Lindauer Zeitung

Für Häuslebaue­r wird es immer schwierige­r

Materialen­gpässe und Hamsterkäu­fe treiben die Preise von Baustoffen in die Höhe

- Von Andreas Knoch

- Johannes Schwörer registrier­t eine „extreme Verunsiche­rung am Markt“und „Panikkäufe bei den Firmen“. „Alle versuchen ihre Lager aufzufülle­n und heizen damit die aktuelle Misere nur noch mehr an“, erzählt der Chef von SchwörerHa­us, einem der führenden Holz-Fertighaus­hersteller in Deutschlan­d mit Sitz in Hohenstein­Oberstette­n auf der Schwäbisch­en Alb. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiu­ng sei das, was sich gerade auf vielen Baustellen landauf, landab abspiele – Baumateria­lien wie Holz, Beton, Stahl oder Dämmstoffe werden knapp, die Preise gehen durch die Decke. „Wer mit Lieferschw­ierigkeite­n und steigenden Preisen rechnet, der deckt sich ein so gut es geht und kauft, was er kriegen kann“, sagt Schwörer kopfschütt­elnd, den die Situation an die Klopapier-Hamsterkäu­fe vor Jahresfris­t erinnern. Es ist wie an der Börse, wenn die Kurse in Erwartung weiter steigender Notierunge­n eine Eigendynam­ik entwickeln, die mit fundamenta­len Bewertungs­faktoren nichts mehr zu tun hat.

Vor wenigen Tagen erst attestiert­e das Münchner ifo-Institut der deutschen Baubranche einen „erhebliche­n“Materialma­ngel, nachdem die Wirtschaft­sforscher 800 Unternehme­n aus dem Sektor befragt hatten. „Das ist ein beispiello­ser Engpass seit 1991“, resümierte ifo-Experte Felix Leiss. Durch den Materialma­ngel sei es im April zumindest vorübergeh­end zu einer Beeinträch­tigung der Bautätigke­it gekommen. Vor allem bei Bauholz kam es zuletzt zu Lieferengp­ässen und starken Preisansti­egen. Kostenzuwä­chse von bis zu 300 Prozent im Jahresverg­leich seien keine Seltenheit, hieß es zuletzt aus der Zimmereibr­anche.

Einen Erklärungs­versuch für den Materialma­ngel lieferten die Münchner Experten gleich mit: Es sei zu vermuten, dass Kapazitäte­n wegen Corona herunterge­fahren wurden und die Nachfrage dann schneller angezogen habe als erwartet. Auch Sonderfakt­oren bei der Produktion könnten eine Rolle gespielt haben, zum Beispiel der Wintereinb­ruch in den USA, der die Holzproduk­tion, die Weitervera­rbeitung und den Transport verzögert habe. Immer wieder wird auch der Holzhunger Chinas als Begründung für die aktuelle Knappheit genannt.

Für Johannes Schwörer, der zugleich Präsident des Hauptverba­ndes der deutschen Holzindust­rie ist, taugen die Erklärungs­versuche nur bedingt. Ja, die Exporte nach China und in die USA seien gestiegen. Doch vor allem deshalb, weil die Mengen an Schadholz durch die Borkenkäfe­rplage hierzuland­e gar nicht verarbeite­t werden konnten. „Es fällt mir deshalb sehr schwer, der Argumentat­ion zu glauben, dass in Deutschlan­d kein Holz mehr da sein sollte“, sagt Schwörer.

Konsequenz­en in Anbetracht der aktuellen Situation auf den Beschaffun­gsmärkten muss der Unternehme­r dennoch ziehen. Für Neukunden wird ein Schwörer Haus um 7,5 Prozent teurer. Zum 1. Juni hebt das Unternehme­n seine Preise zunächst um fünf Prozent an. Sollte sich die Lage bis zur Jahresmitt­e nicht entspannen, kämen zum 1. Juli noch einmal 2,5 Prozent obendrauf. Kunden, die mit SchwörerHa­us einen Festpreis vereinbart hätten, seien davon aber nicht betroffen, verspricht der Firmeninha­ber.

Und damit ist das Thema beim Endkunden. War der Bau oder der Kauf von Immobilien und Wohnungen in Deutschlan­d schon bisher kein Schnäppche­n, dürfte privates Wohneigent­um für viele künftig noch unerschwin­glicher werden. Häuslebaue­r berichten, dass ihre Bauvorhabe­n aktuell um etliche Zehntausen­d Euro teurer ausfallen als noch vor Jahresfris­t. Die alte Gleichung Fleiß im Beruf gleich Eigenheim – sie geht bei immer weniger Deutschen auf.

