Showdown bei der großen Agrarreform
Ein Verhandlungsmarathon auf EU-Ebene soll die Blockade lösen – Viele Punkte sind aber noch strittig
- Für Befürworter ist es die umfassendste Agrarreform seit 1992. So beurteilt zum Beispiel Norbert Lins, der konservative Vorsitzende des EU-Landwirtschaftsausschusses, das geplante Gesetzespaket. Sämtliche Umweltverbände hingegen und die Grünen im Europaparlament geißeln die Pläne als Rückschritt und Kotau vor der Agrarlobby. Die neuen Gesetze seien völlig unzureichend, um die Klimaverpflichtungen zu erfüllen, gesunde und artgerechte Lebensmittelherstellung durchzusetzen und die Artenvielfalt zu retten, so ihre Kritik.
Noch sind die Positionen der Regierungen auf der einen Seite und des Europaparlaments auf der anderen Seite weit auseinander. Auch das Parlament selbst ist entlang der Fraktionen, aber auch nach Länderinteressen, gespalten. Bis Donnerstag will die amtierende portugiesische Ratspräsidentschaft dennoch in einem „Jumbo“-Trilog einen Kompromiss finden und die seit sieben Monaten andauernden Agrarverhandlungen zu einem guten Ende führen. Verhandlungsführer des Europaparlaments, der EU-Kommission und der Regierungen sollten sich von heute an einmal mehr auf Nachtsitzungen einstellen. Klappt es bis Donnerstag nicht, droht im Juni ein weiterer Sitzungsmarathon.
Worum geht es?
Es geht um sehr viel Geld. Noch immer machen Agrarsubventionen fast ein Drittel des EU-Haushalts aus. Für die kommenden fünf Jahre von 2023 bis 2027 sind etwa 54 Milliarden Euro pro Jahr für Direktzahlungen, Prämien und die Entwicklung des ländlichen Raumes eingeplant, für die gesamte Haushaltsperiode von sieben Jahren sind es fast 400 Milliarden Euro. Während kleinere Betriebe fordern, die gewaltigen Zuschüsse für Großbetriebe zu deckeln, fürchten sich alle gemeinsam vor noch mehr Auflagen und Bürokratie. Kritiker des aktuellen Systems hingegen verlangen, dass Zahlungen an einen echten Mehrwert für die Umwelt, das Klima und die Qualität der produzierten Lebensmittel geknüpft sein sollen.
Warum schon wieder eine Reform?
Seit der umfassenden Agrarreform des irischen EU-Kommissars Ray Mac Sharry 1992 wird praktisch ohne Pause an diesem Politikbereich herumgebastelt. Die Struktur des EUHaushaltes (zunächst flossen 50 Prozent,
zuletzt 30 Prozent in diesen Sektor) entspricht immer weniger der Bedeutung der Branche für die Wertschöpfung. Schrittweise wurden die Anreize in den vergangenen Jahrzehnten von der Produktionsförderung hin zur Landschaftspflege verlagert. Seit sich die EU auf der Weltklimakonferenz 2015 zu ehrgeizigen CO2-Zielen verpflichtet hat, ist auch in diesem Bereich der Reformdruck auf die landwirtschaftlichen Betriebe gestiegen, denen 15 Prozent des jährlichen Treibhausgasausstoßes zugerechnet wird. Ein großes Problem ist auch das Treibhausgas Methan und der Rückgang der Artenvielfalt durch Pestizide und Monokulturen.
Worum wird noch gestritten?
Es sind noch viele Punkte offen. Das Parlament will, dass zwölf Prozent der Direktzahlungen von den Großbetrieben auf kleinere Höfe umverteilt werden, die Ratspräsidentschaft will den Agrarfabriken nur 7,5 Prozent Förderung wegnehmen. Einig ist man sich wohl, dass es statt einer Zahlungsobergrenze eine höhere Basisprämie für die ersten Hektar geben soll. Der CDU-Abgeordnete Peter Jahr sieht darin eine „Riesensolidarleistung des Berufsstandes“.
Strittig ist auch, welcher Anteil der Zahlungen an ökologische Auflagen gebunden sein soll und wie lange die Übergangsfrist dauern darf. Das Parlament will 30 Prozent des Geldes für „Eco-Schemes“– übersetzt: ÖkoRegelungen – reservieren, der Rat nur 20 Prozent. Auch möchte der Rat eine „Lernphase“von zwei Jahren durchsetzen, in der sich die Landwirte an die neuen Regeln gewöhnen können und das Geld weiterhin auch ohne Auflagen erhalten.
Geeinigt hat man sich auch noch nicht über die Frage, ob nebenberufliche Landwirte und landbesitzende Betriebe ohne landwirtschaftliche Aktivität von den Subventionen profitieren dürfen bzw. wie ein „aktiver Landwirt“definiert werden soll.
Was ändert sich für die Bauern?
Wie bei jeder Reformrunde wird auch jetzt wieder versprochen, die Regeln übersichtlicher und weniger bürokratisch zu gestalten. Angesichts der Erfahrungen aus der Vergangenheit sind Zweifel angebracht. Die CDU-Unterhändler betonen, der Landwirt werde zum „Umwelt- und Klimaunternehmer“, der nach einem klar gegliederten System selbst entscheiden könne, welche Hilfen er als Gegenleistung für welche Form von Auflagen in Anspruch nehmen wolle. Ökolandwirte, die schon jetzt zahlreiche Umwelt- und Tierhaltungsstandards erfüllen müssen, gelten als Verlierer der Reform. Die in Deutschland bereits angeschobene Gesetzgebung muss nach Ansicht von Experten nicht nachgebessert werden, wenn die drei neuen EUVerordnungen in Kraft treten.