Lindauer Zeitung

Reiserückk­ehrer schleppte Mutante ein

Keine Hinweise auf unkontroll­ierte Verbreitun­g – Gesundheit­samtsleite­r bleibt gelassen

- Von Annette Vincenz

- Erstmals ist die bei vielen gefürchtet­e indische Doppelmuta­nte des Coronaviru­s im Kreis Ravensburg nachgewies­en worden. Betroffen ist ein Ehepaar. Gesundheit­samtsleite­r Michael Föll ist deswegen aber nicht beunruhigt. Denn bislang sei noch nicht bewiesen, dass die Variante von SarsCoV-2, die sich erst in Indien und neuerdings in Großbritan­nien schnell auszubreit­en scheint, ansteckend­er oder gar tödlicher sei. Zudem scheinen die herkömmlic­hen Impfstoffe nach allem, was man derzeit weiß, dagegen zu wirken. „Die mediale Aufregung ist wohl eher den schrecklic­hen Bildern aus Indien geschuldet“, glaubt Föll.

Von dort kommen seit Wochen Berichte über verzweifel­te Menschen, die auf der Straße sterben, Krankenhäu­ser, die keinen Sauerstoff mehr haben, Tote im Ganges oder massenhaft­e Leichenver­brennungen in Parks. Ob tatsächlic­h die Doppelmuta­nte B.1.617 allein daran schuld ist oder eher das schlechte indische Gesundheit­ssystem, gepaart mit Leichtsinn bei religiösen Festen und Wahlverans­taltungen, ist aber nach Ansicht vieler Experten unsicher. Föll hält Zweiteres für wahrschein­lich. Der Begriff Doppelmuta­nte bezieht sich auf die Kombinatio­n von britischer und südafrikan­ischer Mutation im Spike-Protein des Virus.

Allerdings ist auch die britische Regierung besorgt, weil sich die indische Variante in einigen nordenglis­chen Städten wie Bolton rasant ausbreitet. Man befürchtet, sie könne bis zu 50 Prozent ansteckend­er sein als die mittlerwei­le auch in Deutschlan­d vorherrsch­ende britische Variante B.1.1.7. Und die soll schon deutlich ansteckend­er gewesen sein als der sogenannte Wildtyp beziehungs­weise die norditalie­nische Mutante des ursprüngli­ch aus China stammenden neuen Krankheits­erregers, die im März 2020 ihren Siegeszug um die Welt antrat. Am 10. Mai stufte die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) die indische Mutante als sogenannte „Variant of concern“(besorgnise­rregende Variante) ein.

„Belastbare Daten über die Eigenschaf­ten des Virus gibt es noch nicht“, beschwicht­igt der promoviert­e Epidemiolo­ge Föll jedoch. Ziemlich sicher erscheine es im Moment,

Seit Beginn der Corona-Pandemie wurden im Bodenseekr­eis laut dem Gesundheit­samt (Stand Mittwoch) insgesamt 7500 Infektione­n gemeldet. 2024-mal wurde dabei durch Sequenzier­ung eine Corona-Mutation festgestel­lt.

Davon waren 1940 Fälle der britischen Corona-Variante zuzuordnen. 46 Mal kam die südafrikan­ische Variante vor, einmal die brasiliani­sche, einmal die kalifornis­che und fünf Mal die indische Variante. Bei

dass B.1.617 zumindest nicht pathogener sei, also keine schwereren Krankheits­verläufe verursache als die anderen Sars-2-Unterarten. Auch die aktuellen Impfstoffe sollen gut wirken.

Aber wo hat sich das Ehepaar aus dem Kreis Ravensburg die in Deutschlan­d mit zwei Prozent Verbreitun­g noch seltene Virusvaria­nte eingefange­n? Allzu viel darf Föll wegen der ärztlichen Schweigepf­licht und des Datenschut­zes nichts sagen. Offenbar war der Mann oder die Frau in ein Land gereist, in dem das Virus grassiert, und nach der Rückkehr erkrankt. Wegen der Reisehisto­rie sei eine Sequenzier­ung veranlasst worden, die einige Wochen gedauert habe – normalerwe­ise werden solche zeitintens­iven Virusgenom­sequenzier­ungen nur stichprobe­nartig erhoben. Außer dem Ehepartner sei aber niemand 31 Fällen konnte nicht genau festgestel­lt werden, um welche VirusVaria­nte es sich handelt. Das habe aber nur die Phase betroffen, als die Mutationen neu aufgetrete­n seien. „Heute gibt es so gut wie keine nicht abschließe­nd sequenzier­ten Fälle mehr“, sagt Robert Schwarz, der Pressespre­cher des Bodenseekr­eises. Grundsätzl­ich sei der überwiegen­de Teil der Infektione­n aktuell auf Varianten zurückzufü­hren, davon der größte Teil angesteckt worden. „Es gibt keine Hinweise auf eine unkontroll­ierte oder diffuse Verbreitun­g“, sagt der Leiter des Gesundheit­samtes. Mittlerwei­le seien beide wieder gesund, die Quarantäne längst vorbei.

Vermutlich habe es sich auch nicht um den ersten Fall der indischen Variante im Kreis gehandelt, sondern nur um den ersten nachgewies­enen. Bereits vor vielen Wochen sei die Doppelmuta­nte bei einem Menschen in einem anderen Landkreis nachgewies­en worden, der sich wahrschein­lich bei einem Patienten im Kreis Ravensburg angesteckt habe. Bei diesem wiederum lag die Infektion beim Ergebnis der Sequenzier­ung schon zu lange zurück, sodass eine genaue Bestimmung nicht mehr möglich gewesen sei. Föll vermutet aber, dass das der erste indische Fall im Kreis gewesen sein könnte. wiederum auf die britische Variante. „Das ist der Normalfall“, sagt Schwarz.

Die fünf Fälle der indischen Variante seien Ende April, Anfang Mai in zeitlichem Zusammenha­ng gemeldet worden. Alle fünf betroffene­n Personen hätten die Infektion überstande­n und seien aus der Quarantäne wieder raus. Aktuell sei dem Gesundheit­samt kein Fall einer indischen Variante bekannt. (at)

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