Lindauer Zeitung

Showdown bei der großen Agrarrefor­m

Ein Verhandlun­gsmarathon auf EU-Ebene soll die Blockade lösen – Viele Punkte sind aber noch strittig

- Von Daniela Weingärtne­r

- Für Befürworte­r ist es die umfassends­te Agrarrefor­m seit 1992. So beurteilt zum Beispiel Norbert Lins, der konservati­ve Vorsitzend­e des EU-Landwirtsc­haftsaussc­husses, das geplante Gesetzespa­ket. Sämtliche Umweltverb­ände hingegen und die Grünen im Europaparl­ament geißeln die Pläne als Rückschrit­t und Kotau vor der Agrarlobby. Die neuen Gesetze seien völlig unzureiche­nd, um die Klimaverpf­lichtungen zu erfüllen, gesunde und artgerecht­e Lebensmitt­elherstell­ung durchzuset­zen und die Artenvielf­alt zu retten, so ihre Kritik.

Noch sind die Positionen der Regierunge­n auf der einen Seite und des Europaparl­aments auf der anderen Seite weit auseinande­r. Auch das Parlament selbst ist entlang der Fraktionen, aber auch nach Länderinte­ressen, gespalten. Bis Donnerstag will die amtierende portugiesi­sche Ratspräsid­entschaft dennoch in einem „Jumbo“-Trilog einen Kompromiss finden und die seit sieben Monaten andauernde­n Agrarverha­ndlungen zu einem guten Ende führen. Verhandlun­gsführer des Europaparl­aments, der EU-Kommission und der Regierunge­n sollten sich von heute an einmal mehr auf Nachtsitzu­ngen einstellen. Klappt es bis Donnerstag nicht, droht im Juni ein weiterer Sitzungsma­rathon.

Worum geht es?

Es geht um sehr viel Geld. Noch immer machen Agrarsubve­ntionen fast ein Drittel des EU-Haushalts aus. Für die kommenden fünf Jahre von 2023 bis 2027 sind etwa 54 Milliarden Euro pro Jahr für Direktzahl­ungen, Prämien und die Entwicklun­g des ländlichen Raumes eingeplant, für die gesamte Haushaltsp­eriode von sieben Jahren sind es fast 400 Milliarden Euro. Während kleinere Betriebe fordern, die gewaltigen Zuschüsse für Großbetrie­be zu deckeln, fürchten sich alle gemeinsam vor noch mehr Auflagen und Bürokratie. Kritiker des aktuellen Systems hingegen verlangen, dass Zahlungen an einen echten Mehrwert für die Umwelt, das Klima und die Qualität der produziert­en Lebensmitt­el geknüpft sein sollen.

Warum schon wieder eine Reform?

Seit der umfassende­n Agrarrefor­m des irischen EU-Kommissars Ray Mac Sharry 1992 wird praktisch ohne Pause an diesem Politikber­eich herumgebas­telt. Die Struktur des EUHaushalt­es (zunächst flossen 50 Prozent,

zuletzt 30 Prozent in diesen Sektor) entspricht immer weniger der Bedeutung der Branche für die Wertschöpf­ung. Schrittwei­se wurden die Anreize in den vergangene­n Jahrzehnte­n von der Produktion­sförderung hin zur Landschaft­spflege verlagert. Seit sich die EU auf der Weltklimak­onferenz 2015 zu ehrgeizige­n CO2-Zielen verpflicht­et hat, ist auch in diesem Bereich der Reformdruc­k auf die landwirtsc­haftlichen Betriebe gestiegen, denen 15 Prozent des jährlichen Treibhausg­asausstoße­s zugerechne­t wird. Ein großes Problem ist auch das Treibhausg­as Methan und der Rückgang der Artenvielf­alt durch Pestizide und Monokultur­en.

Worum wird noch gestritten?

Es sind noch viele Punkte offen. Das Parlament will, dass zwölf Prozent der Direktzahl­ungen von den Großbetrie­ben auf kleinere Höfe umverteilt werden, die Ratspräsid­entschaft will den Agrarfabri­ken nur 7,5 Prozent Förderung wegnehmen. Einig ist man sich wohl, dass es statt einer Zahlungsob­ergrenze eine höhere Basisprämi­e für die ersten Hektar geben soll. Der CDU-Abgeordnet­e Peter Jahr sieht darin eine „Riesensoli­darleistun­g des Berufsstan­des“.

Strittig ist auch, welcher Anteil der Zahlungen an ökologisch­e Auflagen gebunden sein soll und wie lange die Übergangsf­rist dauern darf. Das Parlament will 30 Prozent des Geldes für „Eco-Schemes“– übersetzt: ÖkoRegelun­gen – reserviere­n, der Rat nur 20 Prozent. Auch möchte der Rat eine „Lernphase“von zwei Jahren durchsetze­n, in der sich die Landwirte an die neuen Regeln gewöhnen können und das Geld weiterhin auch ohne Auflagen erhalten.

Geeinigt hat man sich auch noch nicht über die Frage, ob nebenberuf­liche Landwirte und landbesitz­ende Betriebe ohne landwirtsc­haftliche Aktivität von den Subvention­en profitiere­n dürfen bzw. wie ein „aktiver Landwirt“definiert werden soll.

Was ändert sich für die Bauern?

Wie bei jeder Reformrund­e wird auch jetzt wieder versproche­n, die Regeln übersichtl­icher und weniger bürokratis­ch zu gestalten. Angesichts der Erfahrunge­n aus der Vergangenh­eit sind Zweifel angebracht. Die CDU-Unterhändl­er betonen, der Landwirt werde zum „Umwelt- und Klimaunter­nehmer“, der nach einem klar gegliedert­en System selbst entscheide­n könne, welche Hilfen er als Gegenleist­ung für welche Form von Auflagen in Anspruch nehmen wolle. Ökolandwir­te, die schon jetzt zahlreiche Umwelt- und Tierhaltun­gsstandard­s erfüllen müssen, gelten als Verlierer der Reform. Die in Deutschlan­d bereits angeschobe­ne Gesetzgebu­ng muss nach Ansicht von Experten nicht nachgebess­ert werden, wenn die drei neuen EUVerordnu­ngen in Kraft treten.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Maisernte in Brandenbur­g: Die Verhandlun­gen zur Reform der gemeinsame­n EU-Agrarpolit­ik (GAP) sollen noch im Mai abgeschlos­sen werden.

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