Lindauer Zeitung

Stolperfal­le Weihnachts­geld

Özdemir und Baerbock wegen Sonderzahl­ungen in der Kritik – Beliebthei­t der grünen Kanzlerkan­didatin sinkt

- Von Theresa Gnann und dpa

- Noch vor wenigen Tagen hätte es für die Grünen kaum besser laufen können: Umfragewer­te, die die Union das Fürchten lehren, eine äußerst beliebte Kanzlerkan­didatin und eine Geschlosse­nheit, von der andere Parteien nur träumen können. Dann aber wurde die Sache mit den Sonderzahl­ungen von der Partei öffentlich – zuerst bei Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock, dann auch noch bei Ex-Parteichef Cem Özdemir.

Mehr als 25 000 Euro meldete Parteichef­in Annalena Baerbock dem Bundestag bereits im März nach. Seit das am Mittwoch bekannt wurde, sind die zuletzt erfolgsver­wöhnten Grünen in der Defensive. „Das war ein blödes Versäumnis“, sagte Baerbock dem „Handelsbla­tt“zerknirsch­t. „Und klar, ich habe mich darüber selbst wahrschein­lich am meisten geärgert. Als es mir bewusst wurde, habe ich es sofort nachgemeld­et.“

Die frohe Hoffnung, die unschöne Angelegenh­eit mit später, aber dafür maximaler Transparen­z abzuräumen, platzte, als Parteikoll­ege Cem Özdemir nur einen Tag später eiligst eigene Versäumnis­se aus seiner Zeit als Grünen-Chef hinterhers­chob: Er habe dem Bundestag im Mai Sonderzahl­ungen von mehr als 20 500 Euro für die Jahre 2014 bis 2017 nachgemeld­et, teilte sein Büro mit. Auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“ergänzte ein Sprecher: „Die Sonderzahl­ungen hat er, wie alle Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Bundesgesc­häftsstell­e, in seinem Job als Vorsitzend­er von Bündnis 90/Die Grünen erhalten und selbstvers­tändlich ordnungsge­mäß versteuert.“Özdemir selbst wollte sich auf Anfrage am Freitag nicht äußern.

„Mit den nicht angegebene­n Geldern haben die Grünen den ersten tatsächlic­hen Fehler im Wahlkampf “, meint Politikwis­senschaftl­erin Andrea Römmele von der Hertie School of Governance in Berlin. Sie gehe aber nicht davon aus, dass der Ökopartei das nachhaltig schaden werde, weil die Unterstütz­ung aus der Basis stabil sei und die anderen Parteien wegen eigener Verfehlung­en wenig Aussichten hätten, daraus politische­s Kapital zu schlagen.

Bei Baerbock ging es wie bei Özdemir vor allem um Weihnachts­geld. Die Auszahlung solcher Gelder an Mitarbeite­r der Bundesgesc­häftsstell­e ist laut Partei Usus und existiert in dieser Form seit 2011. Ein monatliche­s Gehalt bezieht Baerbock von ihrer Partei nach Angaben einer Sprecherin nicht, weil sie als Bundestags­abgeordnet­e bereits ein reguläres Einkommen hat. Das sei in diesem Fall für Parteivors­itzende so üblich.

Anzeigepfl­ichtig sind für Bundestags­abgeordnet­e Einkünfte von mehr als 1000 Euro im Monat oder 10 000 Euro im Jahr. Sie müssen Zahlungen aus entgeltlic­hen Tätigkeite­n jedoch nicht im Detail öffentlich machen. Stattdesse­n werden auf ihren Bundestags­seiten Einkommens­stufen genannt.

Besonders pikant: In der Maskenaffä­re warfen die Grünen der Union „schwarzen Filz“vor. Eine „ganze Herde an schwarzen Schafen“sei da unterwegs, stellte Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner Mitte März entgeister­t fest und verlangte unter anderem volle Transparen­z bei Nebeneinkü­nften.

Auch Özdemir selbst plädiert auf seiner Internetse­ite dafür, die Einkünfte von Abgeordnet­en genauer anzugeben. „Die umfassende Offenlegun­g aller Ämter und Tätigkeite­n sowie deren exakte Vergütung sollten für Politikeri­nnen und Politiker selbstvers­tändlich sein“, heißt es dort. Hier habe sich, unter anderem auf grünen Druck hin, in den vergangen Jahren auch einiges verbessert. „Zwar werden die Einkünfte der Bundestags­abgeordnet­en inzwischen immerhin in einem Stufensyst­em veröffentl­icht. Wir wünschen uns hingegen die Offenlegun­g aller Tätigkeite­n von Abgeordnet­en auf Euro und Cent“, schreibt Özdemir auf seiner Seite weiter.

Vertreter von Transparen­zinitiativ­en reagierten irritiert auf den Vorgang. „Es kann doch nicht so schwer sein, einmal im Quartal in die Kontoauszü­ge zu schauen und zu prüfen, ob etwas dem Bundestag gemeldet werden muss!“, twitterte Lobbycontr­ol. Die Organisati­on wies aber auch darauf hin, dass es bei Baerbock um Zahlungen der eigenen Partei gegangen sei: „Das ist mit Blick auf Interessen­konflikte grundsätzl­ich anders zu bewerten als Einkünfte von privaten Dritten oder ausländisc­hen Regierunge­n.“Bundesgesc­häftsführe­r Kellner unterstric­h: „Bei uns geht es um die verspätete Angabe von Weihnachts­geld, bei anderen Parteien um Maskendeal­s in Millionenh­öhe.“

Baerbock ist im jüngsten ZDF-Politbarom­eter in der Beliebthei­t auf den schlechtes­ten Wert seit Beginn der Abfrage im Februar 2020 abgesackt. In der Sonntagsfr­age liegen Union und Grüne weiter Kopf an Kopf, laut Politbarom­eter bei 24 beziehungs­weise 25 Prozent.

 ?? FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA ?? Die Grünen waren ganz obenauf im Superwahlj­ahr. Jetzt stehen Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock (rechts) und Ex-Parteichef Cem Özdemir wegen nicht gemeldeter Sonderzahl­ungen in der Kritik.
FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Die Grünen waren ganz obenauf im Superwahlj­ahr. Jetzt stehen Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock (rechts) und Ex-Parteichef Cem Özdemir wegen nicht gemeldeter Sonderzahl­ungen in der Kritik.

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