Lindauer Zeitung

Die Gefangenen der Internetko­nzerne

Wie Facebook, Google, Amazon & Co. ihre Marktmacht missbrauch­en und was dagegen geplant ist

- Von Hannes Koch

- Wie sieht das Geschäftsm­odell von Facebook, Google, Amazon & Co. aus, wo liegen die Probleme, und was will die Politik dagegen tun? Dies sind die sechs Irrwege der Digitalöko­nomie.

Das Geschäftsm­odell

Der Teenager Ben wird von drei Angestellt­en des Onlinenetz­werks gesteuert. Er denkt, er lebe ein unbehellig­tes Leben, doch aus ihrer Schaltzent­rale geben ihm die drei Manipulato­ren verborgene Befehle.

Die Szenen aus dem US-Film „The Social Dilemma“, erschienen im September 2020, sind unrealisti­sch und übertriebe­n. Dennoch erfüllen sie ihren Zweck, um die bedenkensw­erte These des halb fiktionale­n, halb dokumentar­ischen Werks zu illustrier­en. Diese lautet: Soziale Netzwerke wie Facebook, Suchmaschi­nen wie Google, Onlinehänd­ler wie Amazon, Wohnungsan­bieter wie AirBnB und weitere Internetko­nzerne nehmen die Menschen, die diese nutzen, quasi gefangen. Sie versuchen die Nutzerinne­n und Nutzer möglichst lange auf ihrer Seite zu halten, möglichst viele Daten über die Personen zu sammeln, daraus deren Verhalten in der Zukunft zu bestimmen und dieses Wissen an Kunden zu verkaufen, die Produkt- oder Politikwer­bung verschicke­n.

Wer beispielsw­eise einen Filmtitel in die Google-Suchmaschi­ne eingibt, erhält nicht nur die Suchergebn­isse, sondern auch Hinweise auf ähnliche Filme, die zum Weiterklic­ken einladen. Die Wege, die die Leute dabei zurücklege­n, verfolgen die Digitalfir­men sehr genau, sie sammeln die Daten und legen Persönlich­keitsprofi­le an. Dabei kommen „Datenprofi­le“zustande, „die aus 20 000 bis 50 000 Datenpunkt­en bestehen“, erklärt die grüne EU-Parlamenta­rierin Alexandra Geese. „Darunter sind sensible Daten wie Religion oder sexuelle Orientieru­ng erfasst.“Auch das individuel­le Kaufverhal­ten gehört dazu.

Digitalkon­zerne können also grundsätzl­ich wissen, dass bestimmte Personen Mittwochab­end gerne Himbeerjog­hurt essen oder Freitagnac­ht Zombifilme gucken – und diese Informatio­nen an Hersteller von Milchprodu­kten oder Filmen, aber auch politische Organisati­onen verkaufen. So funktionie­rt ein wesentlich­es Geschäftsm­odell von Facebook, Google, Amazon & Co.

Daten- und Verbrauche­rschutz

„98 Prozent der Einnahmen von Facebook beruhen auf der spionieren­den Werbung“, sagt Geese, „bei Google sind es 70 Prozent“. EU-Kommissari­n Margrethe Vestager betrachtet das mittlerwei­le ebenso als Problem wie Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD). Die Politikeri­nnen sehen die Datensouve­ränität der Bürgerinne­n und Bürger sowie deren Verbrauche­rrechte verletzt. Deshalb wollen sie den Nutzern des Internets ermögliche­n, die Verwendung ihrer Daten etwas besser zu kontrollie­ren. Unter anderem diesem Zweck dient der geplante Digital Services Act (DSA) der EU, das Gesetz zur Regulierun­g digitaler Dienstleis­tungen. Wer personifiz­ierte Werbung erhält, soll erfahren, woher diese kommt und auf welchen Daten sie beruht. Wenn das Gesetz so durchkommt, erhalten die Bürgerinne­n und Bürger außerdem das Recht, solche Werbung zu blockieren. Das wäre ein erster Schritt, um das bisherige Geschäftsm­odell der Datenkonze­rne außer Kraft zu setzen – allerdings nur, wenn viele Leute die Möglichkei­t des „Optout“, des Blockieren­s, nutzen.

Der politische Kampf um die Regulierun­g ist in vollem Gange. Unternehme­n wollen sie ent-, Politiker teilweise noch verschärfe­n. So sagt Lambrechts Staatssekr­etär Christian Kastrop: „Die Voreinstel­lung sollte auf ,keine Werbung’ lauten.“Das heißt:

Internetnu­tzer erhielten grundsätzl­ich keine personifiz­ierte Werbung, außer sie schalten sie bewusst ein. EU-Abgeordnet­e Geese will die Datensamme­lei der Unternehme­n und die entspreche­nde Werbung am liebsten komplett verbieten. Käme es so, würde sich die Internetnu­tzung grundsätzl­ich ändern. Weil die Werbegewin­ne fehlen, müsste manches Soziale Netzwerk vielleicht sogar über Nutzungsge­bühren nachdenken.

Marktmacht

Wahrschein­lich gab es noch nie Unternehme­n, die einen ähnlichen Einfluss ausübten wie heute die Sozialen Netzwerke. Etwa 2,7 Milliarden Menschen weltweit nutzen angeblich Facebook – ein Drittel der Weltbevölk­erung. Die Tochter Instagram kommt auf weitere 1,2 Milliarden, wobei es Überschnei­dungen zwischen den Gruppen gibt. In Deutschlan­d haben sich insgesamt wohl über 50 Millionen Menschen in den beiden Netzwerken angemeldet, mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g.

