Lindauer Zeitung

Angekommen im Olymp

Robert Lewandowsk­i zieht mit Gerd Müller gleich – Was die beiden Torjäger unterschei­det

- Von Patrick Strasser Von Martin Deck

- Samstag, der 15. Mai 2021, 15:55 Uhr. Elfmeter in der Fußball-Bundesliga für den FC Bayern München: Einer für die Geschichts­bücher. Der 33. Spieltag, die 26. Spielminut­e. Da stand Robert Lewandowsk­i, atmete vor der Ausführung ganz bewusst tief ein und aus, blickte in den Himmel. „Es war eine sehr schwierige Situation für mich, ich musste versuchen, ruhig und fokussiert zu bleiben“, sagte Lewandowsk­i später, „aber das ist nicht so einfach.“Auf seine typische Art und Weise lief er an, stoppte fast ab, machte einen Sprung, verzögerte kurz – und schoss den Ball rechts unten ins Netz. Drin, 1:0 für die Bayern beim SC Freiburg. Mehr als ein Tor. Endstand später 2:2.

Die Führung der Münchner war Lewandowsk­is „Ausgleichs­treffer“. Denn der 32-jährige Weltfußbal­ler steht nun auf einer Stufe mit Gerd Müller, dem legendären „Bomber der Nation“. Lewandowsk­i hat nun den scheinbar unerreichb­aren 40Tore-Rekord von Müller aus der Saison 1971/72 eingestell­t. Richtig ergriffen sagte er bei „Sky“: „Das ist eine große Ehre für mich. Was Gerd gemacht hat, war schon unglaublic­h. Ich hätte nie gedacht, dass ich auch dran sein kann.“Um das für die sozialen Kanäle zu demonstrie­ren, zeigte Lewandowsk­i beim Torjubel ein T-Shirt mit einem Porträt Müllers und der Aufschrift „4EVER GERD“(„Für immer Gerd“) in die Kameras. Das ging um die Welt.

Bundestrai­ner Joachim Löw, in Freiburg zu Gast, adelte den Weltfußbal­ler im Gespräch mit der „Abendzeitu­ng“: „Das ist imponieren­d, solch eine Anzahl an Toren zu erzielen. Überhaupt in die Region von 40 Toren pro Saison in der Bundesliga zu kommen, ist schon überragend.“Bayerns Vorstandsb­oss Karl-Heinz Rummenigge betonte: „Ich habe mit Gerd Müller gespielt und weiß, dass er Robert diesen Tag von Herzen gönnt. Beide sind Stürmer, die in der Geschichte des Fußballs herausstec­hen.“Gegenüber der „BamS“ergänzte er: „Gerd Müller ist ein Fußball-Gott und nun ist Robert Lewandowsk­i auch ein FußballGot­t!“

Diese Niederlage war zu viel. Nach der peinlichen 3:4-Pleite bei Absteiger Schalke 04 nahm kein Blatt mehr vor den Mund – und gewährte einen tiefen Einblick ins zerrissene Innenleben von Eintracht Frankfurt. „Wenn eine Mannschaft, die schon abgestiege­n ist, den Sieg mehr will als eine, die die Champions League erreichen kann, ist das sehr ernüchtern­d“, urteilte der Mittelfeld­spieler. Dafür, dass der Traum von der Premiere in der Königsklas­se einen Spieltag vor Ende einer eigentlich grandiosen Saison ausgeträum­t ist, machte der 30Jährige überrasche­nd offen auch den scheidende­n Coach verantwort­lich. „Die ganze Mannschaft samt Trainer“habe „versagt“.

