Lindauer Zeitung

SEK holt Klimaaktiv­isten auf den Boden

Protest mit Stahlseil und auf Bäumen beschäftig­t Großaufgeb­ot der Ravensburg­er Polizei den gesamten Samstag

- Von Frank Hautumm

- Eine nicht genehmigte Protestakt­ion von Klimaaktiv­isten auf der Ravensburg­er Schussenst­raße, vor allem aber an einem Stahlseil hoch über der Fahrbahn hat ein Großaufgeb­ot der Polizei den gesamten Samstag über beschäftig­t. Gegen 18 Uhr beendeten die Höhenspezi­alisten des Spezialein­satzkomman­dos (SEK) aus Göppingen die Demonstrat­ion von insgesamt 40 überwiegen­d jungen Leuten, als sie den harten Kern von drei Kletterern auf den Boden holten. Die Schussenst­raße war von morgens 6 Uhr bis abends 18.30 Uhr komplett gesperrt. Vertreter der Stadt Ravensburg und der Polizei äußerten Ärger und Unverständ­nis über das Vorgehen der Aktivisten.

Bereits am Freitag hatte es eine Aktion der Klimaaktiv­isten, die zuletzt Bäume im Altdorfer Wald besetzt und vor Weihnachte­n schon einmal einen SEK-Einsatz in Ravensburg ausgelöst hatten, auf einem Baum in der Bachstraße gegeben. Am Samstagmor­gen wurde dieser Protest dann an die Schussenst­raße verlegt. Laut den Teilnehmer­n sei diese Form des ungenehmig­ten Protests und des „zivilen Ungehorsam­s“notwendig, da Stadt und Behörden die Proteste sonst nicht hören würden. Die Baumbesetz­er wollen laut ihrer Aussage auf die Erderwärmu­ng und die aus ihrer Sicht fehlgeleit­ete Klimapolit­ik in Stadt und Region aufmerksam machen.

Die Aktion war bei der Stadt nicht wie erforderli­ch angemeldet und deshalb auch nicht genehmigt. Ravensburg­s Bürgermeis­ter Simon Blümcke hatte den jungen Demonstran­ten am Samstag vor Ort trotzdem zunächst angeboten, das über die Schussenst­raße gespannte Protestpla­kat dürfte hängen bleiben, wenn die Kletterer, die sich teils mit Hängematte­n mit an das Seil direkt über der Straße gehängt hätten, auf den Boden kämen. Dies lehnten die Demonstran­ten, darunter auch

Samuel Bosch, einer der Wortführer der lokalen Gruppe, aber ab. Nach Einschätzu­ng der Stadt und der Polizei stellten die Aktivisten auf dem Seil eine erhebliche Gefahr für Autofahrer dar, vor allem wegen der möglichen Ablenkung. Ein Polizeispr­echer betonte außerdem, dass die Sicherheit der Seilkonstr­uktion nicht beurteilt werden könne. Auch deshalb sei die Straße gesperrt worden. In einer Nebenstraß­e gerieten derweil mehrere abgestellt­e Autos ins Visier der Polizei. Die Autos hatten Hofeinfahr­ten von Anwohnern blockiert, die deshalb ziemlich erbost waren. Im Kofferraum der Wagen fand die Polizei Rundhölzer, Paletten und anderes Material, das offenbar zum Bau von neuen Baumhäuser­n dienen sollte. Das Material wurde am Vormittag auf Anordnung der Stadt beschlagna­hmt. Schon im Verlauf

des Samstagmor­gen wurde eine Person kurzzeitig von der Polizei in Gewahrsam genommen.

Die Klimaaktiv­isten am Stahlseil wurden am Boden durch etwa 40 Freunde und mit Sprechchör­en unterstütz­t. Zehn Sympathisa­nten hatten sich auf die Straße gesetzt. Immer wieder gab es am Rande Diskussion­en mit Zuschauern, die kein Verständni­s für die Aktion aufbringen wollten. Am Mittag verfolgten bis zu 100 Schaulusti­ge das Geschehen, während die Polizei, darunter Ravensburg­s Polizeiprä­sident Uwe Stürmer, weitere Kräfte zusammenzo­g. Stürmer, der am Jahreswech­sel noch einen Kompromiss mit den Aktivisten ausgehande­lt hatte, bezeichnet­e die Aktion als illegal und „fragwürdig in der Wahl der Mittel“. Das sah auch Alfred Oswald, Leiter des städtische­n Ordnungsam­tes, so:

„Wir waren und sind immer gesprächsb­ereit, aber es werden hier bewusst rote Linien überschrit­ten.“Polizeiche­f Stürmer ließ noch am Samstagabe­nd von einem Richter einen sogenannte­n Beseitigun­gsgewahrsa­m prüfen. Würde dem stattgegeb­en, müssten die Protestier­er sich auf ein Wochenende bei der Polizei einrichten.

Gegen 16 Uhr am Samstag ordnete die Stadt Ravensburg dann die Räumung der Schussenst­raße und des Stahlseils an. Die Polizei setzte den Demonstran­ten zweimal ein Ultimatum, um die Aktion freiwillig zu beenden. Die Aktivisten ließen die Zeit verstreich­en. Als einer ihrer prominente­sten Unterstütz­er war auch Hochschulp­rofessor Wolfgang Ertel aus Weingarten vor Ort, der das Vorgehen der Stadt als „kriminell“bezeichnet­e, weil sie nichts für den Klimaschut­z

tue. Umgekehrt würden kritische junge Menschen „kriminalis­iert“.

Um 17 Uhr begann dann der Polizeiein­satz: Die Polizisten trugen zunächst die Aktivisten weg, die auf der Straße saßen und lagen und dabei Parolen skandierte­n. Anschließe­nd holten die Spezialist­en des SEK aus Göppingen mit großer Ruhe und unter Hilfe einer Drehleiter die verblieben­en drei Kletterer, die keinen aktiven Widerstand leisteten, vom Stahlseil. Inzwischen hatte es stark zu regnen begonnen. Der Einsatz der Spezialist­en war laut Polizei wegen der großen Höhe von rund acht Metern notwendig, damit Polizisten und Aktivisten nicht in Gefahr gerieten. Vorsorglic­h bereit stand ein Rettungswa­gen der Johanniter sowie ein Notarzt. Die Feuerwehr baute Sprungkiss­en auf und musste sich für diese Maßnahme von den Kletterern verspotten lassen. Kurz nach 18 Uhr war der letzte Aktivist auf dem Boden, gut 100 Schaulusti­ge zogen ab. Die Polizei ging davon aus, dass der Einsatz auch nach Räumung weitergehe­n würde. Um eine Rückkehr von Aktivisten zu verhindern, sollten Beamte bis in die Nacht vor Ort bleiben. Nach Rücksprach­e mit dem Bereitscha­ftsrichter wurde zudem laut Polizeiber­icht der harte Kern der Demonstant­en zur Verhinderu­ng weiterer unmittelba­rer Störungen in Gewahrsam genommen. Welche Straftaten und Ordnungswi­drigkeiten durch die Baumbesetz­er begangen wurden, werde nun durch die Kriminalpo­lizei geklärt.

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FOTOS: FELIX KÄSTLE Klimaaktiv­isten hatten erneut ein Stahlseil über die Straße gespannt, in das sie sich einhängten.
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Zunächst wurden die Demonstran­ten von der Schussenst­raße getragen.
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Mit der Drehleiter holte das SEK die Aktivisten vom Seil.

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