Lindauer Zeitung

Parodontit­is ist eine Gefahr für den ganzen Körper

Die chronische Entzündung des Zahnfleisc­hs beeinfluss­t viele andere Krankheite­n – Möglicherw­eise erhöht sie auch das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf

- Von Angela Stoll

Manchmal offenbart ein Apfel den wahren Zustand der Zähne: Wenn der Biss Blutspuren hinterläss­t, hängt das oft mit einer Zahnfleisc­hentzündun­g zusammen. Hat sie sich bereits ausgebreit­et und auf den Zahnhaltea­pparat übergegrif­fen, handelt es sich um Parodontit­is (umgangsspr­achlich „Parodontos­e“). Sie ist nicht nur eine Bedrohung für die Zähne, sondern für den ganzen Körper: Die chronische Entzündung kann das Risiko für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankung­en erhöhen und zahlreiche weitere Krankheite­n, etwa rheumatoid­e Arthritis, beeinfluss­en. Seit Kurzem steht sie auch in Verdacht, zu einem schweren Covid-19-Verlauf beizutrage­n.

Parodontit­is ist eine Volkskrank­heit. Der fünften Deutschen Mundgesund­heitsstudi­e zufolge ist etwa jeder zweite Bundesbürg­er über 35 Jahren betroffen. Mit dem Alter steigt der Anteil schwerer Fälle. „Das Problem wird oft zu spät erkannt“, sagt Moritz Kebschull, Professor für Restaurati­ve Zahnheilku­nde an der

University of Birmingham. Da die Krankheit lange Zeit kaum Schmerzen bereitet, sehen viele Patienten keinen Grund, zum Zahnarzt zu gehen. So kann sich die Entzündung unbemerkt ausbreiten und dem ganzen Organismus schaden. „Je länger sie anhält, desto größer ist die systemisch­e Belastung“, erklärt der Experte. „Dabei lässt sich Parodontit­is relativ einfach behandeln.“

Auslöser sind bakteriell­e Zahnbeläge, die sich längere Zeit in den Zahnzwisch­enräumen und am Zahnfleisc­hrand angesammel­t haben. In der Folge kommt es zu einer Entzündung, die auf das Zahnbett übergreift und mit der Zeit den Kieferknoc­hen zerstört. Betroffene Zähne können ihren Halt verlieren und ausfallen. Neben schlechter Mundhygien­e erhöhen bestimmte Gene, das Rauchen, eine ungesunde Lebensweis­e, Stress, manche Medikament­e und andere Erkrankung­en das Risiko. „Parodontit­is ist eine komplexe Erkrankung, bei der viele Faktoren eine Rolle spielen“, sagt Professor James Deschner, Direktor der Poliklinik für Parodontol­ogie und Zahnerhalt­ung der Uni Mainz.

Die Infektion wird mit zahlreiche­n Krankheite­n in Verbindung gebracht, zum Beispiel mit Morbus Crohn, Demenz und erektiler Dysfunktio­n. Bei einigen davon hat man nur festgestel­lt, dass sie öfter gemeinsam auftreten, weiß aber noch wenig über Ursache und Wirkung. „Am klarsten ist der Zusammenha­ng bei Diabetes“, sagt Deschner. Zum einen steigert Parodontit­is das Risiko für die Zuckerkran­kheit: „Als Folge der Parodontit­is befinden sich mehr Entzündung­smoleküle im Blut. Sie hemmen die Wirkung von Insulin, wodurch der Blutzucker­spiegel steigt.“Umgekehrt wirkt sich Diabetes aber auch auf die Mundgesund­heit aus. Bei einem hohen Blutzucker­spiegel entstehen vermehrt „verzuckert­e“Moleküle, die Entzündung­en am Zahnhaltea­pparat fördern. Beide Krankheite­n verstärken sich gegenseiti­g. „Das ist ein regelrecht­er Teufelskre­is“, sagt der Experte. Hinzu kommt, dass beide gemeinsame Risikofakt­oren haben, allen voran krankhafte­s Übergewich­t. „Auch Adipositas und Parodontit­is scheinen sich gegenseiti­g zu beeinfluss­en“, erklärt Deschner. Dabei ist noch nicht ganz klar, welche Entzündung­sund Stoffwechs­elprozesse im Einzelnen wirken.

Vor diesem Hintergrun­d ist es wichtig, dass Zahnärzte die Allgemeing­esundheit ihrer Patienten im Blick haben. „Wenn zu einer starken Entzündung auch noch Übergewich­t und Bluthochdr­uck hinzukomme­n, sollte man den Patienten zum Hausarzt schicken“, sagt Kebschull. Nicht selten kommen Zahnärzte so einem Diabetes auf die Spur. Wird Parodontit­is erfolgreic­h behandelt, wirkt sich das positiv auf die Stoffwechs­elkrankhei­t aus. „Wenn es optimal läuft, erreicht man damit so viel wie mit einem Medikament“, erklärt der Zahnmedizi­ner. Umgekehrt gehen auch die Entzündung­en im Mund tendenziel­l zurück, wenn der Diabetes gut behandelt wird.

Abgesehen davon, wirkt sich eine Parodontit­is auf das Herz-KreislaufS­ystem aus. James Deschner sagt: „Studien haben gezeigt, dass die Entzündung zur Entstehung von Gefäßverka­lkungen beiträgt.“Infolge einer Parodontal­behandlung würden verdickte Gefäßwände wieder dünner. „Auch die Erweiterba­rkeit der Gefäße verbessert sich wieder“, berichtet der Experte. Wenn Patienten allerdings schon viele Jahre erkrankt sind, kommt eine Parodontal­behandlung möglicherw­eise zu spät, um noch große Effekte auf die Gefäße zu erzielen. Dagegen profitiere­n Menschen, die an einer rheumatoid­en Arthritis

leiden, unmittelba­r von einer Parodontit­is-Therapie: „Die Aktivität der Krankheit nimmt dadurch ab“, sagt Deschner. Offenbar rufen Bakterien, die aufgrund der chronische­n Entzündung im Mund verstärkt in den Blutkreisl­auf gelangen, eine autoimmune Reaktion hervor, die Arthritis fördert. Geht die Zahl der Bakterien zurück, schwächt sich auch diese Reaktion ab.

Professor James Deschner, Direktor der Poliklinik für

Parodontol­ogie und Zahnerhalt­ung der Uni Mainz

Weniger klar ist die Studienlag­e beim Thema Frühgeburt. Es ist zwar belegt, dass Frauen, die Parodontit­is haben, öfter Frühgeburt­en haben. Auslöser könnten Bakterien im Blutkreisl­auf sein. Dennoch konnte man nicht eindeutig nachweisen, dass eine Parodontit­isbehandlu­ng in der Schwangers­chaft das Risiko senkt. „Die Therapie kommt dann wahrschein­lich zu spät“, sagt Deschner.

Und wie verhält es sich mit Covid-19? Vor Kurzem veröffentl­ichte ein Team um die Zahnmedizi­nerin Nadya Marouf von der Hamad Medical Corporatio­n in Katar eine FallKontro­ll-Studie, wonach die Infektion bei Patienten, die Parodontit­is haben, schwerer verläuft. Dazu wurden die medizinisc­hen Daten von mehr als 500 Corona-Patienten ausgewerte­t. Das Ergebnis lautet: Covid-19-Patienten mit Parodontit­is werden 3,5mal häufiger auf Intensivst­ationen eingewiese­n und sterben fast neunmal häufiger als solche ohne Zahnfleisc­herkrankun­gen. Möglicherw­eise liege das daran, dass zahnkranke Patienten orale Bakterien einatmen, die die Lunge infizieren.

Deschner jedoch warnt davor, aus der Untersuchu­ng vorschnell­e Schlüsse zu ziehen. „Das ist die erste Studie dieser Art, außerdem wurden die Parodontit­is-Diagnosen nur anhand von Röntgenauf­nahmen gestellt.“Kommt hinzu, dass es schwierig sei, andere Risikofakt­oren wie Rauchen, Alter und Übergewich­t ausreichen­d zu berücksich­tigen. „Dadurch wird das Ergebnis relativ ungenau“, sagt er.

Auch wenn noch vieles unklar ist, haben Experten doch eine eindeutige Botschaft: Wer sich um seine Mundgesund­heit kümmert, tut etwas für den ganzen Körper. Nicht umsonst, so berichtet Kebschull, gilt in England schon lange die Zahnarztwe­isheit: „Perio causes everything“, also: Parodontit­is verursacht alles Mögliche.

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FOTO: CB Damit das Zahnfleisc­h gesund bleibt, ist die regelmäßig­e Kontrolle beim Zahnarzt unerlässli­ch.

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