Gemeinsam graben, gemeinsam zuschütten
Das ambitionierte Ziel des zweiten Treffens der Bürgerbeteiligung Karl-Bever-Platz: Einen Konsens finden
- Das zweite von drei Treffen der Beteiligungsgruppe Karl-Bever-Platz ist das entscheidende im ganzen Prozess. Das schier unmögliche Ziel des Abends: Im Geflecht aus unterschiedlichsten Meinungen suchen die Teilnehmer eine handvoll Ideen, auf die sich alle einigen können. Dafür musste die Gruppe jedoch erst einmal ein tiefes Loch graben.
Salvatore Vitale lebt erst seit eineinhalb Jahren in Lindau, „als ich die Einladung für die Bürgerbeteiligung bekam, musste ich mich erst einmal über alles informieren“, sagt der 25Jährige. Vitale ist einer von 21 Lindauerinnen und Lindauern der Bürgergruppe, die sich am vergangenen Freitag zum zweiten Mal getroffen hat. Vitale hat zwar Vorstellungen für die Zukunft des Platzes, verrät er in einer Pause, eine konkrete Agenda hat er aber nicht: „Es ist cool sich einfach mal einzubringen und selbst in die Verantwortung zu gehen.“Das bisherige Programm der Bürgerbeteiligung habe ihn überzeugt, sagt Vitale, „eine konkrete Lösung zu finden wird aber schwer“. Die ganze Diskussion um den Karl-Bever-Platz sei eben keine Ja- oder Nein-Frage.
Es gehe darum, gemeinsam durch eine Tür zu gehen, von der man noch gar nicht weiß, wo sie ist, beschreibt Robert Pakleppa das Programm des Abends. Der gelernte Sozialpädagoge hat schon viele Beteiligungsprozesse begleitet, vor allem in Vorarlberg. Der Lindauer und seine Kollegen Karsten Grimberg und Isabella Natter-Spets setzen dabei auf die Methode des lösungsorientierten Dialogs.
Im ersten Schritt des Abends sitzen die Teilnehmer im Halbkreis um den Moderator. Um gemeinsam durch die Türe gehen zu können, müssen erst einmal alle Ansichten zu
Ein Bürgerentscheid vor rund zwei Jahren kippte den Plan des Stadtrats, auf dem Karl-Bever-Platz ein Parkhaus zu bauen. Es soll sich trotzdem etwas ändern. Der Stadtrat beschloss daher im vergangenen September, einen Bürgerbeteiligungsprozess durchzuführen. Das Ziel: Eine Bürgerempfehlung soll dem Stadtrat helfen, die Zukunft des Karl-Bever-Platzes zu gestalten. Der Beteiligungsprozess begann nach einer Corona-Verspätung im April. Einerseits mit einer Online-Befragung für alle Lindauerinnen und Lindauer, andererseits mit einem von drei Treffen einer 21-köpfigen Bürgergruppe. Zuvor wurden 1000 zufällig ausgewählte Lindauer angeschrieben. dem Thema Karl-Bever-Platz auf den Tisch. Dabei wird nur mit dem Moderator kommuniziert, Diskussionen unter den Teilnehmern sind unerwünscht. Die Bürgergruppe solle dabei tolerant gegenüber der Meinungsvielfalt sein, sagt Pakleppa in die Runde. Und erkennen, dass es kein Richtig und kein Falsch gibt. „Ihr werdet zwischendurch denken, dass wir damit nicht vom Fleck kommen“, sagt Pakleppa während der Einweisung, das sei jedoch gewollt: „Dieser Teil wird Geduld brauchen.“
Und das tut er: In den nächsten Stunden sammeln die Bürger alle Fragen, Bedenken, Ideen und Nebenschauplätze rund um das Thema Karl-Bever-Platz. Für wen soll der Parkplatz überhaupt sein, gibt eine Teilnehmerin zu bedenken – soll es ein Touristenparkplatz werden oder einer für die Einheimischen und Insel-Arbeitskräfte? Es gibt aber auch konkrete Vorschläge: Man könnte
Diese konnten sich daraufhin bewerben, bei der Bürgerbeteiligung mitzuwirken. Die Rückmeldungen wurden dann so ausgewählt, dass die Zusammensetzung der letztendlichen Gruppe möglichst divers ist.
