Hypermoralisten am Pranger
Man stelle sich einmal vor, Annalena Baerbock und Cem Özdemir hätten dem Bundestag ordnungsgemäß gemeldet, dass sie als Parteichefs Weihnachtsgeld bekommen haben: Hätte das wirklich jemand anrüchig gefunden? Vermutlich nicht, denn viele Abgeordnete verzeichnen solche Einkünfte. Daran gibt es auch generell kaum etwas auszusetzen, außer dass die vom Parlament geforderte Aufschlüsselung so grob ausfällt, dass sich mögliche Interessenkonflikte daraus nicht ablesen lassen. Doch Weihnachtsgeld von der eigenen Partei, oder – wie bei Baerbock – ein steuerfreier Corona-Bonus von 1500 Euro zählen sicherlich nicht dazu.
Weder die Kanzlerkandidatin Baerbock noch der ehemalige Grünen-Parteichef hätten also vermutlich etwas zu befürchten gehabt, wären die Angaben von ihnen früher und wie vorgeschrieben beim Bundestag eingereicht worden. Ein planmäßiges Vorgehen oder ein Vertuschungsversuch über die Gelder scheint eher nicht vorzuliegen. Vermutlich läuft es auf Schusseligkeit hinaus.
Und trotzdem ist die Angelegenheit für die Grünen ein Problem, und das liegt an dem unbedingten Willen zur absoluten Korrektheit, der viele Mitglieder und auch Spitzenpolitiker der Partei antreibt. Wer eine öffentliche Entschuldigung von einer Spitzenkandidatin einfordert, weil sie in Plauderlaune sagt, sie habe als Kind Indianerhäuptling werden wollen, wer sich moralisch über SUVFahrer überhebt, wer bei Nebeneinkünften von Abgeordneten besondere Transparenz fordert, muss sich nicht wundern, wenn man selbst mit den eigenen Standards gemessen wird. Auch wenn Baerbock und Özdemir sicherlich nicht dem Flügel dieser Hypermoralisten angehören.
Dass die anderen Parteien die Grünen nun aufgrund der nicht gemeldeten Nebeneinkünfte attackieren, dürfte angesichts des beginnenden Wahlkampfs also keinen verwundern. Ein bisschen verblüffend ist es hingegen schon, dass insbesondere die CSU nun von Scheinheiligkeit spricht. Die Maskenaffäre der Partei liegt nun wirklich noch nicht so lange zurück. Es ist einfach nicht immer dasselbe, nur weil es auf den ersten Blick ähnlich aussieht.