Die Gefangenen der Internetkonzerne
Wie Facebook, Google, Amazon & Co. ihre Marktmacht missbrauchen und was dagegen geplant ist
- Wie sieht das Geschäftsmodell von Facebook, Google, Amazon & Co. aus, wo liegen die Probleme, und was will die Politik dagegen tun? Dies sind die sechs Irrwege der Digitalökonomie.
Das Geschäftsmodell
Der Teenager Ben wird von drei Angestellten des Onlinenetzwerks gesteuert. Er denkt, er lebe ein unbehelligtes Leben, doch aus ihrer Schaltzentrale geben ihm die drei Manipulatoren verborgene Befehle.
Die Szenen aus dem US-Film „The Social Dilemma“, erschienen im September 2020, sind unrealistisch und übertrieben. Dennoch erfüllen sie ihren Zweck, um die bedenkenswerte These des halb fiktionalen, halb dokumentarischen Werks zu illustrieren. Diese lautet: Soziale Netzwerke wie Facebook, Suchmaschinen wie Google, Onlinehändler wie Amazon, Wohnungsanbieter wie AirBnB und weitere Internetkonzerne nehmen die Menschen, die diese nutzen, quasi gefangen. Sie versuchen die Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange auf ihrer Seite zu halten, möglichst viele Daten über die Personen zu sammeln, daraus deren Verhalten in der Zukunft zu bestimmen und dieses Wissen an Kunden zu verkaufen, die Produkt- oder Politikwerbung verschicken.
Wer beispielsweise einen Filmtitel in die Google-Suchmaschine eingibt, erhält nicht nur die Suchergebnisse, sondern auch Hinweise auf ähnliche Filme, die zum Weiterklicken einladen. Die Wege, die die Leute dabei zurücklegen, verfolgen die Digitalfirmen sehr genau, sie sammeln die Daten und legen Persönlichkeitsprofile an. Dabei kommen „Datenprofile“zustande, „die aus 20 000 bis 50 000 Datenpunkten bestehen“, erklärt die grüne EU-Parlamentarierin Alexandra Geese. „Darunter sind sensible Daten wie Religion oder sexuelle Orientierung erfasst.“Auch das individuelle Kaufverhalten gehört dazu.
Digitalkonzerne können also grundsätzlich wissen, dass bestimmte Personen Mittwochabend gerne Himbeerjoghurt essen oder Freitagnacht Zombifilme gucken – und diese Informationen an Hersteller von Milchprodukten oder Filmen, aber auch politische Organisationen verkaufen. So funktioniert ein wesentliches Geschäftsmodell von Facebook, Google, Amazon & Co.
Daten- und Verbraucherschutz
„98 Prozent der Einnahmen von Facebook beruhen auf der spionierenden Werbung“, sagt Geese, „bei Google sind es 70 Prozent“. EU-Kommissarin Margrethe Vestager betrachtet das mittlerweile ebenso als Problem wie Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Die Politikerinnen sehen die Datensouveränität der Bürgerinnen und Bürger sowie deren Verbraucherrechte verletzt. Deshalb wollen sie den Nutzern des Internets ermöglichen, die Verwendung ihrer Daten etwas besser zu kontrollieren. Unter anderem diesem Zweck dient der geplante Digital Services Act (DSA) der EU, das Gesetz zur Regulierung digitaler Dienstleistungen. Wer personifizierte Werbung erhält, soll erfahren, woher diese kommt und auf welchen Daten sie beruht. Wenn das Gesetz so durchkommt, erhalten die Bürgerinnen und Bürger außerdem das Recht, solche Werbung zu blockieren. Das wäre ein erster Schritt, um das bisherige Geschäftsmodell der Datenkonzerne außer Kraft zu setzen – allerdings nur, wenn viele Leute die Möglichkeit des „Optout“, des Blockierens, nutzen.
Der politische Kampf um die Regulierung ist in vollem Gange. Unternehmen wollen sie ent-, Politiker teilweise noch verschärfen. So sagt Lambrechts Staatssekretär Christian Kastrop: „Die Voreinstellung sollte auf ,keine Werbung’ lauten.“Das heißt:
Internetnutzer erhielten grundsätzlich keine personifizierte Werbung, außer sie schalten sie bewusst ein. EU-Abgeordnete Geese will die Datensammelei der Unternehmen und die entsprechende Werbung am liebsten komplett verbieten. Käme es so, würde sich die Internetnutzung grundsätzlich ändern. Weil die Werbegewinne fehlen, müsste manches Soziale Netzwerk vielleicht sogar über Nutzungsgebühren nachdenken.