Sebastian Rode

Adi Hütter

Der anstehende Wechsel des Österreich­ers zu Borussia Mönchengla­dbach hat zu einem Einbruch der Mannschaft geführt, das machte Rode mehr als deutlich. „Wir haben uns immer eingeredet, dass es uns nicht belastet“, sagte Rode, „aber es ist nicht von der Hand zu weisen, jetzt haben wir es schwarz auf weiß.“Sein Chef, Sportvorst­and der durch die lange und öffentlich geführte Diskussion um seinen Wechsel zu Hertha BSC ebenfalls für ordentlich Unruhe bei der bis dahin so erfolgreic­h aufspielen­den Eintracht gesorgt hatte, widersprac­h augenblick­lich: „Meine Person geht weiter, der Trainer geht woanders hin. Das wird in Zusammenha­ng gebracht. Das ist aus meiner Sicht sehr billig.“Doch auch Bobic kann die Fakten nicht leugnen: Als Hütter vor einem Monat seinen Abschied zum Saisonende bekannt gab, hatte die Eintracht noch ein Polster von sieben Punkten auf Borussia Dortmund. Seitdem holte sie aus fünf Spielen nur noch vier Zähler. „Es war

Fredi Bobic,

Geradezu grotesk, wie Lewandowsk­i in der 78. Minute eine dicke Chance zu Tor Nummer 41 vergab. Er traf den Ball so unglücklic­h, dass dieser Freiburgs Torwart Mark Flekken in die Arme segelte. Lewandowsk­i: „Ich hätte mindestens ein Tor mehr schießen können, aber vielleicht kann man so einen Rekord nicht direkt schlagen.“Der wahre FußballGot­t hatte wohl etwas dagegen.

Vor dem letzten Spieltag, an dem die Bayern kommenden Samstag die geretteten Augsburger empfangen, steht es also 40:40 – doch kann man Lewandowsk­is Leistung mit Müllers Zeiten in den 60er und 70er Jahren vergleiche­n? Ein Versuch:

Lewandowsk­i reichten nur 28 Partien, um 40 Tore zu erzielen. In der Hinrunde wurde er einmal (beim 2:1 in Köln) geschont, in der Rückrunde stoppte ihn im April die Bänderdehn­ung im rechten Knie, die er bei einem Länderspie­l der polnischen

Spiele:

nicht mehr so, wie es vorher war“, gab selbst der scheidende Coach zu: „Natürlich ist etwas passiert.“

Das gilt auch für seinen künftigen Verein. Seit Trainer im Februar bekannt gab, Gladbach im

Marco Rose

Nationalma­nnschaft Ende März gegen Andorra erlitten hatte. Müller dagegen absolviert­e in Bayerns Baller-Saison 1971/72 (mit bisher unerreicht­en 101 Toren) alle 34 Spiele, stand immer in der Startelf, wurde kein einziges Mal (!) ausgewechs­elt. Vorteil Lewandowsk­i.

Der heute 75-jährige Müller verschoss in seiner Rekordsais­on in der Vorrunde sogar drei Strafstöße. Frustriert erklärt er Anfang Oktober 1971 nach dem neunten Spieltag seinen Rücktritt als Elfmetersc­hütze. Insgesamt verwandelt­e er in seiner Bundesliga-Karriere 50 Elfmeter. Und Lewandowsk­i? Sein Elfmeter in Freiburg war der achte verwandelt­e in dieser Saison (einer verschosse­n). So gesehen: Vorteil Müller.

Elfmeter:

Spielweise:

Im Fußball der Neuzeit übergeben die Abwehrspie­ler, agieren per Raumdeckun­g. Zu Müllers Zeiten wurde strikte Manndeckun­g

Sommer Richtung Borussia Dortmund zu verlassen, ist die Mannschaft der Fohlen geradezu eingebroch­en, hat zehn von 15 Pflichtspi­elen verloren. Einstige Leistungst­räger, die die Borussia bis dahin in Reichweite der Champions-League-Plätze geführt und in der Königsklas­se für Furore gesorgt hatten, zeigten eine besorgnise­rregende Entwicklun­g nach unten. Die Gründe dafür – und das sagt der Chefcoach selbst – liegen nicht nur bei den Spielern. „Die liegen auch beim Trainertea­m“, meinte Rose selbstkrit­isch.

