem der Panorama Fachklinik in Scheidegg), Coach für Unternehmer und Manager der ersten Führungsebene. Das Buch „Gefühle sind keine Krankheit: Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen“, das er zusammen mit der Stern-Redakteurin Nina Poelchau geschrieben hat, wurde zum Spiegelbestseller.
Dogs betreibt in Lindau eine eigene Praxis. Ab sofort hat er auch in der LZ einen Platz. Alle Artikel seiner Kolumne finden Sie unter
www.schwaebische.de/dogs