Marktmacht
Wahrscheinlich gab es noch nie Unternehmen, die einen ähnlichen Einfluss ausübten wie heute die Sozialen Netzwerke. Etwa 2,7 Milliarden Menschen weltweit nutzen angeblich Facebook – ein Drittel der Weltbevölkerung. Die Tochter Instagram kommt auf weitere 1,2 Milliarden, wobei es Überschneidungen zwischen den Gruppen gibt. In Deutschland haben sich insgesamt wohl über 50 Millionen Menschen in den beiden Netzwerken angemeldet, mehr als die Hälfte der Bevölkerung.
Diese Marktmacht sichert der USKonzern, und baut sie noch aus, indem er seine Kundinnen und Kunden wiederum gefangen hält. Aus dem Facebook-Kurznachrichtendienst WhatsApp lassen sich keine Botschaften in andere Netzwerke senden. Das ist so, als könnte man aus dem Telefonnetz der Deutschen Telekom nicht bei Vodafone anrufen. Wer seine Bekannten und viele andere Leute erreichen will, geht also zu Facebook, WhatsApp, Instagram. Das Monopol stärkt das Monopol. Diesen sogenannten Netzwerkeffekt soll der Digital Markets Act (DMA) der EU aufbrechen. Margrethe Vestager will „bessere Interoperabilität“zwischen den Netzwerken herstellen. „Die Dienstleister müssten miteinander kooperieren, um den Nutzerinnen und Nutzern Kommunikation von einem Netzwerk ins andere zu ermöglichen“, sagt dazu Alexandra Geese. Dann hätten andere, kleinere Firmen auch eine Chance, und Facebooks Macht nähme ab.
Unfaire Geschäftspraktiken
Besonders über Amazon beschweren sich viele Geschäftsleute. Diverse staatliche Kartellverfahren sind im Gange. Einer der Vorwürfe: Der USHändler bevorzuge Produkte, die er im eigenen Onlineshop anbiete. Daneben betreibt Amazon auch einen Marktplatz für externe Händler, die den weltweiten Lieferdienst für ihre Waren nutzen. Würden die Kleinen aus Sicht des Riesen zu erfolgreich, drohten jenen Konsequenzen, heißt es. Beispielsweise kopiere Amazon dann die Produkte der Konkurrenten und biete sie billiger an. Der Konzern weist die Vorwürfe zurück. Trotzdem will die EU gegen diese und weitere Praktiken vorgehen. Der Onlinehändler dürfte dann etwa eigene Angebote nicht ungerechtfertigt besser präsentieren als die Produkte von externen Verkäufern.
Zu wenig Kontrolle
Die Digitalkonzerne betreiben ihre Seiten mit Hilfe von Algorithmen, die nur sie kennen. Das sind von Menschen geschriebene Computerprogramme, die teilweise automatisch lernen. Sie steuern die Anzeige der Suchergebnisse, der Vorschläge für Freundschaften, Produkte und Meinungen, die zu den Vorlieben der Suchenden passen. Auf diese Art können die Nutzerinnen und Nutzer beeinflusst und gelenkt werden – obwohl die Unternehmen offiziell bestreiten, dies zu tun. Trotzdem sehen viele Politikerinnen und Politiker darin eine Gefahr: Das Internet könne beispielsweise radikale Meinungen verstärken, lautet eine Befürchtung. Deshalb wollen die EU und auch Teile der Bundesregierung eine zusätzliche Aufsicht über die Firmen etablieren. „Es muss transparent, nachvollziehbar und überprüfbar sein, wie die eingesetzten Algorithmen funktionieren“, sagt Justizstaatssekretär Christian Kastrop. Er fordert ein „Recht der Aufsichtsbehörden“und der Wissenschaft „auf Zugang zu den Systemen Künstlicher Intelligenz“.
Steuervermeidung
Digitalkonzerne bezahlen viel weniger Steuern als traditionelle Unternehmen. Nach Angaben der EU-Kommission entrichten sie durchschnittlich 9,5 Prozent Unternehmenssteuern, während konventionelle Firmen in Europa 23,2 Prozent an die Allgemeinheit abtreten. Ein Grund ist, dass die Internetfirmen ihre Leistungen im globalen Datennetz anbieten und keinen Firmensitz in den Ländern brauchen, wo ihre Kunden leben. Oft entziehen sie sich damit dem Zugriff der nationalen Finanzämter. Außerdem machen sie sich den Wettbewerb um die niedrigsten Steuern zwischen manchen Staaten zu nutzen. Gerne nehmen die US-Unternehmen ihre europäischen Sitze etwa in Irland, wo die Gewinnsteuern weniger als halb so hoch sind wie in Deutschland. Bisher war dagegen wenig auszurichten. Bald allerdings könnte es zu einem internationalen Abkommen über Mindestund Digitalsteuern kommen, wodurch die Unternehmen etwas mehr abgeben müssten.