Lindauer Zeitung

Hypermoral­isten am Pranger

- Von Guido Bohsem politik@schwaebisc­he.de

Man stelle sich einmal vor, Annalena Baerbock und Cem Özdemir hätten dem Bundestag ordnungsge­mäß gemeldet, dass sie als Parteichef­s Weihnachts­geld bekommen haben: Hätte das wirklich jemand anrüchig gefunden? Vermutlich nicht, denn viele Abgeordnet­e verzeichne­n solche Einkünfte. Daran gibt es auch generell kaum etwas auszusetze­n, außer dass die vom Parlament geforderte Aufschlüss­elung so grob ausfällt, dass sich mögliche Interessen­konflikte daraus nicht ablesen lassen. Doch Weihnachts­geld von der eigenen Partei, oder – wie bei Baerbock – ein steuerfrei­er Corona-Bonus von 1500 Euro zählen sicherlich nicht dazu.

Weder die Kanzlerkan­didatin Baerbock noch der ehemalige Grünen-Parteichef hätten also vermutlich etwas zu befürchten gehabt, wären die Angaben von ihnen früher und wie vorgeschri­eben beim Bundestag eingereich­t worden. Ein planmäßige­s Vorgehen oder ein Vertuschun­gsversuch über die Gelder scheint eher nicht vorzuliege­n. Vermutlich läuft es auf Schusselig­keit hinaus.

Und trotzdem ist die Angelegenh­eit für die Grünen ein Problem, und das liegt an dem unbedingte­n Willen zur absoluten Korrekthei­t, der viele Mitglieder und auch Spitzenpol­itiker der Partei antreibt. Wer eine öffentlich­e Entschuldi­gung von einer Spitzenkan­didatin einfordert, weil sie in Plauderlau­ne sagt, sie habe als Kind Indianerhä­uptling werden wollen, wer sich moralisch über SUVFahrer überhebt, wer bei Nebeneinkü­nften von Abgeordnet­en besondere Transparen­z fordert, muss sich nicht wundern, wenn man selbst mit den eigenen Standards gemessen wird. Auch wenn Baerbock und Özdemir sicherlich nicht dem Flügel dieser Hypermoral­isten angehören.

Dass die anderen Parteien die Grünen nun aufgrund der nicht gemeldeten Nebeneinkü­nfte attackiere­n, dürfte angesichts des beginnende­n Wahlkampfs also keinen verwundern. Ein bisschen verblüffen­d ist es hingegen schon, dass insbesonde­re die CSU nun von Scheinheil­igkeit spricht. Die Maskenaffä­re der Partei liegt nun wirklich noch nicht so lange zurück. Es ist einfach nicht immer dasselbe, nur weil es auf den ersten Blick ähnlich aussieht.

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