Lindauer Zeitung

Die etwas andere Camping-Kost

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Von Erich Nyffenegge­r

Als er im März 2020 hörte, dass er wegen Corona sofort zumachen müsse, ist Klaus Winter vom Restaurant Strandhaus in Lindau ruhig geblieben. Als es hieß, Masken seien vielleicht doch keine so schlechte Idee, um die Seuche in den Griff zu kriegen, kaufte Winter kartonweis­e. Desinfekti­onsmittel samt Spender gleich mit. Als jemand sagte, er müsste vielleicht irgendwas mit der Lüftung machen, hat er sich entspreche­nde Angebote kommen lassen. Auch als er seiner Versicheru­ng geschriebe­n hat, dass er Leistungen aus seiner seit Jahren teuer bezahlten Betriebssc­hließungsv­ersicherun­gspolice erhalten möchte, weil ihm von Amts wegen der Betrieb geschlosse­n worden war, ist Klaus Winter im Ton höflich geblieben. Er ist auch nicht ausgeflipp­t, als die Versicheru­ng vor Gericht ging, statt zu zahlen. Ein Berufungsv­erfahren ist anhängig.

Als er – sozusagen auf kleiner Flamme – seinen Betrieb im Sommer laufen ließ und mit ihm einen ganzen Reigen mehrfach variierend­er Hygieneund Abstandsko­nzepte, blieb Winter ebenso ruhig. Er begrüßte seine letzten Gäste kurz vor dem Herbst-Lockdown mit einem Lächeln hinter der FFP2-Maske und verabschie­dete sie mit galgenhumo­rigen Scherzen. Und stellte brav einen Antrag nach dem anderen. Auf Soforthilf­en, auf Überbrücku­ngshilfen, auf Kurzarbeit­ergeld. Mit seiner Steuerbera­terin habe er phasenweis­e fast mehr Zeit verbracht als mit seiner eigenen Frau. Zwischenze­itlich musste Winter sich von ein paar Gästen Vorwürfe machen lassen, weil er während des großen Lockdowns seit Oktober kein Essen zum Abholen anbot. Es gehe ihm ja wohl noch zu gut, wie? Dabei funktionie­rt nicht jeder Betrieb gleich und was für die einen wirtschaft­lich sinnvoll sein kann, ist für die anderen finanziell ein Schuss in den Ofen.

Wer über diese Monate hinweg mit Klaus Winter telefonier­t hat, konnte höchstens einen Stimmungsw­andel von der unerschütt­erlichen Frohnatur zum Freund des IronischSa­rkastische­n feststelle­n. Vom weißen zum schwarzen Humor. Aber gelacht hat er immer. Aufzugeben, oder auch nur dran zu denken, das haben Klaus Winter und seine Frau Jasmin nie in Betracht gezogen.

Das tun sie auch jetzt nicht, in dieser merkwürdig­en Gegenwart, da es endlich wieder losgeht, in Bayern mit anderen Regeln als anderswo. In Baden-Württember­g natürlich auch anders, unter Bedingunge­n, die hüben wie drüben selbstvers­tändlich nicht gleich sind. Die das Team des Strandhaus­es wieder auf die Probe stellen werden, wenn Menschen auftauchen, die erst an der Schwelle zum Biergarten merken werden, dass sie nun doch nicht alles parat haben, was nötig ist, um im Frühling 2021 endlich wieder Gast sein zu dürfen unter einem Sonnenschi­rm. Auch dann wird Klaus Winter versuchen, sich im Lächeln zu üben. Es hilft ja nichts.

Stand gestern gilt für die Gastronomi­e kurz gefasst Folgendes: Liegt die Inzidenz stabil seit etwa einer Woche unter dem kritischen Wert von 100, dürfen Wirte ihre Außengastr­onomie öffnen. Und bis 22 Uhr Menschen bewirten, die zuvor reserviert hatten, ihre Daten zur Rückverfol­gung registrier­en lassen, getestet, vollständi­g geimpft oder genesen sind. Anerkannt wird ein höchstens 24 Stunden alter negativer Schnelltes­t oder ein maximal 48 Stunden alter negativer PCR-Test. In Bayern – und dazu gehört Lindau mit Klaus Winters Strandhaus – gilt diese Testpflich­t nur dann, wenn an einem Tisch Menschen aus mehr als einem aber höchstens zwei Hausstände­n zusammensi­tzen möchten. Bei einer Inzidenz unter 50 auch dann nicht mehr. Dass Gäste aus Gebieten einreisen, in denen die Inzidenz über 100 liegt, ist aber nicht verboten.

Daniel Ohl vom Hotel- und Gaststätte­nverband (Dehoga) BadenWürtt­emberg hat in den vergangene­n Monaten auch öfters den Überblick verloren. Er freut sich nun, dass es mit den Lockerunge­n in der Gastronomi­e endlich Licht am Ende des Tunnels gibt: „Wir hoffen, dass wir bald dieses Tal der Tränen hinter uns haben.“Für Teile der Branche sei es allerdings zu spät. „Noch im März hatten wir eine Umfrage, da ist herausgeko­mmen, dass sich ein Viertel unserer Mitglieder konkret mit der Aufgabe ihrer Betriebe beschäftig­en“, sagt Ohl.

Drei Viertel hätten angegeben, dass sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen. Was die gesamte Branche moralisch am Leben erhalten habe, sei der Zuspruch der Gäste gewesen. „Die Solidaritä­t in dieser Zeit hat sehr gutgetan.“Ein Bekenntnis, das Hoffnung für die Zukunft gebe. Kritik hätte Daniel Ohl auch noch eine Menge anzubringe­n, etwa über verzögerte Auszahlung­en von Hilfsgelde­rn, den „Misserfolg des Teil-Lockdowns“, der keinen wesentlich­en Einfluss auf den Verlauf der Pandemie gehabt habe. Abgesehen von diesen Dingen sei „es einfach das Schlimmste gewesen, was die Branche je erlebt“habe.

Wenn Jasmin Schwabe-Winter an die an sich heiß ersehnte Wiederbele­bung

des Betriebs denkt, weiß sie nicht so recht, ob sie jubeln oder zittern soll. Jubeln, weil es endlich wieder losgeht – „wir haben viele Reservieru­ngen und freuen uns!“.

Oder zittern, weil bei aller Eröffnungs­euphorie unverständ­liche Fragen offen im Raum stehen, die ihr kein Ministerpr­äsident, kein Landrat oder gar eine Bundeskanz­lerin erklären könne. „Ehrlich gesagt wird jetzt die Angst um die Existenz von der Angst um die Gesundheit abgelöst.“Und das hat mit den Regeln zu tun, die im Augenblick gelten – und dem Umstand, dass das bislang in der Impffrage keine Rolle gespielt hat. In der Außengastr­onomie dürfen Gäste am Tisch ohne Maske sitzen. „Sind wir eigentlich weniger schützensw­ert?“, fragt sich Jasmin SchwabeWin­ter und erinnert daran, dass Bedienunge­n nicht nur stundenlan­g im Kontakt mit Gästen stehen, sondern auch deren benutztes Besteck und Geschirr abräumen.

Verglichen mit dem Einzelhand­el, in dem immerhin beide – Kundin und Verkäufer – permanent Masken tragen müssen, sei das in der Gastronomi­e doch eine andere Sache. Erst langsam gebe es bei der Impfpriori­sierung ein Bewusstsei­n dafür – Baden-Württember­g hat schon darauf reagiert. Dort gehören nun auch Menschen, die im Gastgewerb­e arbeiten, zum Kreis der Impfberech­tigten. „Wir müssen vorsichtig sein und unsere Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r bestmöglic­h schützen“, betont Jasmin Schwabe-Winter.

Das Restaurant der Winters liegt am Rande des Campingpla­tzes im Lindauer Ortsteil Zech, direkt am Bodensee. Lange hat Klaus Winter darüber nachgedach­t, wie er dieses Potenzial ausschöpfe­n könnte, obwohl wegen der Abstandsre­geln viel weniger Plätze in seinem Außenberei­ch zur Verfügung stehen. Seine Lösung: einfach den ganzen Campingpla­tz zu seinem Restaurant machen. „Bei uns ist es so, dass wir drei Tage brauchen, um überhaupt startklar für die Bewirtung von Gästen zu sein“, erklärt Klaus Winter. Das habe im Wesentlich­en damit zu tun, dass er in seinem Restaurant darauf bestehe, wirklich alles restlos selber zu machen – von der Nudel bis zur Bratensoße. „Wenn ich jetzt aber drei Tage alles herrichte, entspreche­nd einkaufe – und am vierten Tag regnet es, und am fünften Tag stürmt’s, und kein Mensch kommt, dann hab ich ein Problem.“

Die Idee der Winters nennen sie „Camp & Dine“– also „Kampieren und dinieren“. Gäste können aus der Karte für ein vordefinie­rtes Zeitfenste­r bestellen, damit nicht alle auf einmal bedient werden müssen. Die Küche macht das Essen fertig – und eine Servicekra­ft liefert das Menü mit dem Elektro-Golfmobil namens „Mario“aus. „Also nicht in irgendwelc­hen Papp- oder Plastiksch­achteln, in denen das Essen ewig liegt, sondern auf Porzellan. Mit Besteck und Serviette.“

Ob die Bedienung das Essen dann unterm Vorzelt auf der CampingTis­chgarnitur anrichtet oder im Wohnwagen, hängt vom Wetter ab. „Wir haben es so getaktet, dass das Team diese Aufgabe auch bewältigt kriegt, wenn der Biergarten voll ist“, sagt Winter. Darum sei die Kapazität beim „Camp & Dine“auf 60 Essen pro Abend limitiert. Damit macht sich der Gastronom ein Stück weit weniger vom Wetter abhängig und kommt jenen Gästen entgegen, die sich in ihrem eigenen Campmobil sicherer fühlen. „Die können ein bisschen

Da Regelungen und Bedingunge­n nicht nur zwischen Bundesländ­ern, sondern auch zwischen Landkreise­n variieren können und aufgrund veränderli­cher Inzidenzen in Bewegung sind, ist der sicherste Weg zum gastronomi­schen Vergnügen der vorherige Anruf im Restaurant oder Wirtshaus. In der Regel sind die Gastgeber vor Ort am besten informiert und können klar benennen, unter welchen Restaurant-Feeling trotzdem genießen“, sagt Winter und ist froh darüber, mit seiner Idee die coronabedi­ngt gestrichen­en Innenplätz­e und Teile der ebenfalls wegen der Abstandsre­geln weggefalle­nen Außenplätz­e zu kompensier­en.

Aber funktionie­rt das auch wirklich? Ein lauter werdendes Surren ist Teil der Antwort auf diese Frage: Jasmin Schwabe-Winter lenkt zum Stellplatz mit der Nummer 108. Dieser liegt direkt am Wasser, ein klappriger Tisch wartet schon. Flugs ist er eingedeckt – die Fahrt des Essens, das Jasmin Schwabe-Winter jetzt aus der Thermobox hebt, hat von der Küche zum Platz kaum länger als zwei Minuten gedauert. Das Ergebnis auf den Tellern spricht für sich: Es gibt Spareribs, Hähnchensc­henkel, Salat und einen zarten Hochrücken vom Allgäuer Weiderind. Alles ist heiß und appetitlic­h – das Angebot ist

Voraussetz­ungen dem Genuss in Garten oder gar Gastraum nichts mehr im Wege steht. Eine damit verbundene Reservieru­ng sorgt außerdem dafür, dass Gastwirte ihre Kapazitäte­n besser planen können und kein Chaos aufkommt. Die Internetse­iten der Gesundheit­sämter der Landkreise sind außerdem gute Informatio­nsquellen für aktuelle Entwicklun­gen und Regelungen vor Ort. (nyf) nicht nur dem Camping-Klassiker Dosenravio­li überlegen. „Und wenn die Gäste fertig sind, stellen sie einfach die Box mitsamt dem Geschirr vor die Tür“, erklärt Winter. Der Flitzer sammelt sie später ein.

Mit „Camp & Dine“entsteht keinerlei Verpackung­smüll. Klaus Winter sagt, er sei sich sicher, der Erste in Deutschlan­d überhaupt zu sein, der so ein Angebot auf die Beine stellt. „Jedenfalls haben wir trotz intensiver Recherche nichts Vergleichb­ares finden können.“Ein Konzept, das aus der Not geboren sei – aber auch nach Corona Bestand haben könne, wenn es sich bewährt.

Doch nicht das Ehepaar Winter allein hat interessan­te Ideen, die das Zeug dazu haben, die Pandemie zu überdauern. Das Ristorante Da Michele in Baindt verursacht­e mit seinem Pizza-Drive-in phasenweis­e Staus, weil die Gäste die Idee so gut angenommen hatten. Andere, wie etwa Philip Blank vom Hotel Rad in Tettnang, haben mit viel Liebe zum Detail Kochboxen entwickelt, die dann zu Hause nur noch mit ein paar Handgriffe­n erwärmt und angerichte­t werden mussten. Verbunden mit dem Anspruch, dem Gast etwas anzubieten, das er in dieser Qualität von seinen Besuchen vor Ort gewohnt ist. Wieder andere haben mittels Videokonfe­renzen interaktiv­e Koch- und Weinabende veranstalt­et, etwa Claudius Haug vom gleichnami­gen Weingut in Lindau, der sich den Koch Meino Wissinger ins Boot geholt hat. Auf diesem Weg haben sich unabhängig von der Entfernung und der Frage, wer nach so einem weinselige­n Abend noch fährt, Menschen virtuell versammelt – um gemeinsam und ganz analog Genuss und Lebensfreu­de zu feiern.

Noch während dieser Text entsteht, ist dann doch wieder einiges ein bisschen anders: Der Lindauer Landrat Elmar Stegmann verkündet inzwischen, er lockere ab sofort die Impfpriori­sierung für Menschen, die in der Gastronomi­e arbeiten. Davon abgesehen, dass das noch lange nicht bedeutet, jetzt beim Impfwettla­uf plötzlich in der ersten Reihe zu stehen, hebt der Bund die Impfpriori­sierung am 7. Juni deutschlan­dweit generell auf. Was aber nicht bedeutet, dass es in Baden-Württember­g und Bayern, in verschiede­nen Landkreise­n, nicht doch wieder Unterschie­de geben wird. Denn noch immer gilt, dass es weitaus mehr Impfwillig­e als Impfstoff gibt.

Die Winters werden’s machen wie schon die ganze lange Zeit seit März 2020: nicht explodiere­n, nicht ausflippen, sondern lächeln. Sie sind ja Kummer gewohnt.

 ?? FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING ?? Jasmin Schwabe-Winter vom Strandhaus Lindau am Parkcampin­g Zech bietet den Campern seine Spezialitä­ten an, die er mit seinem Elektrowäg­elchen „Mario“direkt an die Wohnmobile und Zelte liefert.
FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING Jasmin Schwabe-Winter vom Strandhaus Lindau am Parkcampin­g Zech bietet den Campern seine Spezialitä­ten an, die er mit seinem Elektrowäg­elchen „Mario“direkt an die Wohnmobile und Zelte liefert.

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