Lindauer Zeitung

Gemeinsam graben, gemeinsam zuschütten

Das ambitionie­rte Ziel des zweiten Treffens der Bürgerbete­iligung Karl-Bever-Platz: Einen Konsens finden

- Von Emanuel Hege

- Das zweite von drei Treffen der Beteiligun­gsgruppe Karl-Bever-Platz ist das entscheide­nde im ganzen Prozess. Das schier unmögliche Ziel des Abends: Im Geflecht aus unterschie­dlichsten Meinungen suchen die Teilnehmer eine handvoll Ideen, auf die sich alle einigen können. Dafür musste die Gruppe jedoch erst einmal ein tiefes Loch graben.

Salvatore Vitale lebt erst seit eineinhalb Jahren in Lindau, „als ich die Einladung für die Bürgerbete­iligung bekam, musste ich mich erst einmal über alles informiere­n“, sagt der 25Jährige. Vitale ist einer von 21 Lindauerin­nen und Lindauern der Bürgergrup­pe, die sich am vergangene­n Freitag zum zweiten Mal getroffen hat. Vitale hat zwar Vorstellun­gen für die Zukunft des Platzes, verrät er in einer Pause, eine konkrete Agenda hat er aber nicht: „Es ist cool sich einfach mal einzubring­en und selbst in die Verantwort­ung zu gehen.“Das bisherige Programm der Bürgerbete­iligung habe ihn überzeugt, sagt Vitale, „eine konkrete Lösung zu finden wird aber schwer“. Die ganze Diskussion um den Karl-Bever-Platz sei eben keine Ja- oder Nein-Frage.

Es gehe darum, gemeinsam durch eine Tür zu gehen, von der man noch gar nicht weiß, wo sie ist, beschreibt Robert Pakleppa das Programm des Abends. Der gelernte Sozialpäda­goge hat schon viele Beteiligun­gsprozesse begleitet, vor allem in Vorarlberg. Der Lindauer und seine Kollegen Karsten Grimberg und Isabella Natter-Spets setzen dabei auf die Methode des lösungsori­entierten Dialogs.

Im ersten Schritt des Abends sitzen die Teilnehmer im Halbkreis um den Moderator. Um gemeinsam durch die Türe gehen zu können, müssen erst einmal alle Ansichten zu

Ein Bürgerents­cheid vor rund zwei Jahren kippte den Plan des Stadtrats, auf dem Karl-Bever-Platz ein Parkhaus zu bauen. Es soll sich trotzdem etwas ändern. Der Stadtrat beschloss daher im vergangene­n September, einen Bürgerbete­iligungspr­ozess durchzufüh­ren. Das Ziel: Eine Bürgerempf­ehlung soll dem Stadtrat helfen, die Zukunft des Karl-Bever-Platzes zu gestalten. Der Beteiligun­gsprozess begann nach einer Corona-Verspätung im April. Einerseits mit einer Online-Befragung für alle Lindauerin­nen und Lindauer, anderersei­ts mit einem von drei Treffen einer 21-köpfigen Bürgergrup­pe. Zuvor wurden 1000 zufällig ausgewählt­e Lindauer angeschrie­ben. dem Thema Karl-Bever-Platz auf den Tisch. Dabei wird nur mit dem Moderator kommunizie­rt, Diskussion­en unter den Teilnehmer­n sind unerwünsch­t. Die Bürgergrup­pe solle dabei tolerant gegenüber der Meinungsvi­elfalt sein, sagt Pakleppa in die Runde. Und erkennen, dass es kein Richtig und kein Falsch gibt. „Ihr werdet zwischendu­rch denken, dass wir damit nicht vom Fleck kommen“, sagt Pakleppa während der Einweisung, das sei jedoch gewollt: „Dieser Teil wird Geduld brauchen.“

Und das tut er: In den nächsten Stunden sammeln die Bürger alle Fragen, Bedenken, Ideen und Nebenschau­plätze rund um das Thema Karl-Bever-Platz. Für wen soll der Parkplatz überhaupt sein, gibt eine Teilnehmer­in zu bedenken – soll es ein Touristenp­arkplatz werden oder einer für die Einheimisc­hen und Insel-Arbeitskrä­fte? Es gibt aber auch konkrete Vorschläge: Man könnte

Diese konnten sich daraufhin bewerben, bei der Bürgerbete­iligung mitzuwirke­n. Die Rückmeldun­gen wurden dann so ausgewählt, dass die Zusammense­tzung der letztendli­chen Gruppe möglichst divers ist.

Während des ersten Treffens lernte sich die Bürgergrup­pe kennen. Die Projektlei­ter stellten außerdem eine gemeinsame Wissensbas­is über den Karl-Bever-Platz her. Beim beispielsw­eise in die Tiefe arbeiten, sagt ein Teilnehmer, so würde ein flacheres Parkhaus entstehen, das ansehnlich­er wäre. Andere melden sich mit ganz allgemeine­n Einwänden: „Idealerwei­se entwerfen wir heute etwas, das lange hält und nicht mehr geändert werden muss.“

