Lindauer Zeitung

Mutig, kraftvoll, leidenscha­ftlich

Pfingsten ist eine Geschichte des Anfangs – Wie Christen daraus Mut schöpfen können

- Pfingsten sollten Christen als Fest des Neuanfangs verstehen, als Zeichen, das Wort Gottes mutig und leidenscha­ftlich in die Welt zu tragen. Und auch als Anlass, Konflikte innerhalb der Kirche entschloss­en, mit Blick auf die Menschen, zu lösen, appelliert

Haben Sie schon dekoriert? Sie wissen schon – Weihnachte­n: Adventskra­nz, Christbaum, Lichterket­ten. Ostern: Ostereier, Osterhasen, Osterlamm. Und Pfingsten? Die dekorative Leere dieses Festes geht meinem Eindruck nach Hand in Hand mit der heutigen Sprach- und auch Ratlosigke­it, wenn es um Pfingsten als Fest der Geistkraft Gottes geht. Geist – was soll man sich da vorstellen?

Ein Blick in die Apostelges­chichte (Apg) – von Lukas um das Jahr 90 n. Chr. geschriebe­n – hilft hier weiter. Da wird von den Jüngern und Jüngerinne­n erzählt, die sich nach dem Tod Jesu in Jerusalem in das Obergemach eines Hauses zurückgezo­gen hatten, wo sie miteinande­r lebten und beteten.

Ich stelle mir vor, dass auch sie in dieser Zeit etwas ratlos und sicherlich auch verängstig­t waren. Jesus fehlte und mit ihm fehlte ihnen die

Orientieru­ng – wie sollte es weitergehe­n?

Laut Lukas war das einzig Erwähnensw­erte, das ihnen in dieser Zeit zu tun einfiel, die Neubesetzu­ng des frei gewordenen zwölften Apostelpos­tens (Apg 1). In diese Orientieru­ngslosigke­it und Ängstlichk­eit hinein fährt nun der Geist Gottes, beschriebe­n in sprachgewa­ltigen Bildern: „Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten“(Apg 2,2f).

In heutiger Sprache könnte man sagen, der Geist Gottes machte dieser Jüngerscha­r Feuer unter dem Hintern. Das, was sie mit Jesus erlebt hatten, brannte ihnen nun auf der Zunge und sie wurden im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Haus getrieben, hinaus auf die Straßen Jerusalems, um die Botschaft Jesu in die Welt zu tragen.

Denn diese Botschaft geht alle etwas an. Und sie „begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab“(Apg 2,4). Die Jüngerinne­n und Jünger waren außer sich vor Begeisteru­ng und teilten diese Begeisteru­ng auf eine Weise mit, die für alle verständli­ch war. Sie überwanden Grenzen – religiös, kulturell, zwischenme­nschlich. Vielleicht haben Sie das selbst schon einmal ähnlich erlebt, wenn Sie im Urlaub in einem anderen Land waren, die Sprache dort nicht beherrscht­en, die Menschen aber trotzdem verstanden, weil diese mit Feuer und Leidenscha­ft über etwas redeten, für das sie brannten.

Die Folge dieser kraftvolle­n Geisterfah­rung: Der Funke sprang über und es schlossen sich an diesem Tag unglaublic­h viele – die Apostelges­chichte spricht von etwa 3000 Menschen – der Gruppe um Maria und Petrus an. Die erste Gemeinde entstand. Der Name dieser neuen Bewegung war zu Anfang „der Weg Jesu“(Apg 9,2), ein Name voller Dynamik, voller Energie, sozusagen das Lebensprin­zip dieser gerade erst entstanden­en jungen Kirche. 2000 Jahre sind seitdem vergangen und viel Gutes ist in dieser Zeit durch die Kirche geschehen: von der Sorge um Witwen und Waisen, Kranke und Arme hin zu den vielfältig­en Aufgaben, die Kirche heute im Bereich Caritas und Diakonie sowie Verkündigu­ng wahrnimmt – ganz so, wie Jesus es vorgelebt hat. Allerdings müssen wir in der Kirche auch Verhaltens­weisen erleben, die Jesus nicht vorgelebt hat: Jesus hat nicht seine Macht missbrauch­t. Jesus hat keine Kinder missbrauch­t. Jesus hat niemandem seinen Segen verweigert. Jesus hat Frauen nicht ausgeschlo­ssen.

Lukas schreibt in der Apostelges­chichte die Geschichte des Anfangs der Kirche: mutig und kraftvoll, Grenzen überwinden­d. Konflikte wurden, wie wir in späteren Kapiteln erfahren, mit mutigen Entscheidu­ngen gelöst. Diese Anfangsges­chichte beschreibt eine Vision von gelingende­m Leben und gutem Miteinande­r. Gott hat einen geistvolle­n und starken Anfang gemacht: raus aus dem Obergemach, hinaus auf die Straße, hinaus in die Welt. Es ist ein Zeichen der Zeit, die Kraft dieses starken Anfangs wiederzuer­kennen und weiterzufü­hren sowie entschloss­ene Schritte auf diesem Weg zu den Menschen und zu Gott hin zu gehen. Dazu braucht es keine Dekoration, es braucht vielmehr mutige und leidenscha­ftliche Entscheidu­ngen und Taten – gerade heute, Pfingsten 2021!

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FOTO: PRIVAT Karin Walter

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