Baustellenwasser ist für Fische oft Todesurteil
Vor ein paar Wochen verenden im Hergensweilerer Riegersbach Fische – Mario Kirchmann erklärt, wie man solche Vorfälle verhindert
– Sonntagnachmittag. Bei Mario Kirchmann klingelt das Diensthandy. Das bedeutet Einsatz für den Flussmeister der Seemeisterstelle Lindau. Ein Spaziergänger hat gemeldet, dass an einer Mündung weißes, schaumiges Wasser in den See läuft. Kirchmann springt in seinen Dienstwagen und fährt los. Eile ist geboten.
Am Einsatzort – es ist der LSCHafen – entnimmt er Proben. „Wir hätten nie gedacht, dass das Milch ist. Ein geplatzter Milchschlauch ist ab und zu die Ursache dafür, dass Milch in ein Gewässer fließt. Aber es gibt ja auf der Insel keinen Bauernhof.“Aber es ist Milch. Entwarnung heißt das nicht. Kirchmann erklärt, dass Milch bei ihrer Zersetzung eine sauerstoffzehrende Wirkung habe. Durch den verminderten Sauerstoffgehalt geht den Fischen und Kleinlebewesen im Wasser buchstäblich die Luft aus.
Im geschilderten Fall ist das nicht das Problem, die Menge Milch war zu gering und wurde im See schnell verdünnt. Wenn aber viel Milch in einen Bach oder einen kleinen Teich gelangt, kann sie großen Schaden anrichten. Die Gewässer verlieren zusätzlich zum niedrigen Sauerstoffgehalt ihre Selbstreinigungskräfte und sind als Lebensraum gefährdet. Selbst im Abwasser ist Milch problematisch, denn sie führt zu einer erheblichen organischen Belastung und Überlastung bis zum Ausfall der Kläranlagen.
„Trübes, weißes, schaumiges Wasser“sei oft der Grund dafür, dass Kirchmann zu allen möglichen Unzeiten ausrücken muss. Vor einigen Wochen war es Zementwasser, das in Hergensweiler wahrscheinlich von einer Baustelle an der B 12 in den Riegersbach gelangt ist. Das Todesurteil für viele Fische und Kleinstlebewesen. Denn in Beton- oder Zementwasser entstehe fischgiftiges Ammoniak, das die Kiemen der Fische verätze, die qualvoll verenden. „Ein echtes Drama“, sagt der Flussmeister.
Ein weiteres Beispiel, weniger tragisch: Das Treppenhaus ist geputzt, das Putzwasser im Eimer ist dreckig grau und schäumt. Wohin damit? Ab damit in den Gully, der direkt an der Grundstücksgrenze liegt? Weil der Gully ja zu einem Abwasserkanal gehört, der zur Kläranlage führt? „Nein, das ist völlig falsch“, sagt Kirchmann. Ebenso wenig dürfen Farbreste, Öle, Chemikalien, das Wasser vom Autowaschen oder die Wohnmobiltoilette über einen Gully entsorgt werden.
Das Grundproblem sei Unwissenheit. Zumindest nehme er an, dass selten Vorsatz hinter den Gewässerverunreinigungen stecke. Tatsache sei, dass über ein Drittel des Kanalnetzes in Bayern als Trennsystem ausgeführt ist. Das bedeutet, dass es einen Schmutzwasserkanal gibt, der beispielsweise das Brauchwasser der Hausanschlüsse zur Kläranlage führt, und einen Regenwasserkanal.
Im Gully an der Straße werde Regenwasser von versiegelten Flächen wie Dächern, Straßen und Hofeinfahrten gesammelt und abgeleitet – und zwar direkt und ohne vorherige Reinigung in den nächsten Bach, Fluss oder See. Wird Farbe, Putzwasser oder eine ölhaltige Substanz irgendwo in den Gully geschüttet, kommt nicht nur verfärbtes, trübes, vielleicht schaumiges Wasser an einer Gewässermündung an. Die chemischen Zusätze von Farben oder die Tenside von Wasch- und Reinigungsmitteln wirken toxisch auf Mikroorganismen und stören das empfindliche ökologische Gleichgewicht in den natürlichen Gewässern für lange Zeit, weil sie schwer abbaubar sind, und Öl verklebe die Atemwege vieler im Gewässer lebenden Organismen.
Was den Leuten auch nicht bewusst sei: Wird eine Verschmutzung gemeldet, beginnt ein umfangreicher Ablauf, an dem der Flussmeister, die Polizei und bei Bedarf die Feuerwehr und das THW beteiligt sind, bei größeren Ereignissen zudem Gewässerbiologen. Jede Meldung werde gleich ernst genommen, weil ja nicht klar sei, um was für eine Substanz es sich handle, wie toxisch sie ist wie eine größere Ausbreitung verhindert werden kann. „Ich werde sehr häufig wegen ausgewaschener Farbpinsel oder Farbeimer gerufen. Man kann sich gar nicht vorstellen wie viel Wasser so ein Pinsel verfärben kann“, erzählt Kirchmann.
Einmal hätten Kindergärtnerinnen mit den Kindern gemeinsam den Zaun lila angestrichen. Die Kinder durften anschließend das Malerzubehör auswaschen. Das Wasser landete im Gully. Der Anruf bei Kirchmann kam rasch: „Lila Wasser fließt in den Bodensee.“Verunreinigungen können, so Kirchmann, oft zu ihrem Ursprung zurückverfolgt werden. „Es gibt Pläne, anhand derer wir den Verlauf der Kanäle nachvollziehen. Das ist aufwändig aber häufig erfolgreich. Wir untersuchen dafür Schachtdeckel für Schachtdeckel flussaufwärts. Auf Höhe des lila angemalten Zauns angelangt, war die Ursache relativ einfach gefunden.“
Mario Kirchmann erzählt diese Geschichte belustigt, wird aber gleich wieder ernst: Dass sich der Verursacher über die Auswirkungen seines Tuns meist nicht bewusst sei, mache die Sache nicht wirklich besser. Je nachdem, welche Fremdstoffe – und wie viel davon – ein Gewässer verschmutzen, könne diese Unbedachtheit oder Fahrlässigkeit dramatische Folgen für das Gewässer und seine Lebewesen haben.
Anhand von Wasserproben könne im Labor sogar die Marke einer Wandfarbe festgestellt werden, um den Verursacher zu ermitteln. Den kann das teuer zu stehen kommen. Er muss den Einsatz bezahlen und gegebenenfalls mit einer Strafanzeige rechnen. „Wasser ist eines unserer höchsten Güter. Es zu schützen ist ein wichtiger Auftrag und der Grund, warum ich Flussmeister geworden bin. Es ist mein Beitrag zum Umweltund Naturschutz“, sagt Mario Kirchmann. Auch wenn das bedeute, dass er am Wochenende oder nachts ausrücken muss, weil das Diensthandy klingelt: „Da läuft buntes Wasser in den Bodensee.“