Einige ärgern sich über das Parkleitsy­stem, das nicht funktionie­re, andere bringen die autofreie Insel ins Gespräch. Es gibt Vorschläge für einen Touristenp­arkplatz in Reutin, ein Schiff-Shuttle auf die Insel und ein digitalisi­ertes Park-and-RideSystem. In der Pause wirken die Teilnehmer etwas erschlagen, auch Salvatore Vitale: „Ich weiß nicht so ganz, wie das am Ende klappen soll.“Sieht man das Problem Karl-BeverPlatz als Loch, hat die Gruppe dieses gerade tiefer gegraben. „Nein, das Loch war schon immer so. Wir zeigen gerade nur, wie groß es tatsächlic­h ist“, widerspric­ht Robert Pakleppa, zweiten Treffen versuchten die Freiwillig­en einen Konsens zu finden. Das dritte Treffen am 18. Juni dient dazu, die konkrete Empfehlung an den Stadtrat auszuarbei­ten. Neben den 21 Bürgern begleiten außerdem sieben Mitglieder verschiede­ner Interessen­sgruppen, einige Stadträte und Sachexpert­en den Prozess. Neben der Umgestaltu­ng des Karl-Bever-Platzes hat die Bürgerbete­iligung unter anderem das Ziel, den Konflikt rund um das Thema zu befrieden und die Kommunikat­ionskultur in der Stadt zu verbessern. Diese Bürgerbete­iligung Karl-Bever-Platz ist außerdem wichtig, da der ganze Prozess zur Vorlage für weitere Bürgerbete­iligungen in Lindau wird. (ehe)

„das ist wichtig, weil jeder bisher nur sein kleines subjektive­s Loch gesehen hat.“

Jetzt müssten die Teilnehmer diese Fülle an Aspekten gemeinsam bündeln, so Pakleppa. Das führt zum nächsten Punkt des Abends. Alle Fragen, Ideen und Bedenken wurden während der vergangene­n Stunden aufgeschri­eben und sind nun auf über einem Dutzend Pinnwänden ausgestell­t. Ohne dabei zu diskutiere­n, soll jeder Teilnehmer vier Klebepunkt­e an wichtige Aspekte heften. „Jetzt geht es darum, das Ego beiseite zu stellen und zu erkennen, dass ein gemeinscha­ftliches Ergebnis her muss“, sagt Pakleppa, während die Teilnehmer schweigend die Plakate studieren.

Als sich die Bürger wieder setzen, sollen aus den Aspekten mit den meisten Klebepunkt­en nun fünf Überschrif­ten herausgefi­ltert werden. „Wir suchen keine Mehrheit für bestimmte Dinge. Wir suchen Überschrif­ten, bei denen es keine groben Einwände mehr gibt“, erklärt Pakleppa. Die Teilnehmer melden sich, plädieren beispielsw­eise für Freizeitmö­glichkeite­n auf dem Platz oder eine reine Nutzung für Lindauer. Immer wieder unterbrich­t Pakleppa die Runde: „Mehr als fünf Überschrif­ten lassen wir nicht zu.“Er bringt die Teilnehmer dazu, vermeintli­ch unterschie­dliche Aspekte unter einer Überschrif­t zusammenzu­fassen. Beispielsw­eise den Wunsch nach einem modernen Mobilitäts­konzept und den nach einem besseren Parkleitsy­stem. Die vielen Aspekte des aufgerisse­nen Lochs verdichten sich so innerhalb von 20 Minuten zu folgenden Überschrif­ten, gegen die es keine Einwände gab.

Eine attraktive Gestaltung mit Freizeitmö­glichkeite­n für Lindauer. Ein nachhaltig­es und umfassende­s Mobilitäts­konzept mit besserem Parkleitsy­stem. Eine bedarfsger­echte Planung für die Inselbewoh­ner und Inselarbei­ter. Eine langlebige­s und umweltvert­rägliches Konzept. Attraktive Angebote für Besucher schaffen, die außerhalb parken. Diese Überschrif­ten seien jedoch nicht endgültig und es werde weiter an ihnen gearbeitet, beteuern die Projektlei­ter

„Ich bin auf jeden Fall nicht mehr so planlos wie zwischendu­rch“, sagt Salvatore Vitale am Ende der Veranstalt­ung – es ist bereits nach 22 Uhr. Es sei deutlich geworden, dass es nicht mehr um die eigene Meinung geht, „keiner aus der Gruppe ist dabei ausgebroch­en“. Jetzt müssten noch Details herausgear­beitet werden, so Vitale, die Überschrif­ten sind ihm noch etwas unkonkret. Aber: „In der Gesprächsr­unde davor ging es irgendwie um alles aber auch um nichts, jetzt am Ende sind die Leute aber wirklich etwas zusammenge­rückt.“

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FOTO: CHRISTIAN BANDTE In den ersten Stunden des zweiten Beteiligun­gstreffens saßen die Teilnehmer im Halbkreis und sammelten Fragen, Ideen und Bedenken. Diskussion­en waren nicht erwünscht.
 ?? FOTO: CHRISTIAN BANDTE ?? Salvatore Vitale teilt seine Gedanken zum Karl-Bever-Platz.
FOTO: CHRISTIAN BANDTE Salvatore Vitale teilt seine Gedanken zum Karl-Bever-Platz.
 ?? FOTO: CHRISTIAN BANDTE ?? In völliger Stille studieren die Teilnehmer die gesammelte­n Fragen, Ideen und Bedenken. Die Gruppe hat die schier unendliche­n Aspekte zu fünf Überschrif­ten zusammenge­fasst, auf die sich alle einigen konnten
FOTO: CHRISTIAN BANDTE In völliger Stille studieren die Teilnehmer die gesammelte­n Fragen, Ideen und Bedenken. Die Gruppe hat die schier unendliche­n Aspekte zu fünf Überschrif­ten zusammenge­fasst, auf die sich alle einigen konnten
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FOTO: PR Robert Pakleppa ist einer der Projektlei­ter der Bürgerbete­iligung.

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