Mehr Wertschätzung für die Jungen
Die große Corona-Generationendebatte: Sind die Alten undankbar?
(dpa) - Der Satiriker und Jan-Böhmermann-Autor Sebastian Hotz – besser bekannt unter seinem Twitternamen El Hotzo – hat in letzter Zeit eine gewisse Altersgruppe zum Ziel seiner Gags gemacht. In einem Tweet echauffierte sich der 25Jährige über 60-Jährige, die eine Impfung mit Astrazeneca abgelehnt haben, stattdessen Biontech bekamen und sich jetzt nach 14 Monaten Homeoffice fragen, in welchem Ostseebad sie am liebsten Fischbrötchen essen würden. Ganz nach dem Motto „Meine Rente ist sicher und der Klimawandel kickt erst nach meinem Tod“.
Die einen nennen es Neiddebatte, die anderen Gerechtigkeitsdebatte. In jedem Fall ist es die derzeit wohl brisanteste Debatte überhaupt. Es geht im Kern um die Frage: Sind die Alten undankbar und egoistisch? Die Argumentationslinie verläuft ungefähr so: Zu Beginn der Pandemie haben sich die Jungen zurückgenommen, um die Alten zu schützen. Damals landeten Junge nur ganz vereinzelt auf den Intensivstationen, Ältere dagegen waren hochgradig gefährdet.
Dennoch steckten die Jungen zurück. Schülerinnen und Schüler begnügten sich mit Distanzunterricht. Für Abiturientinnen und Abiturienten fielen Abschlussfahrt, Abi-Gag, letzter Schultag und Abi-Ball aus. Die große Party zum 18. Geburtstag? Nur ein Traum! Studenten begannen im Herbst ihr Studium in der Einsamkeit ihres Kinderzimmers. Mittlerweile stehen sie schon im zweiten Semester, aber eine Uni haben sie immer noch nicht von innen gesehen. Erstsemesterfeiern und vieles andere mehr werden sie auch nach der Pandemie nicht nachholen können. Das bleibt eine Lücke im Leben. Die Corona-Lücke.
Das alles haben sie auf sich genommen. Und jetzt? Werden die Alten bei der Impfung selbstverständlich vorgezogen, sie sind ja am gefährdetsten. So weit noch in Ordnung. Aber was ist mit jenen Leuten über 60, die Astrazeneca abgelehnt haben, weil sie „kein gutes Gefühl“dabei hatten? Obwohl Stand der Wissenschaft ist, dass Astrazeneca nur für Jüngere ein geringes Risiko mit sich bringt, für Ältere aber uneingeschränkt ein erstklassiger Impfstoff ist?
Diese Haltung irritiert Lasse Petersdotter (31), Fraktionsvize der Grünen im schleswig-holsteinischen Landtag, ebenso sehr wie derzeitige Schwerpunkte der Corona-Debatte: Darf man ins Theater, ja oder nein? Wann öffnen die Restaurants für
Geimpfte? „Dass diejenigen, die dort dann die Weißweinschorle servieren, meist Jüngere sind, für die sich an der Gefährdungslage eigentlich nichts geändert hat, kommt in der Diskussion nicht vor. Dass das einen Groll mit sich bringt, das kann ich durchaus verstehen. Wir müssen hier schon darauf achten, dass die Generationen beieinander bleiben“, meint Petersdotter.
Ist die Konsequenz daraus, dass Geimpfte aus Solidarität mit den Nicht-Geimpften weiter brav zu Hause bleiben sollen? „Nein“, sagt der SPD-Politiker und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. „Dafür gibt es keine medizinische und damit auch keine juristische Grundlage. Die Geimpften stecken sich in der Regel nicht mehr an. Und wenn man sich doch infiziert, dann ist man nicht mehr ansteckend. Deshalb ist es richtig, den Geimpften die Freiheitsrechte zurückzugeben.“Sagt derjenige, der seit gut einem Jahr den Ruf der Spaßbremse weg hat.
„Die Freiheit der Jüngeren kommt ja nicht dadurch zustande, dass die Älteren auf ihre Grundrechte verzichten. Das ist überhaupt gar keine Frage. Aber ich erwarte gerade von
Medizin-Ethikerin Christiane Woopen der älteren Generation mehr Verständnis dafür, wie müde und teilweise wütend junge Menschen über die Maßnahmen sind, die sie weiterhin einschränken“, sagt Lasse Petersdotter. Er fordert mehr Wertschätzung, mehr Aufmerksamkeit. „Wo können junge Menschen gerade überhaupt sein? Sie können nicht in die Schule, sie können nicht zum Sport, abends gelten womöglich Ausgangsbeschränkungen, und vor dem PC soll man dann bitte auch nicht sitzen. Es wirkt, als könnte man es gerade nur falsch machen.“
Wie stark sich dies auf die Psyche vieler Jüngerer auswirkt, zeigt die repräsentative Studie „Generation Corona“der pronova BKK, für die 1000 junge Menschen im Alter von 16 bis 29 Jahren befragt wurden. Mehr als die Hälfte der unter 30-Jährigen fühlt sich demnach häufiger traurig oder depressiv als noch vor einem Jahr. 52 Prozent klagen über innere Unruhe. Ihnen fehlt der persönliche Kontakt, die herzliche Umarmung. Gerade auch vor diesem Hintergrund fordert die Medizin-Ethikerin Christiane Woopen: „Die junge Generation hat jetzt die Solidarität der Gesellschaft verdient, damit sie möglichst schnell wieder ein normales Leben führen kann.“Das heißt für die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates, dass die Impf-Mobile auch Schulhöfe und Uni-Campusse ansteuern sollten.
„Die junge Generation hat jetzt die Solidarität der Gesellschaft
verdient ...“