So bitter das für die betroffene­n Vereine ist, so deutlich zeigt sich an beiden Beispielen, welche zwiespälti­ge Bedeutung Trainer heutzutage im Profifußba­ll einnehmen können. Sobald sie eine Mannschaft zu den erhofften Höchstleis­tungen treiben, bringen sie den eigenen Club dadurch zugleich auch in die Bredouille. Denn

gespielt. Dass sein eigener Rekord nicht mehr unantastba­r sei, glaubte er bereits vor zehn Jahren, „weil es die doppelte Manndeckun­g von früher nicht mehr gibt“. Die Verteidige­r seien ihm „früher bis auf die Toilette gefolgt“, so Müller einmal scherzhaft. Vorteil Bomber.

Lewandowsk­i wird „The Body“genannt. Der Modellathl­et tut alles für seine Fitness, stellte die Ernährung um. Müller dagegen liebte Schweinebr­aten und Kartoffels­alat, war aus der Abteilung „Quadratisc­h, praktisch, gut“– sein Oberschenk­elumfang (einst wurden 68 Zentimeter gemessen!) legendär. „Der Robert ist ein Athlet, der Gerd war ein Artist, wie ein Gummiball“, sagte Müllers Ehefrau Uschi in der „Sport Bild“und ergänzte: „Aber ihm standen immer zwei Mann auf den Füßen.“Wertung: Unentschie­den.

Unterm Strich: Jeder der beiden ist auf seine Art eine Legende.

Körper:

längst haben auch die großen Vereine erkannt: Die Entscheidu­ng für einen Trainer – oder vielmehr ein Trainertea­m – ist mit die wichtigste, die eine sportliche Führung zu treffen hat, und sind deshalb inzwischen zu Recht dafür bereit, auch in die Verpflicht­ung zu investiere­n. Für die abgebenden Clubs ist das ein Fluch, das hat diese Saison deutlich gezeigt. Berichte über Trainer, die am Saisonende ihren Verein verlassen, um anderswo mit einem besseren Kader zu arbeiten, haben eine zerstöreri­sche Wirkung entwickelt. Selbst RB Leipzig hat zuletzt nur drei von neun Partien gewonnen, als sich immer konkreter abzeichnet­e, dass zum FC Bayern wechseln will.

Julian Nagelsmann

Womöglich ist eine vorzeitige Trennung deshalb doch die beste Lösung – auch wenn das Fußballrom­antiker nicht immer gerne sehen. Dass aber ein neuer Mann an der Seitenlini­e auch neue Kräfte entlocken kann, hat jüngst mal wieder das Beispiel FC Augsburg gezeigt. Die Rückkehr von

erwies sich als Glücksgrif­f, Sportvorst­and

schwärmte geradezu über seinen Notarzt, der eine zunehmend blutleere Mannschaft in wenigen Tagen erkennbar wiederbele­bte. Im „Endspiel“gegen Bremen ließ sich Augsburg auch von einem frühen Platzverwe­is nicht aus der Bahn werfen. Diese Wirkkraft hat offenbar auch

beeindruck­t. Einen Spieltag vor Saisonende hat der Werder-Vorstand doch noch reagiert und Altmeister für

geholt, um den Abstieg zu verhindern. Allerdings kommt diese Einsicht sehr spät, vermutlich zu spät. Denn trotz gestiegene­r Bedeutung der Trainer, sind es am Ende immer noch die Spieler, die auf dem Platz stehen.

Markus Weinzierl

Reuter

Frank Baumann

Thomas Schaaf Kohfeld

Stefan

Florian

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FOTO: DPA/IMAGO IMAGES Körperlich ganz unterschie­dlich, vor dem Tor aber beide eiskalt: Seit Samstag teilt sich Robert Lewandowsk­i (links) die 40-Tore-Rekordmark­e mit Gerd Müller, der in der Saison 1971/72 genauso häufig getroffen hatte.
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FOTO: IMAGO IMAGES Adi Hütter
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