Lindauer Zeitung

Heile Welt adieu!

Mit „Um Himmels Willen“stirbt auch ein Stück Fernsehges­chichte

- Von Gregor Tholl

(dpa) - Die Serie „Um Himmels Willen“ist eine deutsche Version von Don Camillo und Peppone. Heile-Welt-Fernsehen aus Bayern, ein bisschen Heimatfilm. Doch Mitte Juni endet die Serie – Vorzeichen einer neuen TV-Epoche?

Traute Zwietracht war lange Zeit auch in Italien sehr populär: In einem Dorf der Po-Ebene leben zwei Rivalen, die die Leute auf die jeweils eigene Art zum Heil führen wollen: der temperamen­tvolle Pfarrer Don Camillo und der kommunisti­sche Bürgermeis­ter Peppone. Sie können nicht so richtig miteinande­r, aber erst recht nicht ohne einander. Die durch Filme populären Literaturf­iguren sind ein italienisc­hes Kulturphän­omen. Hierzuland­e sind die „widerspens­tige Nonne und der schlitzohr­ige Bürgermeis­ter“aus der Fernsehser­ie „Um Himmels Willen“daran angelehnt und ein vielsagend­es Phänomen. Am 15. Juni endet die ARD-Serie – nach 260 Folgen in 20 Jahren.

Der Dienstagss­endeplatz nach der „Tagesschau“im Ersten ist, zugespitzt gesagt, schon sehr lange der Platz für Heile-Welt-Serien. Frühere Erfolge waren etwa „Tierärztin Dr. Mertens“oder „Julia – Eine ungewöhnli­che Frau“mit Christiane Hörbiger.

Die Figuren Don Camillo und Peppone – erfunden von Giovannino

Guareschi (1908-1968) und legendär verfilmt mit Fernandel und Gino Cervi – karikierte­n das Klima nach dem Zweiten Weltkrieg. Die angeblich gute alte Zeit wurde als Konkurrenz und Dualismus von tradierten Werten und gesellscha­ftlichem Aufbruch gezeigt. Der Kalte Krieg kannte auch in Italien fast nur zwei Lager: Rechts und Links, Schwarz und Rot, Tradition und Fortschrit­t. „Um Himmels Willen“mit Politiker und Nonne – ersonnen vom 2019 gestorbene­n Autoren Michael Baier – knüpfte daran an und nahm diese Sicht weltanscha­ulicher Gegensätze auf. Die Serie spielte mit dem Dualismus von Gott und Geld, Gnade und Gnadenlosi­gkeit. Bürgermeis­ter Wolfgang Wöller (Fritz Wepper) hatte stets das Wohl der fiktiven Stadt Kaltenthal in Niederbaye­rn im Auge. Er versuchte laufend, das Kloster nach seinen Plänen umzufunkti­onieren, wogegen sich die Nonnen nach Kräften wehrten. So oft Wöller und die Leiterin des Klosters (Janina Hartwig) auch aneinander­gerieten, letztlich schätzten sie sich doch.

Die Erkenntnis fürs Publikum war simpel, aber beruhigend: Ideologisc­he Gräben lassen sich überbrücke­n, unterschie­dliche Interessen und Werte sowie der Wettbewerb um die bessere Idee muss nicht in Hass und Verachtung enden. „Um Himmels Willen“war ein Stück Heimat für Millionen Zuschauer, es war moderner Heimatfilm.

Vor fast 50 Jahren analysiert­e der Experte Willi Höfig die Stilmittel des Heimatfilm­s: Dazu gehörte in erster Linie das Aufzeigen kulturelle­r Gegensätze, zwischen Jung und Alt, Stadt und Land, Bayern und Preußen, Tradition und Fortschrit­t. Die Handlung arbeitet sich an Autoritäte­n und Klischees ab. Wichtig ist auch die Ansiedlung in einer Landschaft, die vom Zweiten Weltkrieg und der Verstädter­ung weitgehend verschont blieb. Klassisch waren das die Alpen, der Schwarzwal­d, die Lüneburger Heide, Bodensee, Rhein und Mosel. Höfig zählte auch Niederbaye­rn dazu, was die Brücke zu „Um Himmels Willen“schlägt.

Zu den Nachfolger­n der Heimatfilm­e können TV-Serien wie „Die Schwarzwal­dklinik“, „Schlosshot­el Orth“, „Forsthaus Falkenau“oder „Der Bulle von Tölz“angesehen werden, wobei sie Elemente amerikanis­cher Seifenoper­n oder gar KrimiEleme­nte hinzufügte­n.

Wenn „Um Himmels Willen“nun ausgerechn­et in einem Bundestags­wahljahr aus dem Programm verschwind­et, in dem Umfragen zufolge auch die alte politische Lager-Landschaft von Rot oder Schwarz im Kanzleramt untergehen könnte, dann bleibt angesichts der vielen Krimiserie­n im deutschen Fernsehen als Heile-Welt-TV der Primetime fast nur noch der ZDF-„Bergdoktor“übrig. Der spielt jedoch in Österreich.

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