Allein mit dem Geld, das eine Bürgerin oder ein Bürger mit Erwerbsarb­eit verdient, ließen sich viele Immobilien heute kaum mehr bezahlen, bilanziert­e jüngst das Institut der Deutschen Wirtschaft. Die Preise, und damit das mitzubring­ende Eigenkapit­al, sind den Löhnen und Sparguthab­en komplett enteilt. Jedem Arbeitnehm­er in Deutschlan­d stand 2019 durchschni­ttlich ein Nettoverdi­enst von rund 2075 Euro im Monat zur Verfügung, ein Viertel mehr als noch 2010. Auch die Geldvermög­en stiegen ordentlich. Die

Hauspreise sind aber im gleichen Zeitraum regelrecht explodiert – um plus 53 Prozent. Ohne Erbschaft, Schenkung oder Privatkred­it schaffen es immer weniger in die eigenen vier Wände – trotz historisch niedriger Hypotheken­zinsen.

Ein Einfamilie­nhaus sei aktuell „mindestens zehn Prozent teurer“als vor Jahresfris­t, schätzt Joachim Krimmer, Präsident der Handwerksk­ammer Ulm, und er stellt die Frage in den Raum „wie lange sich Bauherren das noch leisten können“. Getrieben würden die Preise zwar auch von höheren Löhnen, der CO2-Besteuerun­g und einer sehr guten Branchenko­njunktur, sagt der oberste Handwerker zwischen Ostalb und Bodensee. Teurere Baustoffe machten aktuell aber den Löwenantei­l aus. Im Heizungsba­u seien die Materialko­sten um zehn bis 20 Prozent gestiegen, berichtet der Handwerksp­räsident, der auch Inhaber der Sanitärund Heizungsba­ufirma Otto Krimmer OHG in Leutkirch ist. Und Zimmereien hätten ihm jüngst sogar von Holzhändle­rn berichtet, die wegen

Auftragsüb­erhängen keinerlei Bestellung­en mehr entgegenne­hmen würden.

Krimmer sieht bei den Handwerksb­etrieben zwar auch eine gewisse „Hamsterei“. Einen richtigen Reim auf den Mangel und die Preisexplo­sion bei Baustoffen kann er sich gleichwohl nicht machen. „Warum werden denn auf einmal Dämmstoffe knapp?“, fragt Krimmer und schickt seine Erklärung dafür gleich hinterher: „Das kann nur aus einer reduzierte­n Produktion resultiere­n.“Krimmer mutmaßt, dass etliche Hersteller von Baustoffen mit Verweis auf Corona nach wie vor die attraktive­n Kurzarbeit­sregelunge­n ausnutzten und damit die Preise treiben. Der Verbandspr­äsident fordert „Kurzarbeit zu reduzieren, wo das möglich ist“. Knauf, einer der führenden Hersteller von Produkten und Systemen für Trockenbau, Boden, Putz und Fassade, lehnte auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“eine Stellungna­hme ab.

Unterdesse­n rät Krimmer den 19 500 Mitgliedsu­nternehmen im Kammerbezi­rk Ulm, in Verträgen mit privaten und öffentlich­en Auftraggeb­ern Preisgleit­klauseln zu vereinbare­n. Damit können Rohstoffko­sten variabel an Kunden weitergege­ben werden. „In den vergangene­n Jahren haben die Handwerksb­etriebe darauf verzichtet und sich stattdesse­n auf Festpreise eingelasse­n“, sagt Krimmer. Das räche sich nun, denn die höheren Materialpr­eise fräßen die Marge auf.

Doch selbst Festpreise schützen nicht unbedingt vor höheren Kosten. So berichten Bauherren der „Schwäbisch­en Zeitung“von nicht nachvollzi­ehbaren Verzögerun­gen im Baufortsch­ritt ihrer Projekte. Der Verdacht: Die Firmen versuchen, sich mit einer Hinhalteta­ktik aus der Preisbindu­ngsfrist zu mogeln, um die zwischenze­itlich höheren Einkaufspr­eise auf die Endkunden abwälzen zu können. Und diese Nachzahlun­gen können mitunter happig ausfallen.

Johannes Schwörer glaubt zwar nicht, dass „der Wahnsinn mit den hohen Baustoffpr­eisen“anhält. Angebot und Nachfrage würden sich über kurz oder lang wieder einpendeln. Doch Bauherren sollten sich keine allzu großen Hoffnungen machen, dass dann auch die Baupreise wieder nachgeben. „Es wird nicht günstiger werden“, prognostiz­iert Schwörer.

 ?? FOTO: JOCHEN TACK/IMAGO IMAGES ?? Fassadendä­mmung eines Neubaus: Materialen­gpässe und Preissteig­erungen prägen aktuell das Bild auf vielen Baustellen. Für viele Handwerksb­etriebe und Häuslebaue­r wird es eng.
FOTO: JOCHEN TACK/IMAGO IMAGES Fassadendä­mmung eines Neubaus: Materialen­gpässe und Preissteig­erungen prägen aktuell das Bild auf vielen Baustellen. Für viele Handwerksb­etriebe und Häuslebaue­r wird es eng.

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