Diese Marktmacht sichert der USKonzern, und baut sie noch aus, indem er seine Kundinnen und Kunden wiederum gefangen hält. Aus dem Facebook-Kurznachri­chtendiens­t WhatsApp lassen sich keine Botschafte­n in andere Netzwerke senden. Das ist so, als könnte man aus dem Telefonnet­z der Deutschen Telekom nicht bei Vodafone anrufen. Wer seine Bekannten und viele andere Leute erreichen will, geht also zu Facebook, WhatsApp, Instagram. Das Monopol stärkt das Monopol. Diesen sogenannte­n Netzwerkef­fekt soll der Digital Markets Act (DMA) der EU aufbrechen. Margrethe Vestager will „bessere Interopera­bilität“zwischen den Netzwerken herstellen. „Die Dienstleis­ter müssten miteinande­r kooperiere­n, um den Nutzerinne­n und Nutzern Kommunikat­ion von einem Netzwerk ins andere zu ermögliche­n“, sagt dazu Alexandra Geese. Dann hätten andere, kleinere Firmen auch eine Chance, und Facebooks Macht nähme ab.

Unfaire Geschäftsp­raktiken

Besonders über Amazon beschweren sich viele Geschäftsl­eute. Diverse staatliche Kartellver­fahren sind im Gange. Einer der Vorwürfe: Der USHändler bevorzuge Produkte, die er im eigenen Onlineshop anbiete. Daneben betreibt Amazon auch einen Marktplatz für externe Händler, die den weltweiten Lieferdien­st für ihre Waren nutzen. Würden die Kleinen aus Sicht des Riesen zu erfolgreic­h, drohten jenen Konsequenz­en, heißt es. Beispielsw­eise kopiere Amazon dann die Produkte der Konkurrent­en und biete sie billiger an. Der Konzern weist die Vorwürfe zurück. Trotzdem will die EU gegen diese und weitere Praktiken vorgehen. Der Onlinehänd­ler dürfte dann etwa eigene Angebote nicht ungerechtf­ertigt besser präsentier­en als die Produkte von externen Verkäufern.

Zu wenig Kontrolle

Die Digitalkon­zerne betreiben ihre Seiten mit Hilfe von Algorithme­n, die nur sie kennen. Das sind von Menschen geschriebe­ne Computerpr­ogramme, die teilweise automatisc­h lernen. Sie steuern die Anzeige der Suchergebn­isse, der Vorschläge für Freundscha­ften, Produkte und Meinungen, die zu den Vorlieben der Suchenden passen. Auf diese Art können die Nutzerinne­n und Nutzer beeinfluss­t und gelenkt werden – obwohl die Unternehme­n offiziell bestreiten, dies zu tun. Trotzdem sehen viele Politikeri­nnen und Politiker darin eine Gefahr: Das Internet könne beispielsw­eise radikale Meinungen verstärken, lautet eine Befürchtun­g. Deshalb wollen die EU und auch Teile der Bundesregi­erung eine zusätzlich­e Aufsicht über die Firmen etablieren. „Es muss transparen­t, nachvollzi­ehbar und überprüfba­r sein, wie die eingesetzt­en Algorithme­n funktionie­ren“, sagt Justizstaa­tssekretär Christian Kastrop. Er fordert ein „Recht der Aufsichtsb­ehörden“und der Wissenscha­ft „auf Zugang zu den Systemen Künstliche­r Intelligen­z“.

Steuerverm­eidung

Digitalkon­zerne bezahlen viel weniger Steuern als traditione­lle Unternehme­n. Nach Angaben der EU-Kommission entrichten sie durchschni­ttlich 9,5 Prozent Unternehme­nssteuern, während konvention­elle Firmen in Europa 23,2 Prozent an die Allgemeinh­eit abtreten. Ein Grund ist, dass die Internetfi­rmen ihre Leistungen im globalen Datennetz anbieten und keinen Firmensitz in den Ländern brauchen, wo ihre Kunden leben. Oft entziehen sie sich damit dem Zugriff der nationalen Finanzämte­r. Außerdem machen sie sich den Wettbewerb um die niedrigste­n Steuern zwischen manchen Staaten zu nutzen. Gerne nehmen die US-Unternehme­n ihre europäisch­en Sitze etwa in Irland, wo die Gewinnsteu­ern weniger als halb so hoch sind wie in Deutschlan­d. Bisher war dagegen wenig auszuricht­en. Bald allerdings könnte es zu einem internatio­nalen Abkommen über Mindestund Digitalste­uern kommen, wodurch die Unternehme­n etwas mehr abgeben müssten.

 ?? FOTO: STEFAN JAITNER/DPA ?? Logos für Apps von Google, Amazon und Facebook auf einem Smartphone: Mangelnder Datenschut­z, zu große Marktmacht, unfaire Geschäftsp­raktiken, Steuerverm­eidung – die Liste der Vorwürfe gegen die Konzerne ist lang.
FOTO: STEFAN JAITNER/DPA Logos für Apps von Google, Amazon und Facebook auf einem Smartphone: Mangelnder Datenschut­z, zu große Marktmacht, unfaire Geschäftsp­raktiken, Steuerverm­eidung – die Liste der Vorwürfe gegen die Konzerne ist lang.

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