Bayer ändert den Kurs im Glyphosat-Streit
Konzern scheitert vor US-Gericht mit Vergleichsvorschlag – Rezeptur für Unkrautvernichter wird überprüft
- Bayer bekommt das Glyphosat-Problem in den USA nicht abschließend in den Griff. Jetzt scheiterte ein Plan, der den Umgang mit künftigen Klagen regeln sollte, vor einem Gericht in San Francisco. Statt weiter nach einer rechtlichen Lösung für die Zukunft zu suchen, wird der Konzern wohl die Rezeptur des Unkrautvernichters Roundup verändern und den Wirkstoff verbannen – zumindest für Privatanwender in den USA.
Vince Chhabria war wenig erbaut von Bayers Plan. Bereits einmal hatte der zuständige Distriktrichter in San Francisco angemahnt, ihn zu überarbeiten. Vergangene Woche kritisierte er auch die neue Fassung, am Mittwoch (Ortszeit) lehnte er sie dann ab. Teile seien „klar unangemessen“, bevorzugten Bayer. Der Konzern wollte rechtssicher festlegen, wie mit Klagen von Menschen verfahren werden sollte, die derzeit gesund sind, aber an Krebs erkranken und das auf das Bayer-Produkt Roundup zurückführen könnten.
Der Plan, auf den sich die Leverkusener mit Anwälten der Gegenseite geeinigt hatten, sah unter anderem bestimmte Entschädigungshöhen bei Klagen und ein unabhängiges Expertengremium vor. Er war Teil eines Milliardenvergleichs wegen der angeblich krebserregenden Wirkung von Glyphosat, dem Hauptwirkstoff von Roundup.
Rund 125 000 Kläger fordern Schadenersatz. Es sind überwiegend Privatleute. Für sie gibt es bereits eine Lösung, für die Bayer rund 9,7 Milliarden Dollar (acht Milliarden Euro) zurückgestellt hat. Mit rund 95 000 Klägern hat sich der Konzern außergerichtlich geeinigt. Die offenen Verfahren will Bayer auch beilegen, allerdings genau überprüfen.
Unklar ist, wie mit möglichen Klagen in der Zukunft verfahren wird. Mit ihnen ist zu rechnen, solange Roundup in der jetzigen Form frei verkauft wird. Bayer prüft deshalb, ob es in den USA die Rezeptur ändert. Privatpersonen könnten dann nur noch Roundup ohne Glyphosat kaufen. Nutzer des Produkts, die an Krebs erkranken, könnten sich dann nicht mehr auf einen Zusammenhang mit Glyphosat berufen. Für Landwirte gäbe es weiter das klassische Produkt.
Auch wird Bayer wahrscheinlich zwei laufende Einzelverfahren wegen Glyphosat weiterverfolgen. Das Unternehmen will hier bis vor den Supreme Court, das oberste Bundesgericht, ziehen. Letztlich geht es um die Frage, ob Bayer Warnhinweise auf die Roundup-Verpackungen hätte drucken müssen, wie Gerichte einzelner Bundesstaaten anmahnten. Oder ob Bundesrecht gilt, mithin die Einschätzung der Umweltbehörde EPA, die Glyphosat nicht als krebserregend einstuft. Bisher gibt es keine Warnhinweise.
Auch die Europäische Chemikalienagentur sieht keinen Zusammenhang zwischen Krebs und Glyphosat. Der Sachverständigenausschuss für Pestizidrückstände der Weltgesundheitsorganisation WHO hat keine Bedenken gegen den Wirkstoff. Die Internationale Agentur für Krebsforschung, eine Unterbehörde der WHO, allerdings stuft Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend ein.
Bayer hatte den US-Saatgutkonzern Monsanto 2018 für umgerechnet 54 Milliarden Euro gekauft und so seine Agrarsparte zum Weltmarktführer ausgebaut. Die Idee: Bei einer wachsenden Weltbevölkerung und tendenziell schrumpfenden Anbauflächen sowohl Saatgut als auch Pflanzenschutz aus einer Hand anzubieten.
Mit der teuersten Übernahme eines US-Unternehmens in der deutschen Wirtschaftsgeschichte kaufte sich Bayer auch Probleme ein: Monsanto hatte wegen aggressiver Geschäftspraktiken einen schlechten Ruf, war teilweise sehr ruppig am Markt aufgetreten. Und auch Roundup kam durch den Zukauf zu Bayer. Kurz nach der Übernahme begann auch die Klagewelle.
Monsanto hatte sich Glyphosat 1974 patentieren lassen. Der Wirkstoff wird weltweit verwendet. Er gilt als extrem wirksam, vergleichbare andere Produkte gibt es bisher nicht. Allein mit Roundup setzte Bayer 2020 rund zweieinhalb Milliarden Euro um. Der Konzernumsatz betrug insgesamt 41,4 Milliarden Euro, auf die Agrarsparte entfielen 18,8 Milliarden Euro, die Pharmasparte brachte 17,2 Milliarden Euro.