Lindauer Zeitung

Biene ist nicht gleich Biene

Ein Nutztier und 560 bedrohte Verwandte – Vor allem die Wildbienen sind gefährdet

- Von Irena Güttel

(dpa) - Jetzt summt es wieder überall, wo Pflanzen blühen. Unermüdlic­h fliegen Bienen von Blüte zu Blüte. Das Ergebnis kann man sich als Honig auf dem Brot oder im Tee schmecken lassen. Für ein Glas davon müssen Honigbiene­n viele Tausend Kilometer zurücklege­n. Doch die Tierchen können viel mehr: Während sie Nektar sammeln, bestäuben sie nebenbei unzählige Pflanzen. Ohne Bienen gäbe es viel weniger Kirschen, Äpfel und Pflaumen. Allein in Deutschlan­d sind nach Angaben des Deutschen Imkerbunde­s (DIB) 80 Prozent aller Blühpflanz­en drauf angewiesen, dass Bienen und andere Insekten sie bestäuben.

Kaum ein Tier hat so ein positives Image wie die Honigbiene. Schon ganz kleine Kinder erkennen das Insekt. Schließlic­h bevölkert es Kinderbüch­er und hat mit Biene Maja sogar eine eigene Filmheldin. Kein Wunder, dass Nachrichte­n über das Bienenster­ben viele Leute beunruhige­n. Der Verlust von Lebensraum, die Monokultur­en in der Landwirtsc­haft und Pestizide machen Bienen zu schaffen, wie es heißt. Darauf weisen auch jedes Jahr Experten zum Weltbienen­tag am 20. Mai hin, den die Vereinten Nationen 2018 ins Leben gerufen haben.

Doch Biene ist nicht gleich Biene. Die Honigbiene ist keineswegs vom Aussterben bedroht. Die Zahl der Honigbiene­n-Völker in Deutschlan­d ist in den vergangene­n Jahren nach DIB-Angaben sogar gestiegen: Etwa 160 000 Imkerinnen und Imker kümmern sich demnach um geschätzt 1,1 Millionen Völker. „Die Honigbiene ist für die Bestäubung wichtig“, sagt Norbert Schäffer vom Landesbund für Vogelschut­z (LBV) im bayerische­n Hilpoltste­in. „Aber sie kann es nicht allein.“Wildbienen bestäuben zudem auch Pflanzen, an die Honigbiene­n nicht gehen. Und gerade diese oft spezialisi­erten Bestäuber sind stark bedroht. Fast die Hälfte der mehr als 560 Wildbienen-Arten in

Deutschlan­d sei gefährdet oder gelte als verscholle­n, sagt Swantje Grabener vom Thünen-Institut für Biodiversi­tät in Braunschwe­ig. Das geht aus der Roten Liste bedrohter Tierund Pflanzenar­ten hervor – allerdings ist der Stand von 2011. „Das verdeutlic­ht, wie wenig wir eigentlich über Wildbienen wissen“, sagt Grabener. Die Biologin und ihre Kolleginen und Kollegen wollen Abhilfe schaffen: Sie bauen ein bundesweit­es Monitoring für Wildbienen in Agrarlands­chaften auf.

So wollen sie herausfind­en, welche Arten in welcher Zahl wo verbreitet sind und welche Effekte zum Beispiel Blühstreif­en in der Agrarlands­chaft haben. Manche der Wildbienen­arten sind so selten und unscheinba­r, dass die meisten Menschen sie wahrschein­lich noch nie zu

Gesicht bekommen haben – oder zumindest nicht als besonders erkannt haben. Wildbienen leben eher einzeln und stechen meist nicht, ihr Aussehen unterschei­det sich von Art zu Art stark.

Dass Initiative­n zum Bienenschu­tz oft die gar nicht gefährdete Honigbiene als Wappentier verwenden, sieht der Umweltfors­cher Josef Settele kritisch. Denn bei dieser Art handele es sich um ein hochgezüch­tetes Nutztier, schreibt der Professor vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung in Halle in seinem Buch „Die Triple-Krise“. „Aus Untersuchu­ngen wissen wir: Wildbienen mit kleinem Aktionsrad­ius können von Honigbiene­n verdrängt werden, wenn sie nicht auf genügend Blüten in der unmittelba­ren Nachbarsch­aft ausweichen können.“

Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine Studie, die Forscher 2019 im Fachblatt „Scientific Reports“vorstellte­n. Sie hatten über drei Jahre hinweg zur Blütezeit im Frühjahr bis zu 2700 Bienenstöc­ke in einem Nationalpa­rk auf Teneriffa aufgestell­t. Das Ergebnis: Bienenhalt­ung in natürliche­n Umgebungen könne das Netzwerk wilder Bestäuber negativ beeinfluss­en. Die weltweite Haltung von Honigbiene­n könnte demnach stärkere Folgen für Ökosysteme haben als bisher angenommen.

Der Deutsche Imkerbund widerspric­ht der Annahme, dass Honigbiene­n ihre wild lebenden Verwandten verdrängen können. Es gelte vielmehr, Hauptursac­hen des Wildbienen­schwunds wie den Verlust an Nahrungs- und Nistmöglic­hkeiten anzugehen.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Bei Bienen denkt fast jeder erst mal an die Honigbiene. Doch gerade die weniger bekannten Wildbienen sind gefährdet. Hier eine Gehörnte Mauerbiene (Osmia cornuta) an einem Insektenho­tel in einer Obstplanta­ge.

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