Während des ersten Treffens lernte sich die Bürgergruppe kennen. Die Projektleiter stellten außerdem eine gemeinsame Wissensbasis über den Karl-Bever-Platz her. Beim beispielsweise in die Tiefe arbeiten, sagt ein Teilnehmer, so würde ein flacheres Parkhaus entstehen, das ansehnlicher wäre. Andere melden sich mit ganz allgemeinen Einwänden: „Idealerweise entwerfen wir heute etwas, das lange hält und nicht mehr geändert werden muss.“
Einige ärgern sich über das Parkleitsystem, das nicht funktioniere, andere bringen die autofreie Insel ins Gespräch. Es gibt Vorschläge für einen Touristenparkplatz in Reutin, ein Schiff-Shuttle auf die Insel und ein digitalisiertes Park-and-RideSystem. In der Pause wirken die Teilnehmer etwas erschlagen, auch Salvatore Vitale: „Ich weiß nicht so ganz, wie das am Ende klappen soll.“Sieht man das Problem Karl-BeverPlatz als Loch, hat die Gruppe dieses gerade tiefer gegraben. „Nein, das Loch war schon immer so. Wir zeigen gerade nur, wie groß es tatsächlich ist“, widerspricht Robert Pakleppa, zweiten Treffen versuchten die Freiwilligen einen Konsens zu finden. Das dritte Treffen am 18. Juni dient dazu, die konkrete Empfehlung an den Stadtrat auszuarbeiten. Neben den 21 Bürgern begleiten außerdem sieben Mitglieder verschiedener Interessensgruppen, einige Stadträte und Sachexperten den Prozess. Neben der Umgestaltung des Karl-Bever-Platzes hat die Bürgerbeteiligung unter anderem das Ziel, den Konflikt rund um das Thema zu befrieden und die Kommunikationskultur in der Stadt zu verbessern. Diese Bürgerbeteiligung Karl-Bever-Platz ist außerdem wichtig, da der ganze Prozess zur Vorlage für weitere Bürgerbeteiligungen in Lindau wird. (ehe)
„das ist wichtig, weil jeder bisher nur sein kleines subjektives Loch gesehen hat.“
Jetzt müssten die Teilnehmer diese Fülle an Aspekten gemeinsam bündeln, so Pakleppa. Das führt zum nächsten Punkt des Abends. Alle Fragen, Ideen und Bedenken wurden während der vergangenen Stunden aufgeschrieben und sind nun auf über einem Dutzend Pinnwänden ausgestellt. Ohne dabei zu diskutieren, soll jeder Teilnehmer vier Klebepunkte an wichtige Aspekte heften. „Jetzt geht es darum, das Ego beiseite zu stellen und zu erkennen, dass ein gemeinschaftliches Ergebnis her muss“, sagt Pakleppa, während die Teilnehmer schweigend die Plakate studieren.
Als sich die Bürger wieder setzen, sollen aus den Aspekten mit den meisten Klebepunkten nun fünf Überschriften herausgefiltert werden. „Wir suchen keine Mehrheit für bestimmte Dinge. Wir suchen Überschriften, bei denen es keine groben Einwände mehr gibt“, erklärt Pakleppa. Die Teilnehmer melden sich, plädieren beispielsweise für Freizeitmöglichkeiten auf dem Platz oder eine reine Nutzung für Lindauer. Immer wieder unterbricht Pakleppa die Runde: „Mehr als fünf Überschriften lassen wir nicht zu.“Er bringt die Teilnehmer dazu, vermeintlich unterschiedliche Aspekte unter einer Überschrift zusammenzufassen. Beispielsweise den Wunsch nach einem modernen Mobilitätskonzept und den nach einem besseren Parkleitsystem. Die vielen Aspekte des aufgerissenen Lochs verdichten sich so innerhalb von 20 Minuten zu folgenden Überschriften, gegen die es keine Einwände gab.
Eine attraktive Gestaltung mit Freizeitmöglichkeiten für Lindauer. Ein nachhaltiges und umfassendes Mobilitätskonzept mit besserem Parkleitsystem. Eine bedarfsgerechte Planung für die Inselbewohner und Inselarbeiter. Eine langlebiges und umweltverträgliches Konzept. Attraktive Angebote für Besucher schaffen, die außerhalb parken. Diese Überschriften seien jedoch nicht endgültig und es werde weiter an ihnen gearbeitet, beteuern die Projektleiter
„Ich bin auf jeden Fall nicht mehr so planlos wie zwischendurch“, sagt Salvatore Vitale am Ende der Veranstaltung – es ist bereits nach 22 Uhr. Es sei deutlich geworden, dass es nicht mehr um die eigene Meinung geht, „keiner aus der Gruppe ist dabei ausgebrochen“. Jetzt müssten noch Details herausgearbeitet werden, so Vitale, die Überschriften sind ihm noch etwas unkonkret. Aber: „In der Gesprächsrunde davor ging es irgendwie um alles aber auch um nichts, jetzt am Ende sind die Leute aber wirklich etwas zusammengerückt.“