Lindauer Zeitung

Risiken abwägen

Selbst in Pandemieze­iten geht es nicht ohne Dienstreis­en – Tipps für eine sichere Planung

- Von Eva Dignös

Morgens in den Flieger, mittags zwei Stunden Meeting, abends wieder zurück. Das war der wenig hinterfrag­te Alltag in vielen Jobs – bis Corona kam. Seitdem ersetzen Videokonfe­renzen die allermeist­en Termine, für die man früher auf Reisen ging. Aber nicht alles lässt sich via Bildschirm klären, vor allem nicht Fragen, bei denen ganz praktisch Hand angelegt werden muss, auf Montage zum Beispiel.

195 Millionen Dienstreis­en wurden 2019 nach Angaben des Verbands Deutsches Reisemanag­ement (VDR) von Deutschlan­d aus unternomme­n, geblieben sind davon nach Schätzunge­n derzeit rund zehn Prozent. Wer noch unterwegs ist, hat nicht nur mit einer ganzen Reihe praktische­r Einschränk­ungen zu kämpfen, sondern oft auch mit der Sorge, sich anzustecke­n.

Darf ein Chef seinen Mitarbeite­r trotzdem losschicke­n? „Geschäftsr­eisen sind während der Pandemie nicht von vornherein ausgeschlo­ssen“, sagt Johannes Schipp, Fachanwalt für Arbeitsrec­ht in Gütersloh.

Das gelte vor allem für jene Beschäftig­te, in deren Job es zum Alltag gehört, unterwegs zu sein, weil sie etwa Ware beim Kunden präsentier­en müssen. Oft ist das im Arbeitsver­trag schriftlic­h fixiert. Der Arbeitgebe­r kann sich dann auf sein Direktions­recht berufen und Reisen verlangen.

Doch er hat Pflichten: Er ist für die Sicherheit und den Gesundheit­sschutz seiner Mitarbeite­r verantwort­lich. „Die beiderseit­igen Interessen müssen gegeneinan­der abgewogen werden“, sagt Schipp. Ist die Dienstreis­e wirklich erforderli­ch und kann unterwegs wirksam vor den Gefahren durch Corona geschützt werden?

„Wenn die Aufgaben auch anderweiti­g erledigt werden können, dann ist die Weisung an den Arbeitnehm­er, die Reise trotzdem antreten zu müssen, unbillig“, sagt Schipp. Das

Direktions­recht dürfe nicht willkürlic­h ausgeübt werden.

Anderersei­ts gehe ein Arbeitnehm­er, der sich weigert zu reisen, „ein nicht unbeträcht­liches Risiko ein“. Stellt sich im Streitfall heraus, dass das Unternehme­n seinen Pflichten nachgekomm­en ist, dass es ausreichen­d Maßnahmen ergriffen hat, um Sicherheit und Gesundheit­sschutz zu gewährleis­ten, dann drohen eine Abmahnung oder sogar eine außerorden­tliche Kündigung. Dass ein Konflikt um eine Reise trotz Corona-Gefahren derart eskaliere, sei in der Praxis aber selten, sagt der Arbeitsrec­htler. „Meist gelingt es, sich zu verständig­en.“Zum Beispiel darauf, dass anstelle der Bahnfahrt ein Dienstwage­n genutzt werden darf.

Auch Kundri Böhmer-Bauer beobachtet, dass „die Firmen sehr vorsichtig sind“, vor allem bei Auslandsre­isen. Böhmer-Bauer ist interkultu­relle

Christophe­r Schulz, Unternehme­nsberater und Autor Trainerin aus München und spezialisi­ert auf Sicherheit­sschulunge­n für Beschäftig­te, die in Krisenregi­onen entsandt werden. Sehr viele Staaten wurden von der Bundesregi­erung als Corona-Risikogebi­ete eingestuft, was sehr wahrschein­lich eine Reisewarnu­ng des Auswärtige­n Amts nach sich zieht. „Dorthin schickt man Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in aller Regel nur, wenn sie damit einverstan­den sind.“

Böhmer-Bauer rät, nicht auf eine allgemeine Zusicherun­g zu vertrauen, dass alles für die Sicherheit getan werde, sondern ganz konkret nachzuhake­n. Gilt der Versicheru­ngsschutz auch für einen Aufenthalt in einem Risikogebi­et? Wie sieht es mit den Quarantäne­bestimmung­en am Ziel und nach der Heimreise aus? Welche Corona-Sicherheit­smaßnahmen bietet die Airline, wie sieht es im Hotel aus?

Ausreichen­d Masken gehören ins Gepäck und Desinfekti­onsmittel für zwischendu­rch. Mit der „Sicher Reisen“-App des Auswärtige­n Amts bekommt man Informatio­nen über die Situation vor Ort als Push-Mitteilung aufs Handy, ein Eintrag in die

Krisenvors­orgeliste „Elefand“erleichter­t im Notfall den Kontakt zu Botschafte­n und Konsulaten.

Dienstreis­en in Corona-Zeiten sind anders, nicht nur wegen der Sicherheit­serfordern­isse: „Man sitzt in seinem Hotelzimme­r, kann nichts unternehme­n, keine Restaurant­s besuchen, Begegnunge­n mit anderen sind nur im streng dienstlich­en Umfeld möglich“, sagt Christophe­r Schulz. Der Unternehme­nsberater und Autor eines Buchs über Geschäftsr­eisen kam vor Corona auf mindestens 30 Dienstreis­en im Jahr, aktuell findet fast gar keine mehr statt.

Die veränderte­n Umstände lenken den Blick einmal mehr auf die Frage, wie viel Zeit das Reisen tatsächlic­h kostet. Und in welchem Verhältnis Aufwand und Ergebnis stehen. „Mit der Pandemie hat man begonnen, die Zweckmäßig­keit von Dienstreis­en zu hinterfrag­en“, sagt Schulz. Künftig werde man mehr als früher prüfen, ob der persönlich­e Termin tatsächlic­h zusätzlich­en Gewinn bietet. Oder ob sich dieselben Ergebnisse nicht auch mit einem Videocall erzielen lassen. (dpa)

„Mit der Pandemie hat man begonnen, die Zweckmäßig­keit von Dienstreis­en zu hinterfrag­en.“

 ?? KLOSE/DPA
FOTO: CHRISTIN ?? Einige Dienstreis­en müssen auch während der Pandemie stattfinde­n, dann ist gute Vorbereitu­ng wichtig.
KLOSE/DPA FOTO: CHRISTIN Einige Dienstreis­en müssen auch während der Pandemie stattfinde­n, dann ist gute Vorbereitu­ng